French-Open-Siegerin Ostapenko:Ein neues Champion-Gesicht im Tennis

Lesezeit: 4 min

Plötzlich Grand-Slam-Siegerin: Die Lettin Jelena Ostapenko gewinnt die French Open. (Foto: AFP)
  • Die 20-jährige Lettin Jelena Ostapenko gewinnt überraschend die French Open gegen Simona Halep.
  • Ostapenko hatte eigentlich schon wie die Verliererin ausgesehen - dann drehte sie auf.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen bei den French Open.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Die Geschichte ist wirklich verrückt. Da saß, in dieser Januarnacht von Melbourne, Jelena Ostapenko in einem winzigen Presseraum der Australian Open. Es war spät, sie hatte gerade hauchdünn 8:10 im dritten Satz gegen die Tschechin Karolina Pliskova verloren, in der dritten Runde des Turniers. Da fragte sie in kleiner Runde ein Journalist: "Da draußen meinte gerade ein Kollege, Sie gewinnen einmal mindestens zwei Grand-Slam-Turniere. Was denken Sie, wenn Sie so etwas hören?" Man hätte die damals 19-jährige Ostapenko auch fragen können, ob sie Lust hätte, ihre Karriere hinzuwerfen und Yogalehrerin in Goa zu werden. Der Blick wäre der gleiche gewesen. Erst schaute sie entgeistert, dann kicherte sie. Was für ein Quatsch.

Vier Monate später steht Ostapenko auf dem Court Philippe Chatrier und spricht in ein Mikrofon, die Backen leuchten rot: "Ich kann es nicht glauben, dass ich jetzt Roland-Garros-Champion bin. Mit 20 Jahren." Sie strahlte und ratterte im gleichen Tempo weiter, in dem sie ihre Schläge von der Grundlinien verteilt: "Ich liebe euch, es war immer mein Traum, hier zu gewinnen, es ist wunderbar, hier zu sein."

Ostapenko hatte gerade erst ihr achtes Match überhaupt bei den French Open bestritten. Im letzten Jahr hatte sie sofort verloren. Nun marschierte sie durch, bis sie den Coupe Suzanne Lenglen in Händen hielt, nach einem 4:6, 6:4, 6:3 gegen die an drei gesetzte Simona Halep. Gleich beim ersten Grand Slam ohne Serena Williams, die schwanger ist und nach ihren dominanten Jahren eine Auszeit nimmt, hat das Frauentennis eine Überraschungssiegerin hervorgebracht. Nicht mal sie selbst hatte sich ja auf der Rechnung.

"I love you, guys"

Ostapenko, erst am Tag ihres Halbfinalsieges gegen die Schweizerin Timea Bacsinszky 20 geworden (Bacsinszky wurde am selben Tag 28), hat nun ihren Platz in der Tennishistorie sicher. Sie ist die erste Lettin, die eines der vier wichtigsten Turniere gewann, inklusive der lettischen Männer. Sie ist die erste Ungesetzte, die bei den Frauen triumphierte, seit es die sogenannte Open Era gibt, die Profizeit (1968). Sie ist die jüngste Paris-Siegerin seit Iva Majoli (19/1997). "I love you, guys", das wiederholte sie mehrmals bei ihren ersten Kommentaren in Richtung Publikum.

Ostapenkos Sieg ist auch einer der Jugend. Das Frische, Freche, Mutige hatte sich durchgesetzt. Auch im Finale am Samstag. Das Match begann sofort so, wie beide ihre Rollen selbst definierten. Ostapenko ging auf jeden Ball, als hänge ihr Leben davon ab. Halep lief und rannte und rackerte so, wie sie es eben kann. Die eine wollte die Chance ihrer jungen Karriere ergreifen, die andere sich mit dem verlorenen Finale von 2014 versöhnen; Halep war damals der Russin Maria Scharapowa unterlegen. Ostapenko pfefferte fast jeden Return ihrer Gegnerin brachial zurück.

