Fußball-Bundesliga:"Wie Heinrich Heine in den Pariser Salons"

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Konrad Beikircher, Forscher der rheinischen Lebensart, erklärt, warum das Experiment Podolski/München scheitern musste.

Interview: Philipp Selldorf

SZ: Herr Beikircher, Sie als langjähriger Forscher der rheinischen Lebensart und Autor des profunden Werks "Et kütt wie et kütt - das rheinische Grundgesetz" können sicherlich Uli Hoeneß darüber aufklären, warum Lukas Podolski unbedingt aus der Fußballweltstadt München in die Fußballprovinz Köln wechseln will.

"Köln ist keine Stadt, sondern ein Gefühl." Konrad Beikircher,l. , der sich freut, dass Fußballspieler Lukas Podolski, r., nach Köln zurückkehren wird. (Foto: Foto: ddp/dpa)

Beikircher: Kann ich ihm sagen, klar: Weil es so schön ist in Köln. Aber es hat natürlich auch mit dem Benehmen der Bayern zu tun: Podolski kam als Provinzler in die Metropole - und wurde erst mal im Salon stehen gelassen. Sie haben ihm gesagt: "Wir zeigen dir, wie schön es bei uns ist, aber erst mal musst du hier warten." Das hat er nicht verstanden. So muss sich Heinrich Heine in den Pariser Salons gefühlt haben. Am Anfang war er dort ja auch nur der Deutsche. Die Pariser haben ihn links liegen lassen, weil sie meinten: Was will der denn hier? Schließlich hat sich Heine durchgebissen und Eleganz gelernt. Aber die Bayern sind klobiger, so viel Eleganz wie die Pariser haben sie nicht.

SZ: Hoeneß kann den Fall nicht verstehen; er denkt: Der FC Bayern ist doch der Mittelpunkt des deutschen Fußballs, eigentlich der ganzen Welt...

Beikircher: So denken alle Diktatoren.

SZ: ...Hoeneß' ganzes Unverständnis gipfelte dann in der Klage: "Köln, Köln, für ihn (Podolski, Anm.) gibt es nur Köln. Er träumt von Köln Tag und Nacht."

Beikircher: Ich will das mal an Uli Hoeneß' Nürnberger Rostbratwurstfabrik erläutern: Man kann einem Nürnberger nicht erklären, dass auch in Aachen hervorragender Lebkuchen gemacht wird. Das ist ja ganz normal, im Fall Podolski und Köln aber auch sehr speziell. Es gibt dieses Lied der "Höhner", das sagt eigentlich alles: Köln ist keine Stadt, sondern ein Gefühl. Wenn man - wie Podolski - dieses Gefühl hat, dann kann man darauf nicht verzichten. München wirkt da wie ein Antidot. Es war also bald klar: Podolski wird dort entweder untergehen oder zurückkehren müssen, sonst verliert er seine Gefühlsmitte. Außerdem haben es die Münchner vergeigt: Wenn sie ihn hätten spielen lassen, dann hätte er sein Gefühl zumindest ein paar Jahre vergessen - bis er dann wieder heimgekehrt wäre.

SZ: Streng genommen ist Podolski gar kein Kölner. Geboren wurde er in Gliwice (Gleiwitz), wo er seine ersten beiden Lebensjahre verbrachte.

Beikircher: Dass er in Polen geboren wurde, das spielt keine Rolle. Jeder hier wird Ihnen sagen: Der ist ein Kölscher. Vom Gefühl her. Die Kölner haben gespürt, dass er sich da unten einsam fühlt. Dass er ein Familientier ist - was in Köln sowieso ganz weit vorn ist - und nach Hause will. Und durch den Widerstand der Bayern wurde er im Bewusstsein der Kölner immer kölscher - bis hin zu der grandiosen Forderung im Express: Jetzt muss (Oberbürgermeister) Schramma ran! So ist die allgemeine Überzeugung: Ne Kölsche Jong jehört noh Kölle, denn Köln hat nicht nur geographische, sondern auch emotionale Koordinaten. Es gibt auch mentale Rheinländer, die nie im Rheinland waren, zum Beispiel Albert Einstein.

SZ: Andererseits gibt es die diskriminierenden Ansichten der Ureinwohner über die Wesen aus den umliegenden Kreisen und Gemeinden. Denen wird bestenfalls die Anerkennung als Kölner versagt - oder sie werden gleich als Bauern bezeichnet.

Beikircher: Dennoch ist der Glaube an das Magische im Rheinländer unbeirrbar. Er schafft sich damit seine eigenen Wahrheiten: Am Ende haben sie sogar Willy Millowitsch in den Himmel gehoben, obwohl sie immer unterstellt haben, dass nur die Euskirchener in sein Theater gingen. Bis zu seinem Tod haben sie ihm vorgeworfen, er würde Kölsch mit Knubbeln sprechen. Aber auf der Domplatte betrauerten ihn dann 30000 Menschen.

SZ: Um Podolski heimzuholen, hat sich in Köln eine gesellschaftliche Bewegung gebildet: Ein Förderverein sammelte Geld, ein Kirchenchor stimmte Bittgesänge an, Fans haben an der Säbener Straße beim FCBayern demonstriert und so weiter. Wie ernsthaft waren solche Aktivitäten?

