Fußball-WM: Reglement:Her mit dem Los

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In fünf von acht Vorrundengruppen könnte das Los entscheiden, welche Mannschaft das Achtelfinale erreicht. Schuld daran sind vor allem die Unentschieden und die zahlreichen 1:0-Siege zu Beginn des Turniers.

Jürgen Schmieder

An den letzten Münzwurf bei einem internationalen Wettbewerb, der über das Weiterkommen von zwei Teams entschied, erinnern sich nur noch Menschen, die auch das Wembley-Tor im Jahr 1966 oder das Jahrhundert-Spiel zwischen Deutschland und Italien bei der Weltmeisterschaft 1970 erlebten. Es war am 5. Juni 1968, als es beim Halbfinale der Europameisterschaft zwischen Italien und der Sowjetunion auch nach der Verlängerung noch 0:0 stand. Schiedsrichter Kurt Tschauner zog sich mit den Verbandspräsidenten in die Kabine zurück, die Kapitäne beider Mannschaften warteten davor, die restlichen Akteure auf dem Spielfeld. Den Probewurf gewann die UdSSR , beim zweiten Wurf siegte Italien, zog ins Finale ein und wurde schließlich Europameister.

Zwischen England und den USA (im Bild: Emile Heskey und Jay DeMerit) ist ein Losentscheid um den Enzug ins Achtelfinale möglich.  (Foto: dpa)

Gelost wurde auch bei der WM 1990: Damals zogen Irland und die Niederlande punkt- und torgleich ins Achtelfinale ein. Allerdings mussten ihre Gruppenplatzierungen (zwei oder drei) und damit die nächsten Gegner festgelegt werden. Irland gewann den Losentscheid und spielte als Gruppenzweiter gegen Rumänien. Die Niederlande mussten gegen Deutschland antreten und unterlagen mit 1:2.

Eine Ungerechtigkeit, dieser Münzwurf! Das dachte sich der deutsche Schiedsrichter Karl Wald und erfand das Elfmeterschießen, das zuerst vom Bayerischen Fußball-Verband, dann vom DFB und schließlich auch von Uefa und Fifa übernommen wurde. Das Problem des Elfmeterschießens ist nur, dass beide Mannschaften anwesend sein müssen, um einen Sieger zu ermitteln. In der Ausschlussrunde ist das gewährleistet, bei den Spielen der WM-Vorrunde nicht - und so kann es bei der WM 2010 in Südafrika tatsächlich in fünf von acht Gruppen dazu kommen, dass über die Teilnehmer am Achtelfinale per Los entschieden wird.

Das Reglement sieht nämlich folgende Reihenfolge vor: Anzahl der Punkte, Tordifferenz aus allen Spielen, Anzahl der erzielten Tore, direkter Vergleich, Los. Dass es bei dieser WM derart viele Möglichkeiten zum Losentscheid gibt, liegt vor allem daran, dass es bei diesem Turnier zahlreiche Unentschieden und 1:0-Erfolge gab, weshalb viele Mannschaften ein ähnliches Torverhältnis aufweisen und auch der direkte Vergleich keine Entscheidung bringt.

Ein Überblick:

WM-Comic
:Wie Blatter entscheidet

Wie geht es eigentlich weiter, wenn zwei Mannschaften punkt- und torgleich sind? Fifa-Boss Sepp Blatter hat seine ganz eigene Methode.

Gruppe A

Auch zwischen Italien und Neuseeland (im Bild: Ivan Vicelich und Riccardo Montolivo) ist ein Losverfahren denkbar. (Foto: dpa)

Es gibt zwei Szenarien, die zu einem Losentscheid führen könnten:

1) Gewinnt Frankreich gegen Südafrika mit drei Toren Unterschied und Mexiko gleichzeitig gegen Uruguay mit zwei Toren - und erzielt ein Tor weniger als Frankreich, dann wird der Achtelfinalist zwischen Frankreich und Uruguay gelost. Beispiel: Frankreich siegt mit 3:0 und Uruguay mit 2:0.

