Fußball in Italien:Rosella sagt nicht addio

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Klubchefin Rosella Sensi stemmt sich gegen den Wunsch von Banken und Protestlern, sie möge den tief gestürzten AS Rom verkaufen - denn das wäre ihre größte Niederlage.

Birgit Schönau

Es sind Szenen einer Belagerung, die sich am südlichen Stadtrand von Rom abspielen. Horden von Barbaren marschieren über die uralte Konsularstraße Via Laurentina, ihr Ziel heißt Trigoria, das Trainingszentrum des AS Rom. Sie tragen Roma-Fahnen und Totti-Trikots, die neuen Barbaren Roms sind die Ultras. Ihr Feind heißt Rosella, die Ultras belagern eine Frau. Nicht um sie zu erobern, sie wollen sie vertreiben. "Rosella, hau' ab!" steht auf ihren Spruchbändern, die sie auch im Stadion ausrollen, wenn die Roma-Präsidentin Rosella Sensi auf der VIP-Tribüne sitzt. Gut 500 Ultras standen am Wochenende in Trigoria ante portas, andere zogen zur Sensi-Villa an der Via Aurelia und machten dort Radau. Die Carabinieri mussten eingreifen - bis der finanziell und sportlich angeschlagene AS Rom am Sonntag in Siena spielt, sind weitere Aufmärsche zu erwarten. Rosella, die Umlagerte, soll endlich aufgeben. Und verkaufen.

Beherrscht vom Feudalsystem

Schlimmer, weil mächtiger und unberechenbarer als die Krachmacher aus der Kurve sind die Gläubiger der Großbank Unicredit in Gestalt ihres Chefs Alessandro Profumo. Inter-Fan übrigens, aber das tut nichts zur Sache. Oder doch? Italpetroli, die Firma der Sensi, steht bei Unicredit mit knapp 300 Millionen Euro in der Kreide. Um den Schuldenberg langsam abzutragen, hatte Rosella Sensi sich verpflichtet, im Laufe des vergangenen Jahres Industrieanlagen und Immobilien für 150 Millionen zu verkaufen. Aber nichts geschah. Jetzt scheint es, dass Profumo zum Verkauf der Roma drängt.

Der Bankier stammt aus Genua. Vor ein paar Jahren hat er jene römische Bank übernommen, die den Sensi einst Dauerkredit gewährte. Weil sie in Erdöl und Fußball machten. Und noch mehr: Weil sie Römer waren und dazugehörten. Im Vatikan wie in der Politik, auf den Wohltätigkeitsbällen wie im Fußball - genau wie früher die römischen Bankiers, die ihre Institute führten, als handele es sich noch immer um mittelalterliche Vereine zur Abzocke von Rom-Pilgern. Profumo hat mit all dem keine Verträge. Er lehnt das römische Gemauschel ab, er denkt nicht in Feudalsystemen, sondern international. Er ist modern, das ist für Sensi die größte Gefahr.

Denn der Kampf um die Roma ist exemplarisch für die Zerreißprobe des italienischen Fußballs zwischen einem provinziellen, von alten Privilegien zehrenden Establishment und einer egalisierenden Globalisierung, in der längst nicht alle Straßen nach Rom führen. Beherrscht von Feudalherren, die lieber mit Mann, Maus und Klub untergehen, als ihre Vereine der Konkurrenz zu überlassen, ist der Calcio das letzte Bollwerk gegen Marktgesetze, die vor allem in Rom als unhistorisch, ja zersetzend empfunden werden.

Die Sensi sind aus Verhandlungen mit dem US-Börsenguru George Soros ausgestiegen, sie haben das Angebot eines mysteriösen Schweizer Konglomerats abgelehnt, dessen Verhandlungsführer unklug genug war, zu erklären, das Fünf-Millionen-Gehalt des Roma-Kapitäns Francesco Totti "ruiniere" den Klub. Seit einigen Monaten bemüht sich der Pharma-Unternehmer Francesco Angelini um den AS Rom, er hat ein Angebot über 220 Millionen Euro gemacht und würde ein neues Stadion bauen.

Rosella Sensi hat abgelehnt. Sie weiß, dass es mit Angelini ernst werden könnte. Der Mann ist nicht nur Römer. Er ist auch Roma-Fan. Und einer der reichsten Männer Italiens. Angelini spielt in der italienischen Bridge-Nationalmannschaft, er spielt aber auch Fußball. Und er hat beste Beziehungen zur Bank Unicredit, deren Vertreter ihn angeblich noch diese Woche treffen wollen. Es geht, natürlich, um die Roma. Im Buschfunk der römischen Fußball-Lokalradios ist der Klub schon verkauft, schließlich verspricht Angelini den verzweifelten Fans vollmundig Verstärkung.

Im Sommer hatte Rosella Sensi zwar für 23 Millionen Euro das Mittelfeld-Talent Alberto Aquilani verkauft, doch keinen Hoffnungsträger nach Rom geholt. Nur Ehemalige, Versehrte und Verschmähte, die sich Seite an Seite mit den Weltmeistern Totti und De Rossi nach zwei Niederlagen auf dem letzten Tabellenplatz wiederfanden. Luciano Spalletti, der in vier Jahren als Trainer die Roma drei Mal in die Champions League geführt hatte, kündigte letzte Woche, Sensi heuerte daraufhin den früheren Juventus-Coach Claudio Ranieri an. Der ist Römer aus Testaccio, dem Schlachthofviertel, wo die Roma gegründet wurde.

Eine Erbin von vielen

Sensis Antwort auf Konkurrent Angelini ist: Seht, ich schaffe es immer noch, erstklassiges Personal einzustellen. Und zu sparen - der Neue bekommt viel weniger als Spalletti. Bei seiner Vorstellung sagte Ranieri: "Mit dem Champagner-Fußball ist es vorbei. Wir müssen pragmatischer spielen." Das sind die Aussichten: Frascati-Landwein statt Luxus-Brause.

Den Klub zu verkaufen wäre für Rosella Sensi die größte Niederlage. Weil sie dann in Rom zum Niemand würde - zu einer Erbin von vielen. Sich vom Fußball zu verabschieden heißt, einem guten Teil von Macht und Einfluss addio zu sagen. Das allein ist der Grund, warum Italiens Industrielle am Minusgeschäft des Calcio kleben. Sensi war überdies unklug genug zuzugeben, dass sie vom AS Rom ein Gehalt bezieht. Angeblich 1,6 Millionen Euro, "dafür arbeite ich auch 24 Stunden am Tag".

Die Fans nahmen es ihr sehr übel. Als vor einem Jahr ihr Vater, der alte Roma-Präsident starb, galt sie noch als Reinkarnation von Cornelia, der Mutter der Gracchen: tapfer und aufrecht kämpfte sie gegen die Vorherrschaft des Fußball-Nordens. Heute wird sie in Rom geschmäht wie einst Messalina. Sie ist die einzige Frau, die einen europäischen Großklub führt. Aber die Roma zu verkaufen, wäre vielleicht ein Akt der Emanzipation.

© SZ vom 10.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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