Beikircher: Ich weiß zumindest, dass eine ganze Reihe von Leuten, die mit Fußball nix zu tun haben, Kerzen für den Lukas angezündet haben. Und ein Pfarrer aus dem Rechtsrheinischen hat mir erzählt, dass selbst die Zuhälter aus seiner Gemeinde - "meine Zuhälter", wie er sagt - welche aufgestellt haben. Der Reflex ist: Das ist das Kind in der Fremde, der Junge muss zurück. Das hat mit Religion natürlich nicht viel zu tun, aber man muss sich wundern, dass der Kardinal Meissner nicht durch ein paar nette Sätze über Poldi die Gelegenheit genutzt hat, die Herzen der Kölner zu gewinnen. Schade, dass sich die Kirche da raushält, denn Fußball ist in Köln ein Rundumphänomen, mit vollständiger Einbettung in das Lebensgefühl.

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SZ: Peter Millowitsch, der Sohn von Willy, hat jetzt anlässlich von Podolskis bevorstehender Rückkehr erklärt: "Jetzt ist das Leben wieder in Ordnung. Alles ist wieder da, wo es hingehört." Ist das nicht, na ja, ein wenig spießig?

Beikircher: Aber nein. Das ist die kölsche Variante von Willy Brandt, ein Wiedervereinigungsgefühl: Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört. Aus Kölner Sicht ist das genau das Empfinden. Bezeichnend ist ja auch, dass in der ganzen Sache keiner übers Geld spricht, also über den ökonomischen Vorgang und dessen Folgen. Weil es einfach zu profan ist.

SZ: Ausländische Experten wie Günter Netzer meinen, der Wechsel bedeute für Podolski einen sportlichen Abstieg.

Beikircher: Das sehe ich anders. Er bekommt ja einen objektiven Ausgleich: Er wird wieder spielen können, und außerdem kriegt er eine Tonne Gefühl nach der anderen entgegen geschaufelt.

SZ: Das kann erdrückend werden.

Beikircher: Klar, wenn man so plattgeliebt wird. Und man muss hoffen, dass Lukas, wenn er wieder da ist, nicht die falschen Dinge sagt. Er muss jetzt bedienen, dass die Kölner ihn immer weiter geliebt und deswegen zurückgeholt haben. Sonst werden die Leute sagen: Der hat sich in München zum Schlechten verändert.

SZ: Podolski erweitert die Reihe der Rückkehrer beim FC: Manager Meier, die Trainer Daum und Koch, Präsident Overath und Vizepräsident Glowacz - lauter Leute von früher. Lebt Köln in der Vergangenheit?

Beikircher: Wenn etwas damals schön war und die Leute von damals noch da sind, dann will man das wieder haben. Das ist nicht Nostalgie, da gibt es einen Unterschied. Man setzt die Vergangenheit einfach in der Gegenwart fort. Der Rheinländer lebt ja nicht wirklich im Gewebe der Geschichte, er lebt im Jetzt und glaubt an die Regelbarkeit von allem.

SZ: Ist der Rheinländer konservativ?

Beikircher: Im Prinzip ja. Man sieht es am Karneval. Seit Jahren überlegt man, wie man den Karneval modernisiert - und fährt trotzdem fort wie bisher. Das gilt genauso für die revolutionären Alternativen von der "Stunksitzung". Dabei wäre die Lösung einfach: Rein in das Lokale, raus aus Fernsehen und Mainstream. Aber die Verantwortlichen sagen dann: Eine Milliarde Umsatz - was will man machen?

SZ: Podolski hätte auch nach Rom, Turin, London gehen können, aber er hat den Karrierefortschritt verweigert. Das ist gegen die Konventionen in der am ständigen Aufstieg orientierten Leistungsgesellschaft des Profifußballs. Kann er seinen Entschluss vor den Kollegen vertreten?

Beikircher: Aber selbstverständlich. Er ist zu früh weggegangen, hat in München das Fundament nicht gefunden. Was das Seelische angeht, sind Fußballer wie Opernsänger - es macht unglaublich viel aus. Das einzig Richtige für ihn ist also, zurückzugehen. Da sehe ich keinen Abstieg. Wäre er jetzt nach Rom oder London gegangen, wäre das eine Heulsusennummer geworden, das hätte nix gegeben.

SZ: Sie stammen aus Südtirol, leben schon lange in Bonn. Sie könnten das also wissen: Das Alpenland und das Rheinland - stoßen sich diese Mentalitäten ab?

Beikircher: Aber nein. Die Mentalitäten sind verwandt durch die Verwurzelung im Mediterranen, in der italienischen Lebensauffassung. Aus dieser Richtung hätte es also für Podolski in Bayern funktionieren können, aber die diffuse Ähnlichkeit reichte nicht, ihm fehlte halt die Geborgenheit.

SZ: Köln und Podolski: eine Romanze im Profifußball?

Beikircher: Ja, herrlich. Es ist sozusagen Titanic ohne Untergang.

© SZ vom 17.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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