Fußball-Nationalmannschaft:Die Diät schlägt an

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Tim Wiese hat seine Ernährung und sein Training umgestellt. Der Kraftprotz ist spritziger geworden - jetzt er sieht Chancen im Wettstreit der Torhüter, den René Adler anführt.

Philipp Selldorf

Andreas Köpke hat ihm die Nachricht vor einer Stunde am Dienstagvormittag überbracht: Beim Länderspiel gegen Norwegen wird René Adler im Tor stehen. Erstaunlicherweise hat sich Tim Wiese über diese Mitteilung gewundert. Das Publikum mag zwar nichts anderes erwartet haben, aber Wiese schon: "Ich hab' damit gerechnet, dass ich spiele", sagt er. Warum?

Torwart-Kontrahenten Tim Wiese (links) und René Adler im Training: Ende März wird der Fall der Nummer eins von Neuem verhandelt werden. (Foto: Foto: ddp)

Dazu fällt dem Bremer Torwart eine Menge ein: "Die Trainingsleistungen waren gut, ich habe einen Super-Einstand gehabt gegen England, ich bin topfit, stark in die Rückrunde gestartet, die Kollegen meinten, dass die Chancen gut stehen..." Wiese, man sieht's ihm an, kann die Entscheidung des DFB-Trainerteams nicht verstehen. Seine Laune ist gedrückt, aber warum soll er das verbergen? "Es wäre falsch, wenn ich mich freuen würde", meint er.

Vielleicht wird es ihn mittlerweile trösten, dass Joachim Löw und sein Fachreferent Köpke den Vorzug für Adler nicht als dauerhafte Festlegung betrachten. Beim nächsten Treffen der Nationalelf Ende März in Leipzig anlässlich des Qualifikationsspiels gegen Liechtenstein wird der Fall der Nummer 1 von Neuem verhandelt werden, dann allerdings mit drei Kandidaten, weil Robert Enke wieder dazukommt.

Der Kampf nimmt seinen Lauf

Das hat Löw vorsorglich bereits ausrichten lassen, als Köpke den Hannoveraner in der vergangenen Woche über die Pläne für die Partie gegen Norwegen unterrichtete. Enke war trotzdem enttäuscht und gekränkt, dass er nicht nach Düsseldorf geladen wurde.

Nach dem Ende des epischen Duells zwischen den Großfeldherren Oliver Kahn und Jens Lehmann ist nun also der Diadochenkampf ums Erbe entbrannt, dem die Erbverwalter Löw und Köpke gern seinen Lauf lassen. Der Wettstreit ist nicht so wild, wie er zu den Zeiten von Kahn und Lehmann war, als die Widersacher über die Presse regelmäßig Kanonenschläge austauschten und ihre Begegnungen den kalten Krieg der Supermächte aufleben ließen.

Dafür aber ist die Auswahl größer: Zu den führenden Bewerbern Adler, Wiese und Enke wird bald auch Manuel Neuer gehören, wie Köpke dem Schalker am vergangenen Samstag bei einer Tasse Kaffee versichert hat. Um Neuers Gefühle müssen sich die DFB-Trainer zum Glück noch nicht sorgen. Bis zum Sommer ist er in der U 21 engagiert und mit der Teilnahme an der EM in Schweden vorerst beschäftigt.

Geflügel statt Schweinefleisch

Tim Wiese, 27, wird sich deswegen nicht zurückziehen. Das Thema Nationalelf hatte er zwar im vergangenen Frühling schon mal innerlich beendet ("Löw ruft mich eh nicht an" - womit er recht behielt), doch nach dem EM-Sommer hat er durch seinen reformierten Auftritt viele Skeptiker für sich gewinnen können, die Trainer des Nationalteams inbegriffen.

Aus der Ferne besehen, gibt der Mann aus Bergisch-Gladbach seit jenem Sommer allerdings auch Anlass zu Bedenken, denn der Tim Wiese von heute ist nur noch ein mageres Abbild des Tim Wiese von ehedem. Nachdem im August berichtet worden war, er habe im Urlaub eine Diät begonnen und acht Kilo verloren, war wenig später schon von neun Kilo die Rede, dann von zehn, und im Wintertrainingslager in Belek wurden bereits 14 gemeldet, schließlich von amtlicher Stelle - auf der Vereinshomepage - sogar 16.

Damit will er es, Gott sei dank, bewenden lassen, von einst 101 ist Wiese runter auf 86 Kilo, und das Resultat dieser Transformation begeistert ihn: "Es ist, als ob ich neu geboren wäre", sagt er, "so schnell, so spritzig, so leichtfüßig war ich noch nie, und eine Super-Ausdauer habe ich auch bekommen." Im Zweifelsfall sei er nun mindestens einen Schritt rascher zur Stelle, "und auch beim Mitspielen, worauf heute ja so ein Auge geworfen wird, bin ich besser geworden."

Dem Kraftraum abgeschworen

Nicht nur die andere Ernährung - Verzicht auf Kohlehydrate, Schweine- und Rindfleisch zugunsten von Gemüse, Geflügel und Fisch - hat diesen Wandel zum dünnen Mann bewirkt, sondern auch der Verzicht auf eine manische und stilprägende Gewohnheit. Im Alter von 16 Jahren hatte Wiese den Kraftraum entdeckt und seitdem Tag für Tag besetzt gehalten, das ganze Programm inbegriffen: Gewichte pumpen, Hanteltraining, Protein-Shakes. Dieser Besessenheit hat er abgeschworen, stattdessen beschränken sich seine Extraschichten auf Gymnastik für die Rumpfmuskulatur und auf Dauerläufe, die er regelmäßig vor dem Training an der Weser zurücklegt.

Vorrangiger Anlass seiner Besinnung waren Schmerzen in der entzündeten Patellasehne, aber nicht nur: Die Kur, die er sich selbst verschrieben hat, wie er stolz hervorhebt, galt auch dem Ziel, sich doch noch fürs Nationalteam zu qualifizieren. Denn "man will ja Ziele haben", sagt Wiese, "und das Ziel als kleiner Junge war, Nationaltorhüter zu sein." An diesem Verlangen hält er fest, selbst wenn er am Mittwoch in Düsseldorf auf der Reservebank leiden muss: "Ich werde weiter alles geben, trainieren und spielen wie ein Wahnsinniger", sagt Tim Wiese, und das darf man ihm wortwörtlich glauben.

© SZ vom 11.02.2009/mikö - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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