Fußball:«Jetzt geht's los»: Löw drückt aufs Tempo

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Santo André (dpa) - Nach dem herzlichen Empfang in Brasilien drängte Joachim Löw auch beim öffentlichen Training auf hochkonzentrierte Arbeit. Der Bundestrainer will im Endspurt bis zum WM-Start keine Zeit mehr verlieren.

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Santo André (dpa) - Nach dem herzlichen Empfang in Brasilien drängte Joachim Löw auch beim öffentlichen Training auf hochkonzentrierte Arbeit. Der Bundestrainer will im Endspurt bis zum WM-Start keine Zeit mehr verlieren.

Beobachtet von 500 Zuschauern aus Santo André, darunter Indianer vom Stamm Pataxo, trieb Löw seine Pläne für den Ernstfall gegen Portugal auf dem Fußballplatz voran. Der DFB-Chefcoach gönnte seinen 23 Fußballern nach dem Einchecken im abgeschiedenen Campo Bahia keine große Anpassungsphase, um sich nach der 15-Stunden-Anreise mit Flugzeug, Bus und einer Fähre vom Jetlag zu erholen.

„Wir alle haben diesen Moment immer herbeigesehnt“, sagte Löw zu seiner Freude, endlich im WM-Land zu sein. „Die WM hat für uns jetzt begonnen. Wir freuen uns, dass wir nach langen Planungen, nach vielen Gedanken und Diskussionen in Brasilien sind. Denn jetzt geht's los.“ Und das mit Torwart Manuel Neuer, der beim intensiven Üben mit Torwarttrainer Andreas Köpke erste scharf geschossene Bälle abwehrte und sich dabei auch auf die zuletzt verletzte rechte Schulter warf.

Löw glaubt nicht, dass er mit einem Einsatz von Neuer schon im ersten Spiel in einer Woche ein Wagnis eingehen wird. „Nach aktuellem Stand wird es dieses Risiko nicht geben. Die klare Aussage der medizinischen Abteilung und auch des Spielers ist, dass er nun torwartspezifisch belastet werden kann“, sagte der 54-Jährige. Der Bundestrainer ist von einer WM-Punktlandung seiner Nummer 1 überzeugt: „Ich gehe daher davon aus, dass er gegen Portugal spielen kann.“ Die Trainingseindrücke bestätigten diese Prognose.

Der 28 Jahre alte Bayern-Schlussmann trainierte wie alle Spieler und Betreuer in einem weißen Shirt mit der Aufschrift: „Obrigado Bahia“ - danke Bahia. „Wir sind glücklich, hier zu sein“, stand in der Landessprache auf der Vorderseite der Trikots. Hinterher tanzten die Spieler sogar mit den Indianern, die einen schwarz-rot-goldenen Kopfschmuck trugen. „Wir hoffen, dass wir den Rhythmus Brasiliens auch auf dem Platz umsetzen können“, sagte Manager Oliver Bierhoff.

Nach einem ersten, kurzen Eintauchen in die unbekannte Welt am Atlantik war Neuers Rückkehr ins Tor nach dem bitteren WM-Aus von Offensivspieler Marco Reus das lange erhoffte positive Signal. Löw treibt seine Pläne für das wichtige Auftaktspiel aber auch auf anderen Positionen voran. Er gewährte bei den ersten Trainingseinheiten einige aufschlussreiche Einblicke.

Philipp Lahm agierte in den ersten Übungsspielen stets im Mittelfeld, Jérome Boateng verteidigte rechts - beides so wie beim 6:1-Sieg im Benefiz-Länderspiel gegen Armenien. „Wenn man im letzten Spiel vor einer WM auf einer Position spielt, dann geht man auch davon aus, dass man auf dieser Position eingesetzt wird“, hatte Lahm schon nach seinem gelungenen 45-Minuten-Comeback in Mainz drei Wochen nach seiner Fußverletzung erklärt. „Im Moment ist es so, dass wir ein Gerüst haben“, berichtete Löws Assistent Hansi Flick.

Das gegen die Armenier getestete 4-3-3-System könnte tatsächlich die taktische Variante gegen Portugal sein. Die noch um die WM-Fitness ringenden Führungskräfte Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira scheinen dabei um den dritten Mittelfeldplatz neben Lahm und Toni Kroos zu kämpfen. „Es sind wirklich fast alle bei hundert Prozent“, sagte Flick zum körperlichen Zustand der 23 Akteure.

Löw sucht aber noch nach Lösungen für seine WM-Startelf, in welcher der Dortmunder Reus bis zu seinem tragischen Verletzungs-Aus ein Fixpunkt war. „Marco war super drauf. In unseren Überlegungen hat er eine zentrale Rolle gespielt“, bedauerte Löw den Turnierausfall des 25 Jahre alten Angreifers, der nach der Diagnose - Syndesmoseteilriss am linken Sprunggelenk - am Boden zerstört war. Ein Traum sei für ihn geplatzt, dem Team aber wünschte der große Pechvogel dennoch „alles Gute“. In Brasilien aber geht der Blick nach vorne. „Ich habe nicht gemerkt, dass die Mannschaft weiter geschockt ist“, sagte Bierhoff.

Den frei gewordenen Kaderplatz vergab Löw an Nachrücker Shkodran Mustafi. Um die vakant gewordene Planstelle von Reus in der Offensive streiten jetzt vor allem die gegen Armenien nicht nur als Torschützen auftrumpfenden André Schürrle und Lukas Podolski. „Es ist ein kleines Plus von uns, dass die Spieler in der Offensive in Schwung kommen“, stellte Löw erfreut fest. Miroslav Klose, der gegen Armenien mit Länderspieltor 69 zum alleinigen deutschen Rekordschützen aufstieg und am Montag in Brasilien seinen 36. Geburtstag feierte, wird wohl aus der Joker-Rolle in seine vierte WM starten müssen.

Bei fast 30 Grad hatten singende und klatschende Kinder mit Fähnchen das deutsche Team am Sonntag am WM-Quartier empfangen. Zuvor mussten Spieler und Trainer nach der ersten Fahrt mit dem knallbunten Teambus mit dem Slogan „Ein Land, eine Mannschaft, ein Traum“ aber noch über den Fluss Joao da Tiba übersetzen. Mehrere hundert Einheimische winkten den prominenten Gästen aus Alemanha begeistert zu.

„Beim Blick in die Gesichter der Spieler habe ich gespürt, dass es ein ganz neuer Reiz für sie war“, schwärmte Bierhoff von den ersten positiven Eindrücken von Land, Leuten und dem Campo Bahia. „Ich möchte allen Menschen danken für das, was hier geschaffen wurde.“

Der rund 60-köpfige DFB-Tross hat sich auf einen langen Aufenthalt in Brasilien eingestellt, möglichst bis zum 13. Juli. „Realistisch ist natürlich der Weg bis zum Finale. An etwas anderes möchten wir gar nicht denken“, sagte Bierhoff selbstbewusst.

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