Fußball-WM: Deutsche Erwartungen:Rooney, Robben und die Hupfdohlen

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Wir werden Weltmeister, wer denn sonst? Lena hat schließlich auch gewonnen... Die Erwartungen der Deutschen vor der WM sind riesengroß - und übertrieben. Triumphieren werden wir erst 2014 am Zuckerhut.

Manuel Andrack

Mit Erwartungshaltungen ist das so eine Sache. Fand man, sagen wir mal, Russell Crowe, schon immer doof, könnte es sein, dass man von der neuen Robin-Hood-Verfilmung trotz oder wegen Crowes Mitwirkung positiv überrascht ist. Niedrige Erwartungshaltung, geringe Gut-find-Schwelle. Umgekehrt birgt eine große Erwartungshaltung ein hohes Frustpotential. Bei den Stichworten "Erwartungshaltung" und "Frustpotential" komme ich als Fan des 1.FC Köln schnell zum Thema Fußball. Das Anspruchsdenken der Kölner Fans ist schon pathologisch, nach jedem glücklichen Auswärtssieg träumen wir von Fahrten nach Mailand. Die Realität ist bitter: In der vergangenen Saison hat es schon wieder - ganz, ganz knapp - nicht zur Deutschen Meisterschaft gereicht.

Der Journalist und Autor Manuel Andrack wurde dem Fernsehpublikum durch seine Zusammenarbeit mit Harald Schmidt bekannt. Andrack ist Fan des 1. FC Köln. (Foto: dpa)

In wenigen Tagen findet ein international besetztes Fußballturnier statt, die massenhaften Deutschland-Auto-Fahnen künden davon. Und auch an Weltmeisterschaften kann man mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen herangehen. Vor der WM 2006 war die Stimmungslage katastrophal. Trainer Klinsmann stand unter Dauerbeschuss, ein Überstehen der Vorrunde war nicht unbedingt zu erwarten. Was folgte, war ein Sommermärchen.

Genau vier Jahre später sind die Chancen der deutschen Kicker in der öffentlichen Wahrnehmung ganz andere. Eines ist doch klar, so der Konsens: Wir werden Weltmeister, was denn sonst, also mindestens Halbfinale, das hat unser Ersatz-Capitano Lahm versprochen. Und Beckenbauer auch. Die deutschen Optimisten verweisen darauf, dass "wir" doch eine Turniermannschaft seien. Und wenn schon eine 19-jährige Hannoveranerin die Europameisterschaft im Singen holt, müssen sich unsere Jungs in Südafrika nur ein bisschen zusammenreißen, dann klappt das schon mit dem WM-Titel. Nur: Bei einer WM konnte man noch nie 246 Punkte gewinnen. Und die Gegner einer WM sind ein anderes Kaliber als Serben mit Playmobil-Frisur oder aserbaidschanische Hupfdohlen mit Schmetterlingsflügeln beim Grand Prix in Oslo.

Es gibt allerdings auch Skeptiker, die einen Titel des deutschen Teams 2010 für genauso wahrscheinlich halten wie die Möglichkeit, dass Hotte Köhler ins Schloss Bellevue zurückkehren könnte. Sie haben gute Gründe, die Skeptiker. Selbst wenn wieder, wie vor vier Jahren, durch Jogi Löw und sein Trainer-Team eine optimale Mobilisierung aller Kräfte gelingen sollte, wirft das Personal der Nationalmannschaft einige Fragen auf.

Zunächst einmal: Ballack ist nicht dabei. Es gibt immer noch viele Hobbynationaltrainer, auch unter Sportjournalisten, die Ballacks Leistung auf und neben dem Spielfeld kleinreden wollen. Ich sehe das ganz anders. Ballack hatte sowohl 2002 als auch 2006 die Reife, nicht nur die taktischen Anweisungen der Trainer Völler/Klinsmann auf dem Spielfeld umzusetzen, sondern auch blitzschnell, je nach Spielsituation, spontan zu reagieren. Die fragwürdige Form der deutschen Stürmer ist lang und breit diskutiert worden. Ich bin vor allem gespannt, wie Löw innerhalb von drei Wochen den Lu-Lu-Lukas fit bekommen hat. Explodieren würde der, hat der Jogi gesagt. Einen explodierenden Podolski kennt man in Köln nur, wenn er Senioren mit seinem Rennschlitten fast über den Haufen fährt.

