Hamburger SV:Nicht nach Mallorca

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Anstatt in den Urlaub zu fliegen, wechselt Bruno Labbadia zum Tabellen-Letzten der Bundesliga. Er soll den ersten Abstieg des HSV noch verhindern.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Die Tinte, die er in der Nacht zum Mittwoch für die Unterschrift unter einen bis zum 30. Juni 2016 geltenden Vertrag beim Hamburger SV benutzt hatte, war kaum getrocknet, als Bruno Labaddia, bei strahlendem Sonnenschein um 10 Uhr morgens das erste Training des Tabellenletzten leitete. "Wir haben keine Zeit zu verschenken", sagte der vierte Coach des HSV in dieser Saison, "ich erwarte volle Hingabe und Leidenschaft aller Beteiligten. Wir müssen uns schnell ein Erfolgserlebnis erarbeiten." Nicht nur bei dem am Sonntag anstehenden Nordderby bei Werder Bremen, sondern in allen sechs oder acht restlichen Partien, sollte der Klub wie 2014 zumindest den Relegationsplatz erreichen.

Es ist eine überraschende Wende, noch am Sonntag hatte HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer einen weiteren Trainerwechsel ausgeschlossen. Doch als Wunschtrainer Thomas Tuchel immer noch nicht zusagte, hatte man in stundenlangen internen Debatten begriffen, dass die Tuchel-Vision die Zugehörigkeit zur ersten Bundesliga kosten könne. Denn alle Interimslösungen bis zum großen Neustart mit Tuchel waren ja gescheitert - von Mirko Slomka über Joe Zinnbauer bis zu Peter Knäbel.

Sportdirektor Käbel, der nun in seinen angestammten Job zurückkehrt, hatte bei den Partien in Leverkusen (0:4) und gegen Wolfsburg (0:2) als Coach keine gute Figur abgegeben. Oder, wie Beiersdorfer sagte: "Von innen kamen nicht ausreichend Impulse." Und plötzlich war wieder Bruno Labbadia, 49, die Alternative. Mit ihm hatte man schon nach der Entlassung von Slomka und auch zuletzt wieder über ein Engagement nur für den Rest der Spielzeit verhandelt. Die Rolle des Retters ohne weitere Perspektive aber lehnte der Italo-Hesse ab.

Start mit guter Laune: Bruno Labbadia beim ersten Training mit der Mannschaft des Hamburger SV am Mittwoch. (Foto: Axel Heimken/AP)

Nun erreichten die Hamburger Labbadia am Dienstag in Frankfurt. Der arbeitslose Trainer, der bis 2013 den VfB Stuttgart betreut hatte, wollte gerade mit seiner Frau Sylvia nach Mallorca fliegen. Er stand "vor der Wahl: Mallorca mit meiner Frau oder HSV". Er habe seiner Frau an ihrem Geburtstag aber erst gar kein Veto gestattet, sondern sie allein in den Urlaub reisen lassen. "Weil das Leben zu kurz ist, als dass man immer nur überlegt, ob man die richtige Entscheidung trifft", so Labbadia.

Der "leidenschaftliche Trainer, der auch Mannschaften entwickeln kann" (Beiersdorfer), machte sich noch nachts an die Arbeit. Er entschloss sich, ein Trainingslager in Rotenburg (nahe Bremen) abzuhalten. Am Mittwoch um 16 Uhr brach der HSV auf, am Freitag sollen die Spieler dann noch mal daheim schlafen, ehe es zum Derby wieder nach Bremen geht. Allerdings ohne Assistenztrainer Peter Hermann, der nun die kürzeste Amtszeit seiner Karriere hinter sich hat. Der Leverkusener, der auch auf Schalke und beim FC Bayern als Assistent amtierte, war erst vor gut zwei Wochen beim HSV eingestiegen. Labbadia rief ihn zwar am Mittwochmorgen um sieben Uhr an, um ihn zum Weitermachen zu bewegen. Aber Hermann, den eine Freundschaft zu Knäbel verbindet, wollte nicht mehr. Nun ist allein Eddy Sözer Labbadias Assistent. Wie in der Saison 2009/2010.

Denn die Geschichte zwischen Hamburg und Labbadia ist eine sehr spezielle. 1987 war der HSV seine erste von sieben Bundesliga-Stationen als Profi. Dort spielte er mit Dietmar Beiersdorfer zusammen. 2009 holte ihn Beiersdorfer als damaliger Manager als Chefcoach zum HSV. Das Problem war nur: Kurz darauf wurde Beiersdorfer nach Streitigkeiten mit Boss Bernd Hoffmann entlassen. Labbadia musste nun ohne Hausmacht ein Team trainieren, das schon damals als schwierig galt. Denn einen Nachfolger für Beiersdorfer gab es lange Zeit nicht. Trotzdem führte Labbadia den HSV ins Uefa-Cup-Halbfinale. Doch der damalige siebte Tabellenplatz in der Bundesliga war Hoffmann nicht genug für die teure Mannschaft. Nach einer 1:5-Niederlage bei der TSG Hoffenheim wurde der Trainer am 26. April 2010 entlassen.

Doch Hamburg ließ ihn nicht los. Er zog nach seiner Entlassung in Stuttgart wieder nach Hamburg und kaufte eine Immobilie im feinen Harvestehude. Und so wiederholte er auch am Mittwoch, was er schon früher oft gesagt hatte: "Der HSV ist für mich noch nicht beendet." Schließlich habe er vor fünf Jahren keinen Scherbenhaufen hinterlassen. Beiersdorfer urteilte jetzt sogar kühn: "Den besten Fußball der letzten zehn oder 15 Jahre hat der HSV gespielt, als Bruno da war." Von gutem Fußball war zuletzt an der Elbe nichts zu sehen. Und schon in der ersten Übungseinheit hat Labbadia festgestellt, dass die Profis "nicht vor Selbstbewusstsein strotzen".

Kein Wunder, die sportliche Situation des HSV ist ernst, aber noch nicht aussichtslos. Mut und Glück, das weiß Labbadia, werden nötig sein, um den ersten HSV-Abstieg in 52 Jahren Bundesliga durch einen Last-Minute-Endspurt noch zu verhindern. Statistiker haben errechnet, dass der "Liga-Dino" zu 90 Prozent abgestiegen sei. Labbadia sagt: "Ich möchte zu den zehn Prozent gehören."

© SZ vom 16.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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