Fußball-WM: USA:Der Anti-Torwart

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Er hat keine Lust auf ein Spiel, er nimmt Erfolge und Schmerzen gelassen hin: Keeper Tim Howard aus den USA weigert sich, die Klischees eines Profispielers zu bedienen.

Daniel Theweleit

Die Torhüter gehören nicht gerade zu den Gewinnern des bisherigen WM-Turniers. Der Ball fliegt seltsam, die Höhenluft ist gewöhnungsbedürftig, die Kugel macht in Südafrika "einfach verrückte Dinge", sagt Tim Howard, der zu den positiven Erscheinungen unter den Torhütern gehört. Der Amerikaner hat im ersten Spiel gegen England hervorragend gehalten, da sei aber auch "viel Glück" im Spiel gewesen, sagt er. Vielleicht war es Glück, möglicherweise fällt es dem 31-Jährigen aber einfach leichter als anderen, sich auf widrige Umstände einzustellen.

Tim Howard prallt mit Emile Heskey zusammen - und nimmt die Schmerzen gelassen hin. (Foto: ap)

Denn eigentlich ist jedes Spiel eine Qual für Howard. "Ich genieße es nie, Spiele zu spielen", erzählt er seinen verdutzten Zuhörern auf der Irene-Farm, einem ländlich gelegenen Anwesen zwischen Johannesburg und Pretoria, wo das US-Team logiert. "Ich genieße es, die Anspannung vor dem Spiel aufzubauen", sagt er, "und manchmal genieße ich auch die Momente nach dem Schlusspfiff, aber eigentlich bin ich nicht gerne Torwart, das war schon immer so, und das ist auch jetzt noch so."

Howard leidet unter seiner Hilflosigkeit dort hinten im Strafraum, wo man wenig Einfluss nehmen kann auf ein Spiel. Viel, viel lieber würde er im defensiven Mittelfeld mitmischen, in der strategische Zentrale des modernen Fußballs, "da wo man die Bälle an die talentierteren Leute abspielen kann", erzählt er. Aber die High-School-Trainer stellten ihn aufgrund seiner enormen Sprungkraft ins Tor, und Howard fügte sich.

Er ist ein Mann von beachtlicher Schicksalsergebenheit, und vielleicht macht ihn das so stark als Torhüter. Er jammert nicht, auch nicht über Emile Heskey, der ihm beim 1:1 gegen England mit gestrecktem Bein in die Rippen sprang. Er zeigt auf die Stelle unter der rechten Achselhöhle, nein, röntgen werde er die Rippen nicht, Schmerzen gehören zum Beruf, sagt er. "Wir spielen hier Profifußball, und ich glaube nicht, dass es hier bei der WM jemanden gibt, der wirklich bei hundert Prozent ist."

Irgendwie passt dieser Amerikaner nur schwer ins Klischee von Profispielern, die grundsätzlich dazu neigen, die Dinge schön zu färben. Zumindest, so lange sie Erfolg haben. Howard ist anders, was wohl auch daran liegt, dass er am Tourette-Syndrom leidet, einer Krankheit, die sich in motorischen und sprachlichen Ticks niederschlägt. Statt von seinen Erfolgen zu berichten, erzählt er, dass Fußball ihn ursprünglich überhaupt nicht interessierte. "Meine Mutter wollte mich einfach aus dem Haus haben, deshalb hat sich mich zum Baseball, zum Basketball und zum Fußball geschickt", sagt er. Ein Hobby für jede Jahreszeit im amerikanischen Sportkalender.

Fußball war lange nicht seine erste Leidenschaft, "bis die WM 1994 in den USA stattfand, habe ich nie ein Profispiel live erlebt", sagt er. Damals war Howard 15 Jahre alt, und das Turnier wurde zur Initiation. "Ich war bei den Partien USA gegen Kolumbien und Brasilien gegen Schweden, erst dieses Erlebnis hat mich hungrig gemacht, auch mal ein kleiner Teil dieser großen Fußballgeschichte zu werden."

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Denn den Fußballwahnsinn dieser Welt kann man in den USA eigentlich nur richtig erleben, wenn WM ist. "Der Durchschnittsmensch in Amerika, der nicht viel über Fußball weiß, der sieht dann plötzlich, dass bestimmte Teile der Gesellschaft durchdrehen beim Fußball", sagt Howard. Die südamerikanischen Einwanderer zum Beispiel. Howards Hunger war also geweckt, und er war gut. So gut, dass er nach der Schule bei den New York Metro Stars landete und hinter einer oftmals desolaten Abwehr so viele Gelegenheiten bekam, sich auszuzeichnen, dass die Scouts von Manchester United neugierig wurden.

Im Jahr 2003 wechselte er nach England, war ein Jahr lang Stammtorhüter, verlor seinen Platz aber nach einer Reihe von Fehlern im zweiten Jahr wieder. 2005 verpflichteten die Engländer Edwin van der Sar, und nach einer Saison auf der Bank ging Howard zum FC Everton. "In Manchester lernt man, wie es wirklich läuft auf dem allerhöchsten Level, das hat mich geformt als Profi", sagt er. Inzwischen bezeichnet Howard sich als "reif", er ist eine wichtige Persönlichkeit in Everton und hat gut ins WM-Turnier hineingefunden.

Den USA wird ein starkes Turnier zugetraut, auch wenn sie im Achtelfinale möglicherweise gegen Deutschland spielen. Doch daran denkt Howard noch nicht, er will nur über die Partie gegen die Slowenen sprechen. "Das wird eher eine taktische Angelegenheit. Beide Teams spielen kompakt und verteidigen gut", sagt er. "Außerdem haben beide vorne ein paar gefährliche Spieler", Ziel sei, "das Tempo zu bestimmen, Dominanz auszuüben", dann wird schon alles gut. Howard wird dann wieder hinten vor seinem Tor gefangen sein und leiden, weil die anderen die Partie gestalten, während er nur fürs Bällehalten zuständig ist.

© SZ vom 18.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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