Der Presseattaché der Stuttgarter Kickers meinte es nett mit der Begrüßung, doch Louis van Gaal machte nicht die Miene eines "kommenden deutschen Meisters 2010". Nach 10:0 Toren bei schwülem Wetter nannte der Trainer des FC Bayern die Testspielleistung "ausreichend für einen Viertligisten". Punkt. Mehr sagte van Gaal an dieser Stelle nicht, er drückt sich gerne kurz und pointiert aus, der Hintersinn im Subtext ist dann wichtiger als das gesprochene Wort.
Erstligatauglich fand er das Spieltempo gegen den Stuttgarter Regionalligisten nicht, und es kostete van Gaal am Ende seiner kritischen Ausführungen sicher auch Überwindung, Johan Cruyff zu zitieren, jenen niederländischen Fußballheiligen, der ihm mit seiner Meinungsmacht das Trainerleben fast überall erschwerte. "Cruyff hat gesagt", sagte also van Gaal, "jeder Nachteil hat einen Vorteil."
"Die Zeit drängt!"
In einem Crashkurs versucht van Gaal gerade, seine sehr konkrete Vorstellung von Fußball nach München zu exportieren. Es ist die alte Hollandschule - offensive Dominanz, Pressing, Schließen und Öffnen von Räumen -, bereichert um einen strengen Kollektivgedanken und um van Gaals Passion für rasante Ballzirkulationen, am liebsten in Form von Passdreiecken. Bis zum Exzess, jeden Tag, üben die Bayern während ihrer Sommerklausur in Donaueschingen an bunten Hütchen harte Kurzpässe, nicht schienbein- oder hüfthoch, sondern "ÜBER - DEN - RASEN!", wie der Maestro immer wieder hineinbrüllt. "Jedes System braucht Zeit zum Erlernen", sagt Verteidiger Philipp Lahm, insofern ist es zweifellos ein Riesennachteil, dass jetzt, in der intensivsten Lern- und Einspielphase, die Königsfigur der Münchner fehlt: Franck Ribéry.
Zwar hat sich das Transfertheater um den Franzosen beruhigt, aber nun streikt das linke Knie. Erst war ein Schleimbeutel entzündet, jetzt ist es die Patellasehne. Möglich, dass Ribéry in ein paar Tagen pumperlgesund ist, doch van Gaal klingt besorgt: "Die Zeit drängt, auch für Franck!" Van Gaal hält Verletzte erst "nach drei Wochen Training" für wettkampffit. Ribéry hat noch keinen Ball gesehen in Donaueschingen, wo 2007 seine Ulknudelkarriere bei Bayern begann (mit Zahnpasta-Attentaten auf Türklinken). Am Donnerstag gab es zumindest ein Lebenszeichen, mit Physiotherapeut Thomas Wilhelmi und Luca Toni, dem zweiten Sorgenkind, joggte Ribéry über die Grüns der hoteleigenen Golfanlage. In den beiden Testspielen am Wochenende (gegen Köln am Freitag und gegen die Komiker-Truppe "Sportfreunde Pocher" am Samstag) fehlt er.
Neben vielen eher marginalen aktuellen Problemen stört die Absenz Ribérys van Gaals Saisonvorbereitung empfindlich. In seiner 4-4-2-Versuchsanordung soll der Dribbelfilou nicht mehr mit Anlauf von links kommen, sondern zentral Regie führen. Ohne ihn sieht van Gaal als Alternative für die Rautenspitze: "Baumjohann, Sosa oder Müller." Es mag der Vorteil im Nachteil sein, dass sich diese Jungen nun in Tests zeigen können, aber bei aller Wertschätzung der Genannten: Es geht um keine beliebige Position, es geht um die Schaltstelle der Macht.
Parallelen zu Klinsmann
Für van Gaal ist der Zehner der wichtigste Servicemann der Stürmer, er hat ja richtig diagnostiziert, dass hinter den Spitzen ein kreatives Vakuum klafft. Der in Turin gelandete Diego stand nicht zufällig auf van Gaals Einkaufszettel, und es ist ebenfalls kein Zufall, dass der Trainer seinem neuen Torjäger Mario Gomez speziell aufträgt, er müsse "noch das Zusammenspiel mit Position zehn verbessern". 2008 startete van Gaals Vorgänger - ohne den verletzten Ribéry - holprig. Mitunter hört sich van Gaal ohnehin an wie ein Klinsmann-Zwilling: "Die ersten Monate könnten schwer werden. Wir arbeiten, wollen uns jeden Tag verbessern. Das ist ein Prozess, es geht um ein ganzheitliches Prinzip, meine Philosophie."
Der Unterschied zu Klinsmann: Van Gaal erhält für Bitten um Geduld keine Widerworte. Das Vertrauen in seine Fachkompetenz und Arbeitsansätze ist hoch, auch Manager Uli Hoeneß, am Mittwoch Trainingsgast, dürfte gefallen, welch militärische Disziplin in der Gruppe herrscht. Belastend sind für van Gaals Einstand die vielen Reisen (am Donnerstag zum Freitag-Test zum 1. FC Köln), die Überbesetzung des Kaders, aus dem nun immerhin Tim Borowski ausscheidet, und die vielen Ausfälle in bisher allen Tests. Die meisten Angeschlagenen kehrten am Mittwoch unversehrt zur Gruppe zurück, größeren physischen Rückstand haben neben Ribéry Bastian Schweinsteiger (nach Knie-OP wieder am Ball) - und Luca Toni. Das Fehlen des Italieners vermag van Gaal zeitlich nicht zu befristen, es macht aber die Behauptungskämpfe im Sturm einfacher für Gomez, Klose - und für Zugang Ivica Olic, der den Zusatzvorteil hat, auch beide Mittelfeldflanken dynamisch bespielen zu können.
Butt ist der Favorit fürs Tor
Defensiv ist Louis van Gaal zwar "mit dem Pressing schon sehr zufrieden", doch seine aktuell favorisierte Viererkette Braafheid-Badstuber-Demichelis-Lahm muss sich größerer Branchenskepsis erwehren: "Löchrig ohne Lúcio?", fragt gar der Kicker, während die Bayern ihre bisher erfolglose Suche nach einem weiteren Rechtsverteidiger vermutlich bald ergebnislos beenden werden. In der Torwartfrage ist Jörg Butt Favorit, Michael Rensing hielt bisher stets hinter der B-Formation Wache, er sieht sich als "Herausforderer". Aber, hofft Rensing, "das Rennen ist noch offen. Und ich bin nicht der schlechtere Fußballer". Er weiß: Für fortgesetzten Ballbesitz fordert van Gaal sichere Rückpässe statt riskanter Angriffsmanöver, da ist gute Technik für Torhüter kein Nachteil.