Fußball-WM 2010:Das afrikanische Experiment

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Bei der in wenigen Stunden beginnenden WM in Südafrika ist nichts Routine. Das kann ein großes Risiko sein, aber auch eine große Chance. Südafrika hat sich diese WM verdient - weil es den Fußball liebt.

Holger Gertz

Südafrikas Tourismusexperten haben sich einen Slogan ausgedacht, der zur Weltmeisterschaft im ganzen Land plakatiert wird: "South Africa - It's possible". Südafrika - es ist möglich. Was genau gemeint ist, lässt die Werbung offen, grundsätzlich ist es ja ganz gut, wenn alles möglich ist. Der Eröffnungstag einer Sport-Großveranstaltung ist immer der Moment, an dem noch mal festgeschrieben wird, um was es eigentlich geht.

Peking musste 2008 beweisen, dass man zu Recht die Olympischen Spiele bekommen hat, und dass alles, was man sich draußen über Peking erzählt, Propaganda ist. Deutschland wollte 2006 bei seiner WM beweisen, was der Deutsche am Ballermann, bei der Loveparade oder während der Eurovision-Song-Contest-Partys ohnehin schon dauernd beweist: Er kann inzwischen ziemlich locker sein. Was diese Eigenschaft angeht, sind die Südafrikaner über jeden Zweifel erhaben - sie müssen, im Gegenteil, beweisen, dass es ihnen möglich ist, alles im Griff zu behalten.

Gastgeber eines sogenannten Weltturniers sein heißt: dem Klischee zu begegnen. Afrika ist vorurteilsbeladen wie keine andere Region, und jeder Diebstahl in der Nacht, jeder verspätete Bus, jede Schlange am Ticketschalter, sogar jede aus einem Hotelpool lugende Bisamratte ist geeignet, das Stigma zu nähren: typisch Afrika. Südafrika muss zeigen, dass es nicht nur Ausrichter ist, weil der Fifa-Chef Sepp Blatter ein Argument brauchte auf dem Weg zum herbeigesehnten Friedensnobelpreis für sich und seine Organisation.

Zwischen Folklore, Spaß und Sicherheit

Das Land muss ein würdiger Veranstalter sein, und das bedeutet, alles zu bieten. Folklore und Spaß, aber auch Sicherheit und Verlässlichkeit. Wenn zu viele Absperrgitter im Wege stehen, sagen die Besserwisser aus der allerersten Welt: Man kann die Stimmung auch kaputtschützen. Wenn zu wenige herumstehen, wird das als Einladung an die Funktionäre der al-Quaida gewertet, schnell noch einen Flug ans Kap zu organisieren, weil da alles möglich ist.

Es hat zuletzt viele Sportereignisse gegeben, deren Schauplatz das kalkulierte Ergebnis von Kungelei und Kommerz war. Italien hat kein Gefühl entwickelt für die Olympischen Winterspiele 2006 in Turin, weil das Land lieber Sommerspiele in Rom gehabt hätte. Atlanta bekam die Spiele 1996, weil die Stadt Heimat des Großsponsors Coca Cola ist, ein anderes Argument gab es nicht. Die WM in Japan und Südkorea war eine ziemlich sterile Veranstaltung, vor allem in Japan.

Südafrika dagegen hat die WM verdient, der Kontinent beliefert die Ligen der reichen Welt seit Jahrzehnten mit Talenten; es war Zeit, etwas zurückzugeben. Besonders die Schwarzen im Land lieben den Fußball, man kann das spüren in den Tagen vor dem Eröffnungsspiel. Wie die Menschen vor Begeisterung glühen, wie stolz es sie macht, dass endlich alle zu Besuch sind. Wie sie am Flughafen warten und mit halber Atemkraft ihre Vuvuzelas bearbeiten, weil sie gehört haben: den Fremden ist das Instrument zu laut.

Nichts ist Routine bei der WM in Südafrika, alles ist Experiment und Emotion. Das kann ein Risiko sein. Aber auch die größte Chance.

© SZ vom 11.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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