Es sah fast so aus wie früher. Die deutsche U21-Nationalmannschaft hatte gerade das zweite von sechs Toren gegen Serbien geschossen, da ging Stefan Kuntz leicht in die Knie, wahrscheinlich schrie er auch, das war von der Tribüne aus nicht zu hören. Dann bewegte er die Faust vor und zurück. Er trug zwar ein Hemd, kein buntes Neunzigerjahre-Fußballtrikot, aber mindestens ein wenig erinnerte es trotzdem an die Kuntz-Säge, seinen berühmten Torjubel zu aktiven Zeiten. Vielleicht wollte man es auch nur so sehen, weil es so gut zu diesem Abend der Stürmer passte.
Die deutsche U21 ist bei der Europameisterschaft in Italien und San Marino als Titelverteidiger angetreten, sie wollten dieses Wort vor dem Turnierstart beim DFB nicht so gerne verwenden, aber spätestens seit dem 6:1 gegen Serbien am Donnerstagabend ist klar, dass die Mannschaft aus guten Gründen so genannt wird.
Nach dem zweiten Sieg im zweiten Spiel reicht nun bereits ein Unentschieden gegen Österreich im letzten Gruppenspiel am Sonntag, um sicher das Halbfinale zu erreichen und damit die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020. Seit diesem Donnerstagabend ist auch klar, dass Deutschland Talente in der Offensive hat, die das Tor treffen können, wenn man sie richtig einsetzt.
Waldschmidt trifft gleich dreimal
Schon beim 3:1 gegen Dänemark hatten zwei Angreifer die Tore geschossen, Marco Richter zwei und Luca Waldschmidt eins. Am Donnerstag traf zunächst Richter vom FC Augsburg mit einem Chip über den serbischen Torwart, dann Waldschmidt vom SC Freiburg nach einer Vorlage von Richter, vor der Pause noch mal Waldschmidt nach einem Lauf mit dem Ball am Fuß fast durch die ganze gegnerische Hälfte an seinem Gegenspieler vorbei, den er mit einem platzierten Schuss abschloss.
In der zweiten Hälfte schoss Waldschmidt zwischen zwei Toren der Mittelfeldspieler Mo Dahoud und Arne Maier noch das 5:0. Sieben von neun EM-Treffern haben nun Stürmer erzielt. "Die Qualität ist da", sagte Kuntz. Aber das war nicht seine ganze Erklärung.
Der Trainer selbst hatte vor dem Turnier immer mal wieder angedeutet, dass es der eine erfolgreiche Torjäger ist, der im Kader fehle, was womöglich zur Schwäche werden könne. Es ist auch der Unterschied zur erfolgreichen EM 2017, als in Davie Selke von Hertha BSC ein großer und kräftiger Stürmer Flanken empfing und Bälle hielt. Und es ist ja die scheinbar ewige Debatte im Nationalteam, jedenfalls seit dem Rücktritt von Miroslav Klose 2014, dass Deutschland keine solche Mittelstürmer mehr hat. "Einen Horst sehe ich bei uns nicht im Nachwuchs, und wenn man den nicht hat, dann muss man anders spielen, das macht der Jogi Löw ja auch", sagte Kuntz am Donnerstagabend. Horst Hrubesch, sein Vorgänger als U21-Trainer, 1,88 groß, Europameister 1980, ist in Deutschland immer noch die Vergleichsgröße.
Richter, 21, ist 1,76 Meter groß, Waldschmidt, 23, misst 1,81 Meter, beide sind eher schmächtig, das sah man am Donnerstag besonders deutlich im Vergleich mit dem bulligen Luka Jovic, vor rund zwei Wochen als angeblich 70 Millionen Euro teurer Transfer von Eintracht Frankfurt zu Real Madrid vorgestellt. Wie die ganze serbische Mannschaft spielte Jovic allerdings scheinbar ohne große Motivation.
"Sie waren nicht ganz so stark", sagte Mittelfeldspieler Florian Neuhaus höflich über den Gegner, der mit viel zu großen Abständen verteidigte und ohne Plan angriff. Unglaublich viel sagt ein Sieg über einen so einfach geschlagenen Gegner für die Zukunft nicht aus. Aber wenn, dann zeigte es, dass viele Waldschmidts manchmal mindestens so viel Wert sein können wie ein Horst.
"Ich probiere ganz vorne zu bleiben, aber auch immer wieder ins Mittelfeld zu kommen", so hat Waldschmidt unter der Woche seine Rolle beschrieben. Beim SC Freiburg, wo er in der vergangenen Saison neun Tore schoss und laut Kuntz zum Führungsspieler reifte, lässt er sich eher zurückfallen, spielt als hängende Spitze. Am Donnerstag half ihm, dass sich Dahoud mehr in den Spielaufbau einschaltete als noch gegen Dänemark, dass der am Donnerstag famose Neuhaus als zweiter sogenannter Achter in die gefährlichen Räume im Angriff vordrang und Chance um Chance einleitete. Ja es half sogar, dass Torwart Alexander Nübel die Abwehrkette nach vorne schob, so erklärte es Kuntz. Er sagte: "Die guten Räume anlaufen, rechtzeitig spielen, relativ viel Bewegung drin haben. Da sind die Jungs richtig gut drin."
Dass er vor dem Turnier einen Torjäger vermisste und nun gleich zwei im Team hat, das könne zwei Dinge bedeuten, sagte er. Entweder: "Ich kann meine Mannschaft nicht einschätzen." Oder: "Wir hatten die richtigen Ideen, wie wir die Qualität, die wir haben, gut auf die Straße bringen." Er lachte. Dann entschied er sich für die zweite Option.