Hamburger SV:Nervös im falschen Teich

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Hamburger Hoffnungsträger: der Österreicher Louis Schaub (links), Leihgabe aus Köln, beim verpatzten Testspiel gegen den Viertligisten Lübeck (2:5). (Foto: imago images/Michael Schwarz)

Trotz einer soliden Hinrunde und namhafter Zugänge in der Winterpause startet der HSV erneut angespannt in den Zweitliga-Aufstiegskampf.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Im Vergleich zu seinem Vorgänger Hannes Wolf hat es HSV-Trainer Dieter Hecking auf den ersten Blick ziemlich gut. Anders als im vergangenen Jahr, als der Klub im Winter auf neue Spieler verzichtete und in der Rückrunde trotz eines 37-Punkte-Polsters nach 18 Spielen den Wiederaufstieg noch verspielte, hat der Hamburger SV diesmal trotz aller Finanzprobleme drei Erstligaspieler dazugeholt: Jordan Beyer kommt leihweise aus Mönchengladbach als rechter Außenverteidiger, Louis Schaub vom 1. FC Köln könnte die Nachfolge des dauerverletzten Spielmachers Aaron Hunt antreten - und der finnische Stürmer Joel Pohjanpalo aus Leverkusen, der vor seinen vielen Blessuren seinen Torriecher nachgewiesen hatte, soll beim HSV für mehr Angriffswucht sorgen.

Die Zugänge hätten "den Level im Kader noch einmal gehoben", sagt Hecking. Dennoch wirkt der erfahrene Coach, der 2019 Gladbach in die Europa League führte, nur auf den ersten Blick so ruhig, wie es dem HSV nach jahrelanger Konfusion auch gut täte. Zunehmend spürt Hecking, was es hieße, wenn auch er den großen Klub aus der Millionenstadt nicht aus dem "falschen Teich" (HSV-Chef Bernd Hoffmann) der zweiten Liga wieder ins richtige Gewässer erste Liga führen würde. Man merkt das nicht nur daran, dass Hecking vor dem ersten Punktspiel des Jahres am Donnerstagabend /20.30 Uhr) gegen den 1. FC Nürnberg zugab, aufgeregt zu sein.

Von den letzten sieben Spielen 2019 hat er mit dem HSV nur eines gewonnen, der Aufstiegsplatz zwei wurde nur knapp verteidigt. Danach fing Hecking eine Auseinandersetzung mit den lokalen Medien an. Die seien zu ungeduldig, klagte er, und stellten stets hypothetische Fragen, die ihn auf die Palme brächten - zum Beispiel, was passiere, wenn der Erfolg nicht bald zurückkäme. Um seinen Willen zur Kontinuität zu beweisen, hat Hecking sogar kundgetan, er würde auch gerne beim HSV bleiben, wenn der Wiederaufstieg verpasst wird - obwohl sich sein Vertrag nur dann automatisch verlängert, wenn im Mai die Rückkehr in die Bundesliga gelingt.

Das kam bei seinen Vorgesetzten, bei Hoffmann und Sportvorstand Jonas Boldt, nur bedingt gut an, weil alles andere als die erste Liga für sie kein Thema ist - Hoffmann teilte gerade mit, bis 2024 wolle der HSV längst wieder ein gestandenes Mitglied der Eliteklasse sein. Auch bei den taktischen Überlegungen Heckings in der Winterpause gab es Widersprüche. Zunächst äußerte er die Idee, dem Gegner künftig mehr den Ball zu überlassen, weil bisher der Ballbesitz-Stil des HSV (oft bis zu 80 Prozent ) nicht das gewünschte Ergebnis mit vielen Toren gebracht habe. Nach dem Erwerb von Schaub und Pohjanpalo jedoch sprach Hecking wieder von einem Fußball, bei dem seine Elf das Sagen habe.

Auch nach dem Neustart im Vorjahr (neben den Trainern Christian Titz und Wolf musste auch Sportvorstand Ralf Becker gehen, der Kader wurde zur Hälfte ausgetauscht) ist die Nervosität groß beim HSV. So kam heraus, dass sich Hoffmann und der Fußballfachmann Boldt bei der Frage nach einem neuen Stürmer uneinig waren. Hoffmann hätte gern den Torjäger Simon Terodde verpflichtet, der schon Stuttgart und Köln in die Bundesliga geschossen hatte. Der frühere Leverkusener Boldt hat dagegen seine Kontakte zu Pohjanpalo belebt - und sich letztlich durchgesetzt.

Während Hoffmann für sich reklamierte, als Vorstandschef bei einer größeren Investition das Recht zur Nachfrage und Diskussion zu haben, kam dies bei einigen Fans nicht gut an. In einem Leserbrief empörte sich ein Anhänger, er könne es "nicht ertragen, wenn ein Herr Hoffmann allen Ernstes denkt, dass er mehr Ahnung von Fußball hat als der Sportchef und der Trainer". Wie groß noch immer die Zweifel an der Klubführung sind, machte auch der Aktionär Klaus-Michael Kühne kürzlich wieder deutlich. Hoffmanns Investitionen seien "ein Flop" gewesen, sagte er dem A bendblatt, es sei wenig herausgekommen, "eigentlich wurde es immer schlimmer".

Ganz so düster muss man es nicht sehen. In der Hinrunde bewies der HSV einige Male, dass der Kader besser zusammengestellt wurde als in den Jahren zuvor - wie beim 4:0 im Hinspiel gegen den aktuellen Gegner Nürnberg. Und in der Debatte um Stürmer Bakery Jatta, der als Flüchtling aus Gambia kam und plötzlich im Verdacht stand, mit falscher Identität zu spielen, haben die Hamburger im Herbst so fest zusammengehalten wie lange nicht mehr; amtliche Untersuchungen hatten die Behauptung zudem nicht bestätigt. Die Nürnberger müssen dennoch mit einem gereizten HSV-Publikum rechnen. Denn die Fans haben nicht vergessen, dass der Club (ebenso wie Karlsruhe und Bochum) die sportlich verlorenen Punkte per Einspruch wegen Jattas Mitwirken am grünen Tisch zurückholen wollte.

© SZ vom 30.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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