Hamburger SV:Diabolische Ereignisse

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Personifizierte Fassungslosigkeit: HSV-Verteidiger Rick van Drongelen kehrt der Heidenheimer Jubeltraube den Rücken zu. (Foto: Alex Grimm/Getty)

Der HSV bleibt sich selbst ein Rätsel - und könnte dieses weiterhin in Liga zwei lösen müssen. Wenn es am letzten Spieltag um Platz drei geht, kämpft auch Trainer Dieter Hecking um seinen Job.

Von Thomas Hürner, Heidenheim

Es war mal wieder ein Drama in zwei Akten, im selben Maße unfassbar wie erwartbar. Wer kann oder will das noch schlüssig erklären? Der Hamburger Trainer Dieter Hecking jedenfalls stand recht unaufgeregt am Spielfeldrand, hinter ihm strahlte die gelbrote Abendsonne auf die leeren Tribünen. Es war eine beinahe schon idyllische Kulisse im Heidenheimer Stadion, das auch noch direkt neben einem Kletterpark und einer Greifvogelstation liegt.

Wie erklärt man also so ein Spiel, wenn schon die Umgebung den diabolischen Ereignissen kaum angemessen erscheint? Hecking unternahm zunächst einen verbalen Ausflug in die Metaphysik des Sports, was nach solchen Spielen gleichermaßen abgedroschen wie beliebt ist. Der "Fußballgott" scheine nicht auf der Seite des HSV zu stehen, sagte er mit ruhiger Stimme, "es ist so bitter, wenn du schon wieder am Ende bestraft wirst". Das ist der zweite Akt, er vollzieht sich seit der Corona-Pause in einem stetig wiederkehrenden Muster: Die Hamburger Elf beginnt spätestens ab der 80. Spielminute zu taumeln, und dann taumelt sie von Minute zu Minute heftiger, bis sie mit dem Schlusspfiff geschlossen am Boden liegt, mit Spielern, die sich wahlweise fassungslos die Hände vors Gesicht halten oder mit der Faust auf den Rasen hämmern. So geschehen in Fürth (2:2), in Stuttgart (2:3), gegen Kiel (3:3) und am Sonntag in der Fußballprovinz Heidenheim, beim direkten Konkurrenten im Kampf um Relegationsplatz drei. "Wir hätten schon längst durch sein müssen", stellte Hecking nicht zu Unrecht fest: Es waren die Punkte zehn, elf und zwölf, die Hamburg seit dem Neustart nach Führung noch verspielt hat.

Für den HSV hatte kurz nach Anpfiff der zweiten Hälfte Joel Pohjanpalo getroffen, in der 80. Minute glich die Heimelf dank eines Eigentores von Jordan Beyer aus. In der Nachspielzeit folgte dann der mögliche Todesstoß für die Hamburger Aufstiegsträume, weil der Heidenheimer Konstantin Kerschbaumer im Strafraum frei zum Schuss kam. Das 1:2 bedeutet für den HSV, dass sich seine Ausgangslage diametral verändert hat. Der Klub ist zum ersten Mal in dieser Saison aus den Top drei der Tabelle gerutscht. Aber: Wenn der Zweitligameister Arminia Bielefeld am letzten Spieltag gegen Heidenheim gewinnt, reicht dem HSV zuhause gegen den SV Sandhausen schon ein Remis. Nach dem Sieg des VfB Stuttgart ist der direkte Aufstiegsplatz zwei allerdings außer Reichweite.

Geht den Hamburgern am Ende einfach die Luft aus? Oder handelt es sich um ein mentales Problem? Diese Schlussfolgerungen liegen ja nahe, so zuverlässig wie sie ihre eigenen Ansprüche immer wieder aufs Neue unterminieren. Für Hecking habe es sich jedoch vornehmlich um "taktische Fehler" gehandelt, die den beiden Gegentoren vorausgegangen seien. Über seine eigene Taktik hat der Trainer in seiner Analyse nicht gesprochen. Er hatte dem Favoriten mit seiner Startaufstellung nämlich durchaus so etwas wie einen Außenseiter-Charme auferlegt: Erstmals in dieser Saison trat der HSV nicht mit drei Angreifern und Viererkette an, sondern mit fünf Verteidigern und zwei Stürmern.

Ein Experiment, das sich im Nachhinein als gescheitert erwies, da aufgrund der zögerlichen Ausrichtung auch der erste Akt gründlich daneben ging: Jene Phase zwischen Anpfiff und Einbruch, in der es die Hamburger in der Regel verpassen, sich für ordentliche Leistungen mit einem komfortablen Vorsprung zu belohnen.

Wie es jetzt weitergeht in Hamburg, erscheint völlig offen. Der Sportdirektor Jonas Boldt jedenfalls telefonierte nach der Partie recht aufgeregt auf dem Heidenheimer Parkplatz. Es könnte sich um ein dienstliches Gespräch gehandelt haben: Laut Sky hat der HSV schon Kontakt mit dem früheren Stuttgart-Trainer Tim Walter aufgenommen, auch Ex-Hannover Trainer André Breitenreiter sei ein Thema. Hecking besitzt beim HSV einen Vertrag für die aktuelle Saison. Er sollte nur im Falle des Aufstiegs verlängert werden.

© SZ vom 23.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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