French Open - Match des Tages:Favoritensturz im Frauenfeld

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Mit inteligentem Tennis und enormem Biss gewann Francesca Schiavone vor zwei Jahren die French Open und die Herzen der Zuschauer. 2012 war die Leistung nur mäßig, doch die Italienerin kämpfte sich durch - bis zur dritten Runde. Dann kam Varvara Lepchenko.

Milan Pavlovic, Paris

Match des Tages: Varvara Lepchenko (USA) - Francesca Schiavone (Italien/14) 3:6, 6:3, 8:6

Varvara Lepchenko wurde in Taschkent geboren und nutzte die Gelegenheit, nach einem Juniorenturnier in Florida, USA, zu bleiben. (Foto: AFP)

Wir würden wahnsinnig gerne behaupten, dass Tommy Haas das Match des Tages geliefert hätte. Aber das würde nur dann zutreffen, wenn nur über den ersten Satz seiner Drittrundenpartie gegen Richard Gasquet berichtet werden müsste. Den zog der 34-jährige Hamburger, der inzwischen mit Frau und Tochter in Kalifornien lebt, brillant auf: Er diktierte das Tempo, verteilte die Bälle, nervte den Franzosen mit frechen Rückhandstopps und gewann den Tiebreak verdient mit 7:3.

Doch just als das ewige Versprechen Gasquet anfing, ungeduldig zu werden, verspürte Haas bei 2:2 im zweiten Satz "aus dem Nichts" einen Schmerz im operierten Knie. Sein Kopf war kurzzeitig "nicht bei der Sache", und das reichte, um die Waage auf dramatische Art zu kippen. Denn in dem Maß, in dem Haas die Konzentration verlor, legte Gasquet zu. Und zwar auf beeindruckende Weise: Er schlug die Bälle auf dem Court Suzanne Lenglen reihenweise an oder auf die Linie und sicherte sich so ab 4:3 die letzten 14 Spiele in Serie zum 6:7 (3), 6:3, 6:0, 6:0. "Das ist mir hier schon einmal passiert", gab Haas zu, 2005 gegen Nikolai Dawidenko, "auf demselben Platz - da muss ich nicht mehr spielen".

Sie war die erste italienische Grand-Slam-Siegerin überhaupt

Für das Match des Tages war diese Partie aber zu eindeutig. Deshalb berichten wir dann doch lieber über einen Favoritensturz im Frauenfeld, auch wenn er nicht ganz so überraschend kam, wie man zunächst glauben könnte. Francesca Schiavone hat hier in Paris vor zwei Jahren die Herzen der Zuschauer (und Berichterstatter) erobert, als sie mit intelligentem Tennis und enormem Biss den Titel gewann.

Sie war die erste italienische Grand-Slam-Siegerin überhaupt, im nicht mehr ganz so zarten Tennisalter von 29 Jahren. Obwohl sie danach nur noch selten auf dem selben Niveau spielte, hätte sie ihren Coup am Bois de Boulogne 2011 fast wiederholt, nur die Chinesin Li Na stand ihr im Weg.

2012 waren Schiavones Leistungen vor den French Open noch mäßiger, und wie im vergangenen Jahr sah sie auch diesmal schon früh im Turnier nicht souverän aus. In der zweiten Runde lag sie gegen Tswetana Pironkowa nach dem mit 2:6 verlorenen ersten Satz auch im zweiten Durchgang mit einem Break zurück - eine Erinnerung an das Viertelfinale 2011, als sie gegen Anastasia Pawljutschenkowa 1:6, 1:4 in Rückstand geraten war, bevor sie ins Spiel fand und durch ein 1:6, 7:5, 7:5 weiter kam. Deshalb machten sich ihre Fans während der Partie gegen Pironkowa auch nicht allzu große Sorgen, und bald riss sie sich zusammen und gewann die Sätze zwei und drei 6:3, 6:1.

French Open in Paris
:Vergeblich gestreckt

Wieder einmal scheitert Ana Ivanovic in Roland Garros früh - die Serbin verliert trotz großer Anstrengung gegen eine Italienerin. Besser macht es Dominika Cibulkova, die es eine Runde weiter schafft. Die Schwedin Mathilde Johansson verpasst gegen die Amerikanerin Sloane Stephens den Sieg - worüber sich auch die Franzosen ärgern dürften.

Bilder aus Paris

In der dritten Runde schien eine Zitterpartie gar nicht vonnöten zu sein, der erste Satz ging mit 6:3 an die bald 31-Jährige. Aber genau das sind mitunter die Ausgangssituationen, die Tennisprofis das Leben erschweren, und im Grunde kamen die ersten Warnsignale schon Ende des ersten Satzes. Da ließ Schiavone zunächst zwei Möglichkeiten aus, ihn 6:2 zu gewinnen. Und dann benötigte die Favoritin bei eigenem Service sieben weitere Satzbälle. Sie sicherte sich den Satz zwar mit 6:3, aber nun war Lepchenko mitten im Match.

