Fußball:Jean-Marc - wer? - Herr Bosman erschüttert Fußball-Europa

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Stuttgart (dpa) - Jean-Marc Bosman hat seine Sportart mal geliebt, jetzt blickt er mit Verachtung auf den Fußball in Europa. Früher sei es ein schönerer und geselligerer Sport gewesen, sagt der Ex-Profi der italienischen Zeitung "Gazzetta dello Sport".

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Stuttgart (dpa) - Jean-Marc Bosman hat seine Sportart mal geliebt, jetzt blickt er mit Verachtung auf den Fußball in Europa. Früher sei es ein schönerer und geselligerer Sport gewesen, sagt der Ex-Profi der italienischen Zeitung „Gazzetta dello Sport“.

Aber mittlerweile habe er sich in eine Maschinerie verwandelt. „Die Spieler verdienen astronomische Summen, Verträge werden nicht respektiert“, meint er verbittert. „Der Fußball ist zum Geschäft geworden.“

Und Bosman selbst hat auf den Tag genau vor 20 Jahren seiner Meinung nach maßgeblich dazu beigetragen. „Die Spieler waren auf einmal frei. Doch diese Spieler verstehen heute nicht, was das Bosman-Urteil bedeutet“, sagt er in einem „Kicker“-Interview. Dass man heute so wechseln könne, habe „viel mit dem damaligen Urteil zu tun“, sagt er. „Ich möchte, dass die Profifußballer von heute verstehen, dass ein Mann vor 20 Jahren bis aufs letzte Hemd dafür gekämpft hat.“

Als Profi ist er nur Mittelmaß, doch mit seinem mutigen Schritt löst er Anfang der Neunziger eine Fußball-Revolution aus. „Das war ein Urteil mit schwerwiegenden Folgen für den Fußball, ganz speziell für die Clubs. Bis dahin hatten wir eine relativ gut funktionierende Welt unter den Clubs“, sagte Bayern Münchens Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge jüngst der Deutschen Presse-Agentur. „Mit dem Urteil kam eine große Bewegung in Sachen Gehälter, Transferablösen, etc. Es war schön für die Spieler und schlecht für die Clubs.“

Das nach Bosman benannte „Bosman-Urteil“ durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) am 15. Dezember 1995 erschüttert die Funktionäre. Nach dem Ende ihres Vertrags dürfen Fußballspieler in Europa nun ablösefrei den Verein wechseln. Bosman durfte das nicht. Die Geschichte des Belgiers ist auch die Geschichte eines Mannes, der einen langen Kampf gewonnen, aber dennoch viel mehr verloren hat.

Bosman wird 1964 in Montegnée geboren, einem Vorort von Lüttich, unweit der Grenze zu Deutschland. Noch heute lebt er in der Region. Das Beste, was der Fußballprofi während seiner kurzen Karriere erleben darf, sind zwei UEFA-Cup-Spiele gegen den FC Tirol und Rapid Wien. Bosman ist Mittelfeldspieler, nicht sonderlich begabt und daher auch kaum bekannt. Seine Laufbahn beginnt er beim belgischen Erstligisten Standard Lüttich, berühmt wird der heute 51-Jährige aber erst als Spieler des Stadtrivalen RFC.

Als 1990 sein Vertrag ausläuft, will der Club ihn zwar verlängern, bietet Bosman aber deutlich weniger Gehalt an. Das lehnt der mehrfache Familienvater ab und will stattdessen zum französischen Zweitligisten USL Dünkirchen wechseln. Der RFC verlangt von den Franzosen dafür eine hohe Ablösesumme von rund 600 000 Euro, die weder Dünkirchen noch ein anderer Club für den Mittelfeldspieler bezahlen möchte. Bosman beginnt zu klagen.

„Jean-Marc war in der Tat der Einzige, der den Mut hatte, es zu tun“, sagte der Generalsekretär der internationalen Spielergewerkschaft FIFPro, Theo van Seggelen, dem Internetportal „spox.com“. „Ich weiß, dass sie damals versucht haben, ihn umzustimmen und ihm eine Menge Geld geboten haben.“

Doch Bosman lehnt das ab und trifft damit eine für ihn folgenschwere Entscheidung. Über fünf Jahre dauert der Prozess, den in Fußball-Europa niemand so wirklich ernst nimmt. Bis der EuGH 1995 mit seinem Urteil den Profifußball für immer verändert.

„Nach so einem Prozess gegen eine der mächtigsten Organisationen der Welt kann ich dir garantieren, dass dein Leben zu einer Tortur wird“, sagt er. Seit dem Gerichtsentscheid genießen Profifußballer in Europa wie andere Arbeitnehmer Freizügigkeit. Nach Bosmans Ansicht hat das in den Folgejahren zu explodierenden Gehältern geführt.

Sein Argument: Nach dem Ende eines Kontrakts gibt es für die Clubs seit dem Urteil keinen entsprechenden Ersatz in Form einer hohen Ablösesumme mehr. Also müssen sie die begehrten Spieler langfristig binden. Das lässt die Gehälter um ein Vielfaches steigen.

Bosman hatte nie etwas davon, die meisten Clubs lehnen ihn nach dem Urteil ab. Für den RCS Visé macht er in der Saison 1995/1996 noch sieben Spiele und schießt ein Tor. Dann beginnt sein Absturz, zwischenzeitlich verfällt er dem Alkohol. Dem „Kicker“ sagt er: „Es gab eine Zeit, da zählte ich die Cents, so dreckig ging es mir.“ Ob er Freunde im Fußball habe? „Nein, niemanden“, sagt Bosman.

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