"Hängende Spitze":Wischiwischi

Thomas Reis bekommt die rote Karte von Schiedsrichter Sascha Stegemann. (Foto: Eibner/Imago)

Bochums Trainer Thomas Reis findet, dass er zu Unrecht die rote Karte gesehen hat. Schließlich habe er doch gar nicht den Schiedsrichter beleidigt - sondern seinen eigenen Spieler.

Von Ulrich Hartmann

Der Bochumer Trainer Thomas Reis hat ein Faible für traditionelle Pädagogik. Er nennt das "Zuckerbrot und Peitsche". Es ist wichtig zu verstehen, dass er das metaphorisch meint. Man hört auf dem Trainingsplatz neben dem Ruhrstadion kein Knuspern und kein Knallen. Letzteres auch als entlastender Hinweis für den DFB-Kontrollausschuss.

Reis macht ganz gute Erfahrungen damit, seine Spieler nach Gutdünken zu loben und zu tadeln. Dazu pflegt er auch mal antike Missfallensgesten wie den Scheibenwischer. Die wischende Handbewegung vor dem Gesicht stellt die Zurechnungsfähigkeit des Beleidigten infrage und bedeutet im Straßenverkehr ein erhebliches Delikt mit Bußgeldern bis 1000 Euro.

Nun ist der gute alte Scheibenwischer das Gegenteil einer modernen Online-Beleidigung. Die digitale Diffamierung ist meist anonym und zielgerichtet. Der Scheibenwischer hingegen ist ein offenes Täter-Bekenntnis, kann aber von jedem Beobachter je nach Schuldbewusstsein auf sich selbst projiziert werden. Schiedsrichter gelten hier als durchaus beleidigungsanfällig.

Beim Spiel in Freiburg hat der Schiedsrichter Karsten Stegemann einen Scheibenwischer vom Trainer Reis, der wohl einer üblen Grätsche des eigenen Spielers Konstantinos Stafylidis gewidmet war, auf sich selbst und jene rote Karte bezogen, die er Stafylidis gezeigt hatte. Reis erhielt dafür ebenfalls Rot - und fühlte sich fälschlich bestraft. Streng genommen aber kann es auch für die Beleidigung eines eigenen Spielers Rot geben. Unter pädagogischen Gesichtspunkten wäre aber zu empfehlen, der Beleidigte wüsste, dass er gemeint ist.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: