Hängende Spitze:Ich spiele Fußball, also bin ich

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Die Gedankenwelt von Fußballern gilt als weitgehend erforschtes Terrain, aber das ist völliger Quatsch. An diesem Samstag hat sich sogar ein Profi selbst geoutet und zugegeben, dass er "sehr viel gedacht" habe.

Von Johannes Aumüller

Die Gedankenwelt von Fußballern gilt als weitgehend erforschtes Terrain, aber das ist völliger Quatsch. Viele Kenner unterstützen ja die Meinung, wonach Fußballer nur von Spiel zu Spiel denken. Nennenswerten Widerspruch gibt es dazu aber von Anhängern des Pähler Philosophen Thomas Müller, demzufolge Fußballer nur von heute bis gestern denken, was einen Gedanken ans nächste Spiel denklogisch ausschließt. Immerhin hat der fränkische Theoretiker Lothar Matthäus aus diesen sich widersprechenden Einschätzungen eine interessante Synthese abgeleitet, die da lautet: "Fußballer denken zu wenig."

Doch das gilt spätestens seit Samstag als überholt. Da nämlich eroberte der eingewechselte Hoffenheimer Nadiem Amiri gegen Frankfurts Marc Stendera den Ball, lief los, dribbelte 80 Meter und viele Sekunden lang - und schoss den Ball zum 1:0 ins Tor. Und dabei habe er "sehr viel gedacht", wie er später berichtete.

Zum Beispiel dachte er zunächst, dass es ein Foul gewesen sei. Dann dachte er, dass er besser abspielen sollte. Dann aber dachte er, dass es besser sei, doch selbst zu laufen. Leider teilte er nicht mit, ob er nur wegen eines Bauchgefühls den langen Laufweg ansteuerte oder ob er mit Hilfe einer gedanklich schnell konzipierten dialektischen Erörterung zu diesem Entschluss kam. Festzuhalten ist in jedem Fall, dass er nach seiner Entscheidung, doch selbst loszulaufen, noch viele Meter und Sekunden Zeit zum Denken hatte. Und wenn wir nun wissen, dass Herr Amiri gerne viel denkt, dann stellt sich die Frage, was er gedacht hat, während er so lange mit dem Ball am Fuß unterwegs war. Der Mensch kann ja nicht aufhören zu denken, nur weil er jetzt ein langes Dribbling begonnen hat.

Hat er also darüber nachgedacht, ob er links oder rechts in die Ecke schießen soll? Oben oder unten hin? Ob er zu Hause den Küchenherd ausgeschaltet hat? Über die korrekte Formulierung des berühmten Zitates Pedifolle ludo, ergo sum, ich spiele Fußball, also bin ich?

Niemand weiß es. Nur daran denken, dass ihn der Frankfurter Verteidiger, auf den er die ganze Zeit zurannte, mal angreifen und via taktischem Foul stoppen könnte, musste Nadiem Amiri nicht. Das wäre, wie die Fernsehbilder beweisen, ein wirklich viel zu weit hergeholter Gedanke gewesen.

© SZ vom 11.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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