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Wie sie das macht? Das erklärte Baszinczky zuvor gut: "Sie ist so jung, sie denkt einfach nicht nach. Sie spielt einfach teilweise Bälle, die sie in fünf, sechs Jahren ganz sicher nicht mehr spielen wird, weil es bessere Varianten gibt." Halep versuchte in die Ballwechsel zu kommen, Ostapenko, sie zu beenden. Hop- oder Top-Tennis gegen stabiles Grundlinientennis, diese zwei Varianten maßen sich miteinander. Sie rangen miteinander. Im Grunde hing der Verlauf gänzlich von Ostapenko ab: Ging ihr Risiko auf, punktete sie. Ging es nicht auf, punktete Halep. Die dann tatsächlich wie die kommende Siegerin aussah.

Nach zwei Breaks und Re-Breaks auf beiden Seiten nahm Halep ihrer Gegnerin bei 5:4 nochmals das Aufschlagspiel ab. 14 Winner donnerte Ostapenko ihr ins Feld, aber 23 Fehler unterliefen ihr auch. Halep ließ Ostapenko kühl auflaufen. In Satz zwei führte sie dann 3:0, hatte drei Breakbälle zum 4:0. Und dann kippte das Spiel.

Ostapenko gab Halep keine Zeit zum Verschnaufen, sie verteilte Vorhand und Rückhand wie Feuerwerkskörper, die furios ihre Schönheit auf den Linien und in den Ecken entfalteten. 22 Winner verbuchte sie in diesem Durchgang (18 Fehler). Aus dem 0:3 wurde ein 4:3, 4:4 - und dann setzte die so leidenschaftliche Ostapenko den Stich. Sie nahm Halep das Service-Game ab, servierte aus - 6:4. Dritter Satz. Von der rumänischen Gemeinde, die sehr lange sehr viel Lärm gemacht hatte, wenn Halep punktete, war jetzt nicht viel zu hören.

Halep war zu passiv, das war ihr vorzuwerfen. Nur: Wie soll man aktiv werden, wenn dein Gegenüber schon beim Return einen Meter vor der Grundlinie steht und der Ball sofort zurückschießt wie in einem Flipperautomaten? Andererseits ist das Spiel von Ostapenko emotional für sie sehr fordernd. Wer sich ständig pusht, fällt auch mal in ein kleines Loch der Enttäuschung, wenn es nicht läuft. Für sie ist der Frust schon mal schnell groß, aber der Unterhaltungswert ist es auch - wenn sie etwa völlig fassungslos ist, dass ein Schlag mit höchstem Risiko nicht zum Erfolg führte, hat das fast schon Theaterdramapotential.

Das erste Break schaffte Halep, 3:1, der Konter, 3:3. Nicht "Si-Mo-Na" ertönte jetzt, jetzt ertönte "Je-Le-Na". Sie hatte wieder Breakball, es folgte ein schicksalsträchtiger Moment. Eine Rückhand von Ostapenko, der Ball knallt gegen die Netzkante, er wäre ins Aus gegangen, weit. So aber trudelt er zurück seitlich ins Feld, unerreichbar nur Zentimeter hinters Netz. 4:3 für Ostapenko, die sich diesen Vorteil nicht mehr nehmen ließ. Ihren ersten Matchball verwandelte sie sofort, sie knallte den Rückhandreturn wie ein Schwert schwingend die Linie entlang ins linke Eck.

Ja, jetzt hat das Frauentennis ein neues Champion-Gesicht. Eines einer Frau, die Winner auf Winner spielt, 299 waren es in sieben Matches in Paris. Zwei Millionen Euro kassiert Ostapenko nun, in der Weltrangliste ist sie jetzt auf Platz zwölf geklettert. Verständlich, dass sie mehrmals auch wiederholte: "Ich kann es nicht glauben." Mit Haleps Niederlage bleibt die Deutsche Angelique Kerber weiterhin die Nummer eins der Welt.

Wie speziell dieser Triumph ist, verdeutlicht ein Vergleich. Der letzte Profi, dem sein erster Turniersieg überhaupt auch gleich beim Grand-Slam-Turnier in Paris gelang, war der Brasilianer Gustavo Kuerten - am 8. Juni 1997. An dem Tag wurde Ostapenko geboren.

© SZ vom 11.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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