Fußball-Champions-League:Wieder im Rausch

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Der VfL Wolfsburg lässt sich beim Champions-League-Debüt nicht irritieren und schlägt dank eines überragenden Grafite ZSKA Moskau mit 3:1.

Claudio Catuogno

Dass sie sich beim deutschen Meister gewissenhaft vorbereitet hatten auf dieses ihnen bisher unbekannte Bedeutungsmonster namens Champions League, hat man gleich beim Betreten des Stadions gesehen. Alles, was den VfL Wolfsburg bisher ausgemacht hat: mit schwarzer Flatterfolie abgeklebt. Nicht nur die Schriftzüge mit dem Logo des Klubeigentümers, das hier sonst omnipräsent ist, diesmal aber bloß auf den Trikots geduldet war, weil die Uefa mit einem anderen Autobauer paktiert. Sogar seine gläsernen Kühlschränke hat der Klub schwärzen müssen, damit bloß kein Blick auf ein böses Getränkefläschchen fällt, dessen Abfüller nicht zu den offiziellen Sponsoren zählt.

Fast hätten die Wolfsburger auf die Idee kommen können, sie seien in der Champions League nicht mehr Herr im eigenen Haus. Aber dann dauerte es nicht lange, und auch ihr erster Auftritt auf der großen europäischen Bühne wurde zum Abziehbildchen der jüngsten nationalen Erfolge: 1:0 Grafite, 2:0 Grafite, 3:1 Grafite. Das war der Endstand in dieser aufregenden Partie. Aber war das wirklich die viel beschriebene Königsklasse? War das ZSKA Moskau auf der anderen Seite? Oder vielleicht doch - zum Beispiel - der VfL Bochum?

Es war ja durchaus ein spannendes Abenteuer gewesen, wie sich dieses von Felix Magath zusammengestellte und nun von Armin Veh trainierte Kollektiv anstellen würde, wenn es plötzlich eine Etage nach oben gehievt wird, in ein für fast alle Beteiligten völlig unbekanntes Terrain. Außer dem Nigerianer Obafemi Martins, der lange bei Inter Mailand unter Vertrag stand und zuletzt in Newcastle, war noch kein Wolfsburger Stammspieler je in einem Champions-League-Spiel dabei. Und außer Armin Veh natürlich, doch dessen Debüt 2007 mit dem VfB Stuttgart gilt ja bis heute als mahnendes Beispiel für alle Überraschungsmeister: Fünf der sechs Gruppenspiele hatten Vehs Stuttgarter damals verloren, woran allerdings acht zeitgleich verletzte Akteure nicht ganz unschuldig waren.

In Wolfsburg hatte sich zuletzt niemand ernsthaft verletzt, das nicht, aber aus dem Rausch des letzten Frühjahrs war eben grauer Alltag geworden. Spiele gegen Hamburg, Bayern, Leverkusen, alle drei teils deftig verloren, jetzt Moskau und am Freitag schon Magaths Schalker - Veh hatte vor der Partie wenig lustvoll von einem "Abarbeiten" der Aufgaben gesprochen. Und von der Möglichkeit, sich nun in Europa für nationale Pleiten zu rehabilitieren, was in etwa so klang, als wolle sich ein verunsicherter Hobbywanderer auf dem Mount Everest neuen Optimismus besorgen.

Doch schon Vehs Startaufstellung konnte in dieser Hinsicht als programmatische Grundsatzpapier gewertet werden: alles auf Angriff! Neben dem bosnisch-brasilianischen Wuchtsturm der letzten Spielzeit, den Herren Edin Dzeko und Grafite, durfte auch Martins seine Trainingsjacke abstreifen. Geschätzte 40 Millionen Euro Marktwert belagerten nun also das Moskauer Tor - das war dem exquisiten Anlass durchaus würdig, führte anfangs allerdings dazu, dass Zvjezdan Misimovic, der begnadete Passgeber der Wolfsburger, bisweilen recht weit in der eigenen Hälfte agierte. Und notgedrungen seine Kernaufgabe vernachlässigte: begnadete Pässe.

Bis zur 36. Minute. Da entlockte der Bosnier seinem Fuß eines jener Zuspiele, gegen die ein ganzer Pulk von Abwehrspieler machtlos ist, und dann war in Wolfsburgs schwarz abgeklebter Arena plötzlich alles wieder wie im Mai: Der Rausch war wieder da. Der frei gespielte Grafite tunnelte Moskaus Torwart Akinfeev mit aufreizender Selbstsicherheit - das erste Wolfsburger Champions-League-Tor. Drei Minuten später sicherte der Brasilianer seinem Team mal wieder einen Elfmeter: ein Trikotzupfer im Strafraum, ein spektakuläres Zu-Boden-Stürzen - Grafite verwandelte den Strafstoß selbst.

Es war dann auch eine Menge Leerlauf in der Partie, und in der 77. Minute konnte der Verteidiger Andrea Barzagli den freigespielten Alan Dzagoev nicht stoppen: nur noch 2:1. Doch dann traf tatsächlich erneut Grafite (86.) - und die Wolfsburger Debütanten genossen sichtlich, was ihnen Armin Veh für den Fall einer Niederlage angeblich verboten hatte: den Trikottausch. Und nein, es waren nicht die des VfL Bochum. Es waren wirklich echte Champions-League-Trikots.

© SZ vom 16.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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