Fußball:Schiris sind auch Menschen

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Der Fall Kempter und die Weigerung, technische Hilfsmittel zuzulassen, entspringen dem gleichen System: einem Funktionärswesen im Fußball, dem der Wille zur Transparenz fehlt.

K. Hoeltzenbein

Man würde den FC Bayern unterschätzen, wenn man annähme, er hätte nicht sofort alle Spiele akribisch überprüft, in denen Michael Kempter den Verein gepfiffen hat. Jener Kempter, der - so hat es die grassierende deutsche Schiedsrichter-Affäre aus einem privaten Postfach ans Licht der Öffentlichkeit gefördert - offenbar 2007 eine Anti-Bayern-E-Mail geschrieben hat. Darin teilt er seinem damaligen Vorgesetzten Manfred Amerell mit, was er sich für den Champions-League-Abend wünsche: "Freu mich aufs Bayernspiel. Hoffentlich fliegen sie gleich raus. Dann stoßen wir an!"

So eine Anti-Bayern-Mail zu versenden, wird in Pro-Bayern-Kreisen als frevelhaft empfunden, dürfte aber - für sich genommen - eher harmlos sein. Oder gar gegenteilig wirken: dass nämlich der Schiedsrichter ahnt, dass auch er nur ein Mensch ist, mit all seinen Vorlieben, Abneigungen, Fehlern. Und dass er sich gerade deshalb eine nahezu unmenschliche Objektivität antrainiert.

Einen Schutzwall, der den Makel seiner Parteilichkeit für Schalke oder Köln verdeckt. Man ist schließlich Profi, man will sich nichts nachsagen lassen. Jedenfalls hat Kempter, der Anti-Bayer, fünf Spiele gepfiffen: vier gewannen die Münchner hoch, eines endete remis, nie gab es eine Klage. Wer Kempter, 27, pfeifen sah, war beeindruckt, er war etwas zu theatralisch, aber souverän.

Wie sich kühle Professionalität auch entfalten kann, war jüngst bei Olympia zu bestaunen, beim emotional überspannten Eishockey-Finale der Nachbarn Kanada und USA. Gepfiffen haben nicht etwa Unparteiische aus Russland oder Schweden, sondern Bill McCreary und Dan O'Hallorun - zwei Kanadier, die als beste Schiedsrichter der nordamerikanischen Profi-Liga NHL gelten. Die Fähigkeit dieser Kanadier, nicht wie Anti-Amerikaner zu pfeifen, war bekannt. Ihre Gefühle haben sie unter Kontrolle, was von ihnen aber längst nicht mehr verlangt wird, ist die Herrschaft über alle Sinne: Tor? Kein Tor? Das regelt nicht das Auge, Zweifel klärt der Videobeweis.

Technische Hilfsmittel wie im Eishockey und anderswo üblich hat der Fußball-Weltverband Fifa am Wochenende erneut kategorisch abgelehnt. Begründung: Das Besondere seien die Menschen, und da gehörten auch Fehler dazu! Michael Kempter hat Fehler gemacht, mehr neben dem Platz, die ihn wohl die Karriere kosten. So absurd es scheinen mag, der Fall Kempter und die Weigerung, technische Hilfsmittel zuzulassen, entspringen dem gleichen System: einem Funktionärswesen im Fußball, dem der Wille zur Transparenz fehlt.

© SZ vom 08.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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