Fußball-EM:Belgien steckt in der Schönspieler-Falle

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Eden Hazard: Schön am Ball, aber gegen Italien erfolglos (Foto: AFP)

Die hoch veranlagte Mannschaft startet enttäuschend in die EM - und Belgien stellt sich die Frage: Ist Trainer Wilmots nicht gut genug für die goldene Generation?

Von Ulrich Hartmann, Lyon

Manchmal herrscht sogar in der Hölle Verzweiflung. "Rote Teufel" werden die belgischen Fußballer genannt, weil Rot ihre Trikotfarbe ist und weil das Teuflische von fußballerischer Erbarmungslosigkeit zeugen soll. Theoretisch. Das waren aber arme Teufel, die da am Montag kurz vor Mitternacht im Untergeschoss des Stadions von Lyon in ihren Bus geschlichen sind. "1 Team - 1 Ambition", steht als Slogan auf diesem Bus, aber die kollektive Ambition dieser besiegten Belgier war zunächst nur, sich zu verkriechen. Die höllische Schmach gegen Italien müssen diese Teufel erst einmal verdauen.

Ratlosigkeit hat viele Gesichter. Beim bislang herausragenden Spiel dieser Europameisterschaft sah man sie im Gesicht des Flügelspielers Kevin De Bruyne, der seine Schüsse und Flanken nicht ans Ziel brachte, beim Stürmer Romelu Lukaku, der seine Torchancen allesamt vergab, und beim Torwart Thibaut Courtois, der ganz allein in seinem Tor stand und jedes Mal aufgeregt schrie, wenn die Italiener wieder einen ihrer Konter starteten und Belgiens Mittelfeld überrannten.

Man sah die Ratlosigkeit aber vor allem nach dem Spiel im Gesicht des Trainers Marc Wilmots, der seine Mannschaft, die in Europa zu den meistgeschätzten und bei dieser EM zu den Favoriten gezählt wird, in einem großen Spiel mal wieder hatte verlieren sehen. Wilmots zuckte in der Pressekonferenz die Schultern, ließ den Kopf hängen, formulierte Sätze der Zaghaftigkeit und des Zweifels.

Die Belgier sind nicht effektiv

Er werde seine Spieler nicht anklagen, sagte er nach der 0:2-Niederlage im ersten Spiel gegen Italien immer wieder, wohlwissend, dass die belgischen Medien mit ihm nicht so tolerant sein werden. Die so hoch veranlagte belgische Auswahl hat einmal mehr in einem wichtigen Spiel versagt. Das fällt auch auf Wilmots zurück und wirft die Frage auf: Ist womöglich dieser Trainer nicht gut genug für diese goldene Generation?

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Die Belgier haben den Ball am Montagabend 7:48 Minuten länger gehalten als die Italiener. Insgesamt 34:34 Minuten lang zählte die Statistik belgische Ballkontrolle. 529 Pässe mit einer 85-prozentigen Erfolgsquote wurden von ihnen gespielt, aber dieser positive statistische Wert stammt aus dem Mittelfeld, und im Mittelfeld werden keine Tore erzielt. Von den 18 Bällen, die die Belgier letztlich Richtung italienisches Tor gebracht haben, sind nur zwei so aufs Tor gekommen, dass Gianluigi Buffon sie abwehren musste. Die Abschlussquote der Italiener war trotz nur 44 Prozent Ballbesitz deutlich besser. Von ihren elf Versuchen sind fünf aufs Tor gekommen, zwei hinein gegangen. Das ist eine Effektivität, die den Belgiern abgeht.

Sie rennen, sie lassen den Ball rotieren, sie suchen ihre Flügelspieler Eden Hazard und Kevin De Bruyne, zwei der meistgeschätzten Fußballer Europas vom FC Chelsea und von Manchester City - sie bringen viele Bälle in den Strafraum und suchen die Abschlüsse, aber genau die gelingen ihnen nicht. Im Viertelfinale der Weltmeisterschaft in Brasilien vor zwei Jahren hatten sie ein ähnliches Erlebnis gegen Argentinien. Auch damals hatten sie 53 Prozent Ballbesitz - und verloren 0:1. Vergleichbar war damals ihr Mangel an effektiver Kreativität vor dem argentinischen Tor. Genau das wollten sie diesmal besser machen.

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Kevin De Bruyne, einer der schnellsten und technisch besten Spieler Europas, bringt in entscheidenden Länderspielen sein Potenzial bislang nicht auf den Rasen. "Ich würde es erklären, wenn ich nur könnte", sagte Wilmots am Montagabend und zuckte die Schultern. "Ist er müde nach einer anstrengenden Saison?", fragte Wilmots rhetorisch, um die Antwort gleich selbst zu geben: "Ja, vielleicht." Der Trainer beurteilte De Bruynes Leistung skeptisch und wusste sich zur Verteidigung seines Spielers nicht anders zu helfen, als dessen Leistungen der vergangenen Jahre noch einmal zu würdigen. "Ich werde ihn jetzt nicht hinrichten", sagte Wilmots. Fußball kann brutal sein, deshalb ist es seine Sprache manchmal auch.

Wilmots bleibt in diesem bitteren Moment nichts anderes übrig, als das Potenzial seiner Mannschaft, der Nummer zwei der Weltrangliste, herauszustellen und auf die verbleibenden beiden Gruppenspiele gegen Irland am Samstag und gegen Schweden am darauffolgenden Mittwoch hinzuweisen. "Nichts ist verloren", sagt er. Es sollte wie eine Attacke klingen.

Tatsächlich stehen die Chancen gegen diese beiden Nationen besser, weil sie nicht über die defensiven Qualitäten der Italiener verfügen. "Belgien hat eine großartige Mannschaft - es ist eine Mannschaft für die Zukunft", hat Italiens Trainer Antonio Conte nach dem Spiel gesagt. Es war als Trost gedacht, aber es war auch ein ernst gemeintes Lob. Die Frage ist, wann die Zukunft dieser Mannschaft beginnt, und ob sie Gefahr läuft, ihre Zukunft dereinst erfolglos zu überholen. Es wäre nicht die erste goldene Generation im Fußball, die ihr Potenzial verschläft.

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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