Fußball:Messi kommt nicht nach Jerusalem

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Warnung! Mit Schildern wie diesem in Hebron und blutrot eingefärbten Trikots protestierten Palästinenser gegen das geplante Länderspiel. (Foto: Hazem Bader/AFP)

Die Palästinenser feiern die Testspiel-Absage von Argentiniens Nationalteam als Triumph - Israel zürnt.

Von Javier Cáceres und Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv/Berlin

Es hatte einmal Tradition, dass Argentiniens Nationalelf vor Weltmeisterschaften nach Israel pilgerte. 1986 machte eine von Diego Maradona angeführte Mannschaft für ein Testspiel in Tel Aviv Station, siegte 7:2 - und kehrte von der folgenden WM in Mexiko mit dem Pokal zurück. Vor den Turnieren 1990, 1994 und 1998 probierten sie es aus Aberglauben erneut mit Israel-Reisen, mit ernüchternden WM-Resultaten: 1990 wurde Argentinien hinter Deutschland nur Zweiter; 1994 flog Maradona mit Doping auf und Argentinien in der zweiten Runde raus; 1998 war im Viertelfinale Endstation. An diesem Samstag sollte Argentiniens Team mit Kapitän Lionel Messi auf dem Weg zur WM nach Russland wieder in Israel Station machen. Doch die Partie wurde abgesagt - wegen "Drohungen und Provokationen", die "der israelischen Bevölkerung nicht fremd sind", die nun jedoch auf Messi und Argentiniens WM-Team gezielt hätten, wie Israels Botschaft in Argentinien mitteilte.

Ganz so monokausal war die Absage aber wohl nicht. Die Partie war in Argentinien schon lange umstritten - aus Gründen, die mit Politik nichts zu tun hatten. Argentiniens Verband Afa hatte etwa 1,5 Millionen US-Dollar für die Begegnung erhalten - und das wog mehr als die logistischen Bedenken des Trainerteams, die sogar öffentlich vorgetragen wurden. Trainer Jorge Sampaoli blickte mit Unbehagen auf den Termin, weil sich das Team zurzeit auf dem Trainingsgelände des FC Barcelona auf die WM vorbereitet; einen Zwischenstopp auf der Reise nach Russland einzulegen, hielt der Coach für überflüssig - und wenige Tage vor WM-Beginn auch für zu schlauchend. Zumal das Spiel wegen des Sabbat, des jüdischen Ruhetags, erst nach Sonnenuntergang angepfiffen werden sollte - die Weiterreise nach Russland hätte sich bis ins Morgengrauen hingezogen.

Richtig aber ist, dass diese Überlegungen zuletzt keine Rolle mehr spielten. Denn die politischen Debatten um die Partie überlagerten alles, seit die Begegnung auf Betreiben von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, seiner Sportministerin Miri Regev und mit dem Segen des argentinischen Verbandes aus dem ursprünglichen Austragungsort Haifa nach Jerusalem verlegt wurde. Zu einem denkbar ungünstigen Termin: Just, als die Welt voller Entsetzen auf die Gewalt blickte, die nach der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem in den Palästinensergebieten ausgebrochen war und Dutzende Tote gefordert hatte. Jerusalem wird nur von wenigen Staaten als Hauptstadt Israels anerkannt, darunter den USA.

Dass das Spiel abgesagt wurde, hatte wohl tatsächlich damit zu tun, dass Argentiniens Profis am Dienstag erstmals persönlich mit den Folgen der Verlegung der Partie konfrontiert worden waren. Etwa 30 Demonstranten waren in Barcelona an das - abgesperrte - Trainingsgelände gekommen. Per Megafon riefen sie die 23 Spieler namentlich auf, nicht zu reisen. "Messi, no vayas", "Messi, geh' nicht!", hallte es über Gemäuer hinweg auf den Rasen. Es waren auch rot beschmierte argentinische Trikots zu sehen, die das Blut der Palästinenser symbolisieren sollten. Argentinische Medien berichteten, Spieler hätten danach - anonym - Sorge um ihre Sicherheit geäußert; Messi sei von den Rufen beeindruckt gewesen. Nationalstürmer Gonzalo Higuaín führte die Absage aber nicht darauf, sondern auf den "gesunden Menschenverstand" zurück. Es sei schlicht "richtig", nicht zu reisen.

Derweil führte die Absage zu heftigen politischen Reaktionen. Israels Ministerpräsident Netanjahu beschwor den argentinischen Präsidenten Mauricio Macri telefonisch, die Partie (und ein geplantes Foto von Messi und Co. an der Klagemauer) zu retten. Dem Vernehmen nach bot er eine Rückverlegung nach Haifa an - erfolglos. Staatspräsident Reuven Rivlin klagte über die "Politisierung des Sports"; die israelische Opposition warf ebendies der Sportministerin Regev vor. Oppositionsführer Izchak Herzog sprach von einem "spektakulären Eigentor" Regevs, die mit der Verlegung nach Jerusalem "den Boykotteuren des jüdischen Staats" zu einem Sieg verholfen habe. Itzik Schmuli, Abgeordneter der Arbeitspartei, sagte: "Regev hat Politik gemacht und Politik bekommen. Der Fußball ist weg." Regev wiederum machte "Terrorgruppen" für die Absage verantwortlich. Der für öffentliche Sicherheit verantwortliche Minister Gilad Erdan attackierte den Präsidenten des Palästinensischen Fußballverbandes, Dschibril Radschub, persönlich. Radschub hatte nicht nur die Absage gefordert, sondern auch die arabischen Fußballfans aufgerufen, Fotos und Messi-Trikots zu verbrennen. Radschub, der sich Hoffnungen auf die Nachfolge des gesundheitlich angeschlagenen Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas macht, relativierte dies am Mittwoch. Sein Aufruf sei "symbolisch", nicht persönlich gemeint gewesen. Einen "Triumph" verbuchte er allemal. Israel sei durch die Absage des Spiels "die rote Karte gezeigt" worden, sagte er.

Auch in Argentinien gab es heftige Debatten. Ein Kolumnist der Zeitung Clarín fragte, ob man denn nun auch Russland boykottieren (Syrien-Krieg!) oder gleich die WM-Spiele gegen Island (Beteiligung an Kriegen im Irak und Afghanistan!), Nigeria (Boko Haram!) und Kroatien (Balkankrieg!) absagen müsse. Für Irritationen sorgte in Buenos Aires aber nicht nur die stornierte Israel-Reise, sondern auch eine weitere Absage: Argentiniens WM-Elf verzichtete überraschend auch auf eine vom Vatikan bereits angekündigte Visite beim argentinischen Papst Franziskus. "Weder Klagemauer noch Papst - Argentinien vertraut sich Messi an", schrieb die spanische Zeitung El País.

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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