2) Siegt Südafrika gegen Frankreich mit zwei Toren Unterschied und Uruguay gegen Mexiko mit drei und erzielt dabei ein Tor mehr als Südafrika, dann wird zwischen Südafrika und Mexiko gelost, wer am Achtelfinale teilnehmen darf. Beispiel: Südafrika gewinnt 2:0, Mexiko mit 3:0.

Gruppe C

Ein Los entscheidet in dieser Gruppe, wenn Slowenien und England ein Unentschieden erreichen, in dem beide Teams zwei Tore mehr erzielen als bei einem Unentschieden zwischen den USA und Algerien - also etwa, wenn das Spiel Slowenien gegen England 2:2 endet und USA gegen Algerien 0:0. Dann wird zwischen England und den USA gelost, wer Platz zwei belegt und wer ausscheiden muss.

Gruppe D

Auch in der deutschen Gruppe könnte gelost werden, auch wenn der deutschen Elf das Schicksal erspart bleibt. Gewinnt nämlich Deutschland gegen Ghana mit 4:2 und besiegt Australien gleichzeitig Serbien mit 3:0, dann muss zwischen Ghana und Australien das Los entscheiden. Auch höhere Siege mit dem gleichen Torverhältnis (also etwa Deutschland gegen Ghana 5:3 und Australien gegen Serbien 4:1) würden zu einem Los um Platz zwei führen.

Gruppe F

In dieser Gruppe gibt es drei Szenarien, bei denen das Los entscheiden könnte, ein Mal geht es um die Teilnehmer am Achtelfinale, zwei Mal um den Gruppensieger:

1) Trennen sich die Slowakei und Italien sowie Paraguay und Neuseeland mit dem exakt gleichen Ergebnis - wobei Italien nicht gegen die Slowakei verlieren darf -, dann entscheidet das Los zwischen Italien und Neuseeland über den Teilnehmer am Achtelfinale.

2) Endet das Spiel Paraguay gegen Neuseeland unentschieden und erzielen beide Mannschaften dabei ein Tor, dann gibt es ein Losverfahren zwischen Italien und Paraguay um den Gruppenspieg, wenn Italien mit zwei Toren Unterschied gegen die Slowakei gewinnt und ein Tor mehr erzielt als Paraguay. (Beispiel: Paraguay - Neuseeland endet 1:1 und Italien gewinnt mit 2:0)

3) Gewinnen Neuseeland und Italien ihre letzten Gruppenspiele mit exakt dem gleichen Ergebnis, dann entscheidet das Los über den Gruppenspieg zwischen Italien und Neuseeland.

Gruppe G

Eine eher ungewöhnliche Konstellation gibt es in dieser Gruppe, die allerdings bei den bisherigen Ergebnissen gar nicht so undenkbar erscheint. Gewinnt Brasilien gegen Portugal mit drei Toren Unterschied und siegt die Elfenbeinküste mit sechs Toren Unterschied gegen Nordkorea und erzielt dabei drei Tore mehr als Brasilien, dann entscheidet das Los zwischen der Elfenbeinküste und Portugal, wer als Gruppenzweiter ins Achtelfinale einzieht. Beispiel: Brasilien siegt mit 3:0 gegen Portugal, die Elfenbeinküste gewinnt mit 6:0 gegen Nordkorea.

Ort der Auslosung nach den jeweiligen letzten Spieltagen ist der Pressekonferenz-Raum des Soccer-City-Stadions in Johannesburg. Das Prozedere beginnt um 19 Uhr nach den Spielen um 16 Uhr sowie um 23.30 Uhr nach den Spielen mit Anpfiff um 20.30 Uhr. Der Losentscheid ist in allen anderen WM-Stadien live mitzuverfolgen.

In fünf von acht Gruppen könnte das Los entscheiden, die Konstellationen sind gar nicht mal so unrealistisch. Irgendwie wünscht man sich dann doch, Karl Wald - inzwischen 94 Jahre alt - möge noch einmal eine derart geniale Idee haben wie nach der Europameisterschaft 1968.

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