Griechenland im WM-Achtelfinale:Wenn zehn Mann mauern

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Überraschend im Achtelfinale: Die griechische Elf (Foto: dpa)

Die griechische Nationalmannschaft hat null Spielwitz und gehört zu den schwächsten Teams der WM-Vorrunde. Dennoch ist die Elf erfolgreich und trifft im Achtelfinale auf Costa Rica. Die Götter müssen verrückt sein.

Von Boris Herrmann, Recife

Zu den schwächsten Teams der WM-Vorrunde, da sind sich fast alle einig, gehörten Honduras, Kamerun, Australien, Japan, Südkorea und Griechenland. Honduras, Kamerun, Australien, Japan und Südkorea beendeten ihren Gruppen auf dem letzten Platz. Sie sind alle wieder zu Hause. Griechenland aber steht jetzt im Achtelfinale.

Diese nicht mehr ganz fangfrische Sensationsmeldung kann man ruhig noch einmal in aller Deutlichkeit wiederholen: Griechenland steht im Achtelfinale! Bisher scheint ja niemand so recht zu wissen, wie die Mannschaft des portugiesischen Kettenrauchers Fernando Santos das nun wieder hingekriegt hat. Zumal es ohnehin fast untergangen wäre, weil am selben Tag beim Spiel zwischen Uruguay und Italien ein Mann von einem Mann gebissen wurde.

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Zu schnöde und unspektakulär: Spiele der Griechen sind nicht gerade ein Publikumsmagnet. Doch der Einzug ins Achtelfinale bringt dem Team neue Fans - es ist der verdiente Erfolg einer Mannschaft, die erst Rückschläge überwinden musste.

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Erst jetzt, so ganz allmählich, blickt die Fußballwelt auf das fertige Tableau mit den sechzehn verbliebenen Nationen. Und sie muss mit verspäteter Verwunderung zur Kenntnis nehmen: Nicht Spanien, nicht England, nicht Italien vertreten Europa bei der gegenwärtigen Copa América in Brasilien. Sondern die alten Griechen.

Der Kader von Fernando Santos mag bei näherer Betrachtung nicht ganz so überaltert sein wie er auf den ersten Blick wirkt. Es sind auch ein paar jüngere Semester dabei wie Kostas Manolas von Olympiakos, Genuas Ioannis Fetfatzidis oder Turins Panagiotis Tachtsidis, alle 23 Jahre alt. Der Rest des Kollegiums gehört aber zumindest dem höheren mittleren Alterssegment an. Und die Führungskräfte - vor und hinter den Kulissen - sind weiterhin jene, die scheinbar schon immer dabei waren.

Allen voran Giorgos Karagounis, 38, und Kostas Katsouranis, 36, die Veteranen des EM-Sieges von 2004. Auch die Angreifer Theofanis Gekas und Dimitrios Salpingidis mischen weiterhin munter mit. Nach jedem größeren Turnier meint man, sich für immer von dieser Generation verabschieden zu müssen. Aber bei jedem nächsten großen Turnier sind sie dann doch wieder da. Sie machen ihre Sache vielleicht nicht schön, aber sie machen sie auch nicht schlecht.

Fernando Santos ist auch in diesem Jahr wieder mit einer Mannschaft angereist, die nicht wesentlich mehr kann, als sich hinten reinzustellen und auf die Fehler anderer zu warten. Eine Mannschaft, die aber ganz genau weiß: Irgendwann macht jeder Fehler. Und wenn es nur der Schiedsrichter ist. Im entscheidenden Gruppenspiel gegen die Elfenbeinküste bekam Griechenland in der dritten Minute der Nachspielzeit einen Elfmeter zugesprochen, der zumindest zweifelhaft war. Georgios Samaras, ein ebenfalls altbekannter sogenannter Torjäger von Celtic Glasgow, traf dann vom Punkt ins Glück. Nebenbei beendete er damit seine sagenhafte Torflaute von 1478 Minuten.

"Die Götter waren mit den Griechen!", titelte die heimische Zeitung Ethnos. Die Götter müssen verrückt sein, mochten sich dagegen die Ivorer gedacht haben. Und der Rest der Welt dachte wahrscheinlich etwas Ähnliches. Diesmal war Griechenland schließlich noch lausiger ins Turnier gestartet als bei der EM vor zwei Jahren in Osteuropa - wo sich dieses widerspenstige Team schließlich bis ins Viertelfinale durchmogelte. Mit einem knackigen 0:3 gegen Kolumbien und einem überaus öden 0:0 gegen Japan ging es diesmal los. Selbst auf der offiziellen Webseite der Fifa war da schon spöttisch von den "Null-Tore-Griechen" die Rede.

Das mit den Toren fällt ihnen traditionell recht schwer. Die Defensive, sagt Trainer Santos, das ist die DNA von Griechenland. Dies Mauermeister-Gen hat er von seinem Vorgänger Otto Rehhagel geerbt. Für neutrale Beobachter ist es nahezu unmöglich, den Stil dieser Mannschaft zu mögen. Sie hat null Spielwitz. Aber die Griechen sagen sich eben: Spielwitz ist was für Clowns. "Es ist falsch zu glauben, dass man wie Brasilien oder Barcelona spielen muss, um zu gewinnen. Wir sind Griechenland und haben unseren eigenen Spielcharakter", doziert Santos, der Portugiese.

Ganz falsch kann er damit nicht liegen. Fernando Santos wird diesen Job im Sommer nach vier Jahren niederlegen, er hat mit seinem Team in dieser Zeit noch keine zehn Spiele verloren. Er hat mit ihm in schlimmsten wirtschaftlichen Krisenzeiten zwei Qualifikationsrunden und zwei Vorrundengruppen überstanden. Und jetzt steht Griechenland erstmals bei einer WM-Endrunde im Achtelfinale. In der Heimat wird das bereits als der größte Erfolg nach dem EM-Titel von 2004 gedeutet. Dabei muss es ja nicht zwingend am Sonntag vorbei sein, nur weil es da in Recife gegen das erstaunliche Costa Rica geht.

Klar, dass die Griechen nach den Eindrücken der Vorrunde als Außenseiter gelten. Aber sie werden gerne unterschätzt. So hat es auch mit Otto 2004 geklappt. Das Fachblatt SportDay scheint sich zwar noch etwas weit aus dem Fenster zu lehnen mit seiner Analyse: "Diese Mannschaft ist in der Lage, alles zu schaffen. Rio, wir kommen!" Aber die Fußballwelt muss auch nicht aus allen Wolken fallen, falls es demnächst einen Viertelfinalisten namens Griechenland geben sollte.

Der Trend dieser WM geht bislang eher zum vogelwilden Offensivfußball, als zum 7-2-1-System hellenischer Prägung. Für die Griechen spricht aber durchaus, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen Mannschaften, die auf die Einfälle Einzelner vertrauen, eine klar erkennbare Kollektivstrategie verinnerlicht haben. Sie verteidigen mit drei gut sortierten Linien, die alle sehr kompakt stehen.

Wenn aber zehn Mann mauern und 2:1 gewinnen, dann heißt das schließlich, dass auch ein kleines bisschen Offensive dabei gewesen sein muss.

© SZ vom 28.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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