Fußball-Bundesliga:Elementarteilchen

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Neuling im Fokus der Fotografen: Augsburgs kurz vor der Winterpause fest installierter Trainer Manuel Baum, 37. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Wie der junge Rangnick, nur ohne Brille: Der FC Augsburg lässt sich mit dem ehrgeizigen Trainer Manuel Baum auf ein spannendes Experiment ein.

Von Maik Rosner, Augsburg/München

Es gibt im Archiv des ZDF eine schon etwas angestaubte Szene, in die sich Manuel Baum ganz gut hineindenken lässt. Ein junger und in der Branche noch eher unbekannter Trainer mit runden Brillengläsern steht vor einer Taktiktafel und erklärt "das Phänomen Viererkette", wie er sagt. Es folgen Begriffe wie "extrem ausgeprägtes Pressing", "Vakuum schließen", "Staubsauger" und "Scheibenwischer" sowie der Hinweis, "dass unsere beiden Innenverteidiger den Libero je nach Situation erzeugen". Nach seinem ersten Auftritt im Aktuellen Sportstudio im Dezember 1998 hatte der damals 40 Jahre alte Ralf Rangnick den Beinnamen "Fußball-Professor" weg. Die Traditionalisten störten sich an seinem akademischen Zugang.

Anders als der damalige Ulmer Fußballlehrer - heute Sportdirektor von RB Leipzig - liefe Manuel Baum, 37, wohl kaum Gefahr, so tituliert zu werden, wenn er nun im Laufe der zweiten Saisonhälfte einem breiteren Publikum seine Idee vom Fußball erklären würde. Nicht nur, weil das Publikum die Viererkette mittlerweile fast schon wieder für unmodern hält. Sondern auch, weil es sich an einen wissenschaftlichen Zugang zum Fußball gewöhnt hat. Es wäre allerdings möglich, dass Baum nach seiner jüngsten Beförderung zum Cheftrainer des FC Augsburg von sich aus eine Taktiktafel ins TV-Studio mitbringt, vielleicht eher noch ein iPad oder einen Laptop.

Das sagen jedenfalls jene, die Baum seit Jahren kennen und in ihm einen äußerst ehrgeizigen Fachmann sehen, der als Diplom-Sportwissenschaftler, Realschul- und Fußballlehrer über das Spiel nicht nur vor seinen Kickern dozieren kann wie ein Physiker über Elementarteilchen, obwohl Baum von sich selbst sagt, seine Spielphilosophie passe "auf eine DIN-A4-Seite".

In Interviews veranschaulichte Baum als Trainer des damaligen Drittligisten SpVgg Unterhaching seine Ausführungen gerne mal am Laptop, und dass er viel von moderner Trainingslehre hält, haben vor der Winterpause auch die Augsburger Profis gemerkt. Nach der überraschenden Trennung von Dirk Schuster brachte Baum zu seiner ersten Einheit als Interimstrainer eine Taktiktafel mit. Nach dem Auftakt mit Laktattests an diesem Dienstag dürfte Baum im Trainingslager in Marbella verstärkt von visuellen Hilfsmitteln Gebrauch machen. Wichtig sei ihm, hat er einmal gesagt, "dass die Spieler im Training nicht nur konsumieren, sondern auch wissen, warum sie etwas machen".

Er sei "immer schon ein Querdenker" gewesen, sagt Manuel Baum über sich

Es ist ein spannendes Unternehmen, auf das sich die Augsburger da festgelegt haben. Baum, geboren in Landshut, brachte es trotz nur 1,72 Meter Körpergröße zu einem ambitionierten Amateurtorwart, spielte in der Jugend beim TSV 1860 München und später beim FC Ismaning in der vierten Liga. Danach wurde er beim FC Unterföhring Spielertrainer, anschließend beim Siebtligisten FT Starnberg erstmals Chefcoach, wo er mit Videoanalysen auf sich aufmerksam machte. Auch deshalb ließ ihn Heiko Herrlich 2011 als seinen Assistenten nach Unterhaching holen, wo Baum 2012 Teamchef unter Trainer Claus Schromm wurde und auf eigenes Drängen im Januar 2014 alleiniger Trainer. Dass er nach nur zwei Monaten wieder abgesetzt wurde, habe viel mit der Doppelbelastung zu tun gehabt, nebenbei in der Hennes-Weisweiler-Akademie seine Fußballlehrerlizenz zu erwerben - so sagt es Baum. In Unterhaching war eher der Eindruck entstanden, den jungen Spielern sei seine sehr fordernde Lehre zu viel geworden.

Interessant wird nun zu beobachten sein, wie die fordernde Lehre auf Dauer bei den gestandenen Augsburger Profis ankommt. Im Verein glauben sie fest an Baum. Im August 2014 hatte ihn Geschäftsführer Stefan Reuter als Nachwuchs-Cheftrainer geholt, um eine einheitliche Spielidee im Sinne des Vereins von der U 10 bis zur U 23 vorzugeben. Zuletzt feierten die Jugendteams viele Erfolge. Auch deshalb genießt Baum bei der Vereinsführung nach zweieinhalb Jahren als Talent-Entwickler hohes Ansehen, wenngleich es auch beim FCA zwischenzeitlich intern mal knirschte.

Das könnte auch daran gelegen haben, dass Baum über sich sagt, er sei "immer schon ein Querdenker" gewesen, der versucht habe, "Sachen komplett anders zu machen". Baum sei einer mit Ecken und Kanten und habe einen großen Drang, "Chef im Ring" zu sein, sagen Weggefährten. Als "sehr fleißig" und "extrem guten Fußballfachmann" beschreibt ihn Augsburgs Präsident Klaus Hofmann. Und Stefan Reuter sagt, er sei "überzeugt, dass Manuel Baum der richtige Trainer ist, um die Philosophie des FCA im Sinne des Vereins umzusetzen und weiterzuentwickeln".

Wie sich Baum das vorstellt, hat er bereits umrissen, und dabei fielen Begriffe wie "sehr aggressiv pressen", "nach Balleroberung schnell umschalten" und "zielgerichtet spielen". Ein bisschen klang das wie vor 18 Jahren bei Ralf Rangnick. Nur jetzt halt mit Tablet.

© SZ vom 03.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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