Im ersten Spiel des zweiten Durchgangs wehrte die 26-Jährige mutig drei Breakbälle ab, bei 1:1 einen weiteren, bei 3:3 zunächst drei hintereinander und den insgesamt achten dieses Satzes. Es kam, wie es im Tennis oft kommt: Im nächsten Aufschlagspiel nutzte Lepchenko den Frust ihrer Gegnerin zum einzigen Break des Satzes aus. Und schon war es die erwartete Zitterpartie - mit einem Anlauf von zwei Stunden und zwei Minuten.

Bevor es in den letzten Satz geht, muss man wissen, dass der Aufschlag in vielen Frauenspielen... na ja, wie sagen wir das... nicht richtig wichtig ist. Bösartige Beobachter haben jahrelang sogar umgekehrt gezählt: Wenn eine Spielerin ihr Service durchbrachte, wurde von einem Break geredet.

So ließ sich dann auch die Fortsetzung zwischen Lepchenko und Schiavone an. Die Italienerin verlor direkt ihr Service, nahm aber jenes ihrer Gegnerin sofort zweimal ab, verlor nach der 3:1-Führung freilich die nächsten vier Spiele, was aber nichts machte, weil Schiavone nach dem 3:5 drei Spiele in Serie gewann. 6:5, nun hat sie die Partie so gut wie gewonnen, dachten viele. Aber weit gefehlt, denn Lepchenko hatte sich festgebissen. Bei 7:6 und eigenem Service wehrte sie noch einmal Breakbälle ab, zunächst drei in Serie, und als der vierte anstand, gelang ihr eine in diesem Match seltene Serie: Aufschlagwinner, Aufschlagwinner und schließlich - beim ersten und zugleich letzten Matchball - ein Rückhandvolleywinner.

Im weiteren Verlauf dieses Samstags gab es dann zwei Partien, die es mit der Dramatik dieses Matchs aufnehmen konnten. Der Spanier Marcel Granollers beendete in fünf gemeinen Sätzen (6:4, 6:4, 1:6, 4:6, 6:1) das traumhafte Comeback des lange verletzten Franzosen Paul-Henri Mathieu. Und die gewaltige Estin Kaia Kanepi, die in den vergangenen Monaten ungefähr zehn Kilo abgespeckt hat, hätte es fast geschafft, einen 6:1, 5:1-Vorsprung zu verspielen.

Caroline Wozniacki, vor einem Jahr noch die Nummer eins der Weltrangliste, holte sich den zweiten Satz tatsächlich im Tiebreak. Danach ging das Spielchen wieder los. Kanepi führte flott mit 5:1, kassierte ein Break zum 5:2, vergab den nächsten Matchball, kassierte das 5:3, doch den vierten Matchball verwandelte sie kurz vor der Dunkelheit zum 6:1, 6:7 (3), 6:3. Und noch ein paar Minuten später vergeudete Julia Görges ihre Chance aufs Achtelfinale, als sie der niederländischen Außenseiterin Arantxa Rus ebenso unnötig wie verdient 6:7 (5), 6:2, 2:6 unterlag. Die Deutsche war schwer erbost, dass das Match nicht abgebrochen wurde, aber auch eine kurzfristig genommene Verletzungspause brachte ihr nicht den erhofften Abbruch.

"Wir Amerikaner brauchen mehr Frauen in der zweiten Woche eines Grand-Slam-Turniers"

Was aber für das Match von Varvara Lepchenko spricht, ist der menschliche Faktor. Obwohl auch schon 26 Jahre alt, bedeutet dieses Turnier den Durchbruch für die Siegerin. 2001 nutzte die in Taschkent geborene Frau, die Gelegenheit, bei einem Juniorenturnier in Florida zu bleiben, "weil ich in meiner alten Heimat Usbekistan keine Zukunft mehr". Seitdem versuchte sie sich einen Namen zu machen, mal mit mehr, mal mit weniger Aufwand.

Im vergangenen Jahr fing der ehemalige Weltklassespieler Patrick McEnroe, sich mehr um die inzwischen in Amerika eingebürgerte Lepchenko zu kümmern. Sie habe das Talent, unter die ersten 100 der Welt zu kommen, versicherte er ihr. "Er sagte mir: ,Wir Amerikaner brauchen mehr Frauen in der zweiten Woche eines Grand-Slam-Turniers.'" Beide Ziele sind erreicht: Am Montag trifft Varvara Lepchenko auf die Wimbledon-Siegerin Petra Kvitova; und in der nächsten Weltrangliste wird sie unter den besten 60 Spielerinnen auftauchen.

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