Zudem sollte man nicht unterschätzen, dass der 2006er Heimvorteil entfällt, der das Team durch den Sommer trug. Statt südländisch-deutscher Begeisterung nur südafrikanische Tröten, die allen Spielern wahrscheinlich unfassbar auf den Geist gehen werden. Außerdem: Im südafrikanischen Winter liegt eine große Last auf jungen Spielern wie Müller, Özil, Kroos, Khedira. Aber eine WM ist keine U-17-19-21-Veranstaltung. Denn es gibt viele erfolgshungrige Mannschaften bei dieser WM. Ich rechne mit einer Überraschungsmannschaft aus Afrika, mein Tipp: Elfenbeinküste oder Serbien. Dann die Klassiker: Frankreich, brandgefährlich, wenn man die Führungsspieler von den scharfen Miezen fernhält. Italien, immer wieder qualifiziert, immer wieder unansehnlich, immer wieder unangenehm. Mit Argentinien muss man rechnen, trotz des durchgeknallten Trainers. Aber die Steak-Lieferanten haben außer Messi noch den einen oder anderen, der etwas am Ball kann. England sollte auch eine Rolle spielen, wenn Wayne Rooney fit bleibt, könnte es sogar bis ins Halbfinale gehen. Und die Niederlande sehe ich ganz weit vorne, weil Robben & Co einfach geilen Fußball spielen.

Und über die Extraklasse von Brasilien und Spanien besteht allgemeiner Konsens. Wobei die Frage erlaubt sein muss, wieso die Iberer überhaupt mitspielen dürfen. Genauso wie Griechenland. Fahren erst unseren schönen Euro gegen die Wand und wollen uns dann bei einem WM-Turnier frech kommen.

Hoppla, mal durchzählen, eine afrikanische Überraschungsmannschaft plus SpanienFrankreichEnglandItalienNiederlandeArgentinienBrasilien, das sind ja schon acht Mannschaften, also genau so viele, wie man für ein ordentliches Viertelfinale braucht. Und Deutschland wäre nach dieser Rechnung gar nicht mit dabei. Es könnte demnach, wenn es dumm läuft, nach dem Achtelfinale Schluss sein für uns. Und wenn es saudumm läuft und Ghana und Serbien über sich hinauswachsen, fahren wir schon am 24.Juni nach der Vorrunde in die Heimat. Dann wären alle Erwartungshaltungen klar unterlaufen. Wir würden heulen, vollständig dehydrieren, alles in Taschentücher investieren.

Aber das Schöne ist, dass in diesem Falle die Erwartungshaltung für die WM 2014 gaaaanz weit unten wäre. Und das ist unsere Chance: Wir holen den Titel in Brasilien! Schon die Zahlenmystik unserer bisherigen Weltmeisterschaften spricht dafür. 1954, 1974 und 1994 haben wir den Titel geholt, alle zwanzig Jahre, also ist 2014 der nächste fällig. Okay, der 1994er-Titel wurde auf Befehl von Helmut Kohl schon 1990 gesichert, aber Ausnahmen bestätigen nun mal die Regel. Wie dem auch sei, in vier Jahren werden wir den Gastgebern vom Zuckerhut - so viel Anspruchsdenken muss erlaubt sein - in die Suppe spucken. Dann werden unsere jungen Spieler die Fußballwelt verzücken, eine goldene Generation deutscher Spielkunst wird sich wie Phönix aus der Asche erheben. Mit Nationaltrainer Luis van Gaal - denn neuerdings lieben wir doch alle die Holländer, oder? - werden wir Weltmeister 2014. Da lege ich mich jetzt mal fest.

© SZ vom 05.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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