Fußball:Weltmeister im Bademantel

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Schwelgend auf dem Balkon: Andreas Brehme. (Foto: Benesch/DAZN/OH)

Das etwas andere Frühstücksfernsehen mit Andreas Brehme.

Von Benjamin Emonts

Was macht eigentlich der Weltmeister Andreas Brehme? Wer es genau wissen will: Er steht jetzt jeden Morgen im Bademantel auf seinem Balkon. Während im Hintergrund die Kirchenglocken läuten, summt er dann etwa den WM-Song von 1990: "Un'estate italiana ...". Oder er verrät seinem blumengießenden Nachbarn so persönliche Dinge wie: "Ich bin ein Frühaufsteher." Oder: "Ich frühstücke morgens nie." Brehmes Welt auf seinem Balkon scheint gerade in Ordnung zu sein. Ob er so eine verrückte Zeit schon mal erlebt habe, fragt der Nachbar, so einen Stillstand? "Ist doch herrlich", sagt Brehme.

Der Showmaster Harald Schmidt soll den Fußballer Brehme einmal dafür geadelt haben, dass er "nicht ständig den Intellektuellen raushängen" lasse. Das war aber in der Vergangenheit auch schon anders. Brehme, 59, einst als Spieler deutscher Meister mit dem FC Bayern und Kaiserslautern, italienischer Meister mit Inter Mailand, werden bekanntlich ein paar besonders schöne Fußballer-Weisheiten zugeschrieben: "Das Unmögliche möglich zu machen wird ein Ding der Unmöglichkeit." Oder: "Ich sage nur ein Wort: Vielen Dank." Einmal soll er - mit einer Ergebniskrise hadernd - philosophiert haben: "Hast du Scheiße am Fuß, hast Du Scheiße am Fuß." Damit allerdings räumt Brehme auf seinem Balkon nun auf. Er wisse "beim besten Willen" nicht, wer das geschrieben habe, sagt er dem Nachbarn und schüttelt den Kopf.

Zu sehen ist das alles öffentlich. Das Format "Mein Nachbar der Weltmeister" läuft in bislang neun kurzen Episoden auf dem Streamingdienst Dazn und in den einschlägigen sozialen Netzwerken. Es enthüllt nicht nur Details über Brehmes Schlafgewohnheiten - es räumt auch mit Unwahrheiten aus Brehmes bewegtem Weltmeisterleben auf, das sich heute eher beschaulich an seinen Wohnsitzen in München, Kitzbühel und Bardolino abspielt. Die Serie profitiert dabei zweifelsohne von ihrer Bademantel-Balkon-Intimität. Dazn-Reporter Sebastian Benesch ist nämlich "wirklich" Brehmes Nachbar, wie er am Telefon versichert.

Als der Reporter im Februar ins Münchner Glockenbachviertel zog, hatte er die Leute bereits flüstern gehört, dass angeblich ein Weltmeister in der Nachbarschaft lebe. Eines Abends, so erzählt er, sah er Brehme dann im Bademantel an seinem Auto stehen, er fasste sich ein Herz - und fragte ihn, ob er nicht ein bisschen über alte Zeiten und glorreiche Elfmeter vor der Kamera sprechen wolle. Brehme freute sich und sagte zu.

Seitdem gibt es das Balkongeflüster an dem Mehrfamilienhaus. Brehme erzählt allmorgendlich seine Anekdoten. Er berichtet, wie er als Spieler des FC Bayern mit Hansi Flick auf Kneipentour war, oder dass Lothar Matthäus und er von Trainer Franz Beckenbauer "immer einen Einlauf" bekommen haben, weil sie morgens nicht frühstücken wollten. Über seinen Weltmeister-Kollegen Jürgen Klinsmann wagt er die These, dass dieser mit seinem denkwürdigen Abgang von Hertha BSC einen Fehler begangen habe, wovon übrigens auch Rudi Völler überzeugt sei. Das alles klingt so bodenständig und ehrlich, wie man es von Brehme kennt.

Schließlich schauen wohl deshalb viele Menschen zu, weil die Dialoge einen ähnlichen Zweck erfüllen wie die derzeit angesagten Wiederholungen von längst verblassten Fußballspielen, in denen der HSV noch ein Dino war und Andi Brehme goldene Locken trug: Es lässt einen in gute, alte Zeiten abdriften. Wenn Brehme über seinen Elfer im Römer Olympiastadion spricht, reichen wenige Worte, bis seine Stimme aus dem Off immer leiser wird und die Zeitreise ins Jahr 1990 beginnt. Man sieht Brehme anlaufen. Er verwandelt mit rechts ins linke Eck. Mit Doppelfaust sprintet er los. Klinsmann und die anderen begraben ihn unter sich. Matthäus stemmt den Pokal. Beckenbauer schleicht über den Rasen. Fahnenmeer. Deutschland ist Weltmeister. Es muss wohl daran liegen, dass Brehme immer so entspannt wirkt.

© SZ vom 06.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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