Hamburger SV:Bruchhagen übernimmt

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Trotz des ersten Heimsiegs muss Dietmar Beiersdorfer als Vorstandschef des HSV gehen - sein Aus stand länger schon fest. Die Nachfolge tritt einer an, der schon einmal HSV-Manager war.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Dietmar Beiersdorfer, beim Sieg gegen Augsburg noch der Vorstandschef des Hamburger SV, soll sich - so wird berichtet - nach dem 1:0 seines Klubs mit Karl Gernandt in den Armen gelegen haben. Das schien deshalb bemerkenswert zu sein, weil Gernandt der Aufsichtsratschef von Gnaden des Investors Klaus-Michael Kühne ist. Und im HSV-Kontrollgremium gab es bekanntlich schon länger Bestrebungen, den glücklosen Vorstand Beiersdorfer des Amtes zu entheben und durch den früheren Eintracht-Frankfurt-Chef und jetzigen TV-Experten Heribert Bruchhagen zu ersetzen. Am frühen Sonntagabend verdichteten sich die Hinweise, dass der Heimsieg für Beiersdorfer tatsächlich zu spät gekommen ist. Am Abend bestätigte dann auch der Klub auf seiner Homepage: Der Aufsichtsrat habe einstimmig Beiersdorfers Abberufung beschlossen. Bruchhagen, 68, der bereits von 1992 und 1995 HSV-Manager war, wird das Amt des Klubchefs übernehmen und einen Vertrag über zweieinhalb Jahre unterschreiben. Angeblich wusste Beiersdorfer schon vor dem Augsburg-Spiel über sein Aus Bescheid. Ob eine Zukunft von ihm beim HSV mit reduzierten Kompetenzen denkbar ist, ist offen. Bruchhagen soll sich vorstellen können, dass Beiersdorfer die vakante Position des Sportdirektors ausübt - jenes Amt, das dieser schon bei seinem ersten HSV-Engagement von 2002 bis 2009 innehatte.

Kurios und typisch HSV: Der Wechsel an der Spitze kommt ausgerechnet in dem Moment, in dem sich Beiersdorfers Entscheidung, Trainer Markus Gisdol zu verpflichten, als richtig zu erweisen scheint. Seit vier Spielen hat der einstige Tabellenletzte nicht mehr verloren, erstmals seit September verließ der HSV einen direkten Abstiegsplatz und erstmals im Jahr 2016 wurden zwei Siege nacheinander erzielt. Der lange Zeit torlose HSV hat zudem in den vergangenen fünf Spielen neun Treffer erzielt. Der ungewohnt euphorische Gisdol, der nach Abpfiff dem Stürmer Michael Gregoritsch auf den Rücken sprang, sagte zur Zusammenarbeit mit dem zuletzt auch als Sportchef tätigen Beiersdorfer: "Die ist unverändert gut." Man solle die Bewertung des Chefs "nicht von einzelnen Ergebnissen abhängig machen".

Gisdol, für den ersten Heimsieg seit 22. April verantwortlich, hat sich in knapp elf Wochen ein ordentliches Standing im Klub erarbeitet. Das Team, das mit Kühnes Hilfe zusammengekauft wurde (mit insgesamt 90 Millionen Euro in zwei Jahren), funktioniert langsam wirklich als Team - auch wenn es noch ein extrem weiter Weg ist zu jenen europäischen Tabellenplätzen, die insgeheim als Saisonziel ausgegeben wurden. Gegen Augsburg hat immerhin der kostspieligste Sommer-Einkauf, der 14 Millionen Euro teure Filip Kostic, in der 68. Minute nach einem Pfostenschuss des ebenfalls wieder in Fahrt gekommenen Nicolai Müller das Siegtor erzielt. Mittelfeldspieler Lewis Holtby fasste das unter Gisdol Gelernte so zusammen: "Die Mannschaft hat kapiert, dass Qualität in ihr steckt und es nur gemeinsam geht."

Ausgerechnet Holtby hätte den Erfolg allerdings fast aufs Spiel gesetzt und das "zarte Pflänzchen" (Zitat Gisdol) des Aufschwungs gefährdet. Er hatte sich nach einem Foul von Dominik Kohr mit einem Ellenbogenschlag befreit, was kurz vor der Halbzeit zur roten Karte führte. Doch die Augsburger konnten dieses "vorweihnachtliche Geschenk nicht annehmen", wie FCA-Profi Halil Altintop betrübt anmerkte. "Wir hatten den Gegner auf der Klippe", bilanzierte Trainer Dirk Schuster, "aber wir haben ihn nicht runtergestoßen."

"Es war so laut wie noch nie", schwärmte Stürmer Gregoritsch über die HSV-Fans

Das hatte auch mit dem listigen Gisdol zu tun. Dessen Auftrag in der Pause war, beim Gegner "noch ein paar mehr gelbe Karten herauszuholen", wie Kapitän Gotoku Sakai verriet. So wollte man durch einen Platzverweis für Augsburg wieder Gleichzahl herstellen: "Das war der Plan, er hat gut geklappt", erzählte Sakai offenherzig. Der Plan ging auf, weil Augsburgs Kohr (der mit seiner giftigen Spielweise dem einstigen Spieler Dirk Schuster gleicht wie ein Klon) in der 66. Minute nach einem Foul an Sakai tatsächlich die Ampelkarte sah. Danach drehte der HSV auch ohne den laufstarken Holtby wieder auf, hatte aber auch Glück, als der frühere Hamburger Gojko Kacar von Albin Ekdal im Strafraum umgerissen wurde. Das übersah Schiedsrichter Siebert ebenso wie Kohrs Tritt gegen Kostic (9.). Doch die Augsburger erlebten auch, "mit welcher Wucht" (Altintop) die Hamburger spielten und ihre Anhänger mitzunehmen versuchten: "Es war so laut wie noch nie", schwärmte Stürmer Gregoritsch.

In der Winterpause wird der HSV trotzdem neue Spieler benötigen, einen Verteidiger und defensiven Mittelfeldspieler vor allem. Bei diesen Entscheidungen wird Bruchhagen bereits mitreden.

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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