French Open:Eine Wand am Netz

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Perfekte Harmonie: Das deutsche Doppel Andreas Mies (links beim Volley) und Kevin Krawietz kommt bei der Titelverteidigung in Paris immer besser in Schwung und steht nun im Halbfinale. (Foto: Julian Finney/Getty Images)

Die Titelverteidiger im Doppel, Krawietz/Mies, stehen wieder im Halbfinale von Paris - sie haben gelernt, Stress fernzuhalten und diese Reise zu genießen.

Von Gerald Kleffmann, Paris/München

Um kurz vor 13 Uhr ertönten wieder diese zwei Wörter, die die beiden deutschen Profis im vergangenen Jahr so oft gehört hatten, genau genommen so oft wie kein anderes Duo damals bei den French Open. Die Schiedsrichterin rief kurz und knapp den 6:4, 6:4-Sieg aus, aber nicht für die Briten Jamie Murray und Neal Skupski, sondern für "les Allemands" Kevin Krawietz und Andreas Mies. Dem Coburger und dem Kölner war 2019 ja eine sporthistorische Glanzleistung gelungen, als sie als erstes deutsches Männer-Doppel seit 1937 (Gottfried von Cramm und Henner Henkel) einen Grand-Slam-Titel errangen. Unvergessen, wie Krawietz und Mies die AirBnB-Wohnung wechseln mussten, weil sie zur eigenen Überraschung siegten und siegten. Wie ihr sie anfeuernder Clan in Frankreich anwuchs und anwuchs, weil immer mehr Freunde und Verwandte nachreisten und dabei sein wollten. Und wie beide dann rücklings am Boden lagen, wie Käfer. Käfer aus Allemagne.

"Wir wollen da weitermachen, wo wir letztes Jahr aufgehört haben", das hatte Mies vor einer Woche gesagt, und tatsächlich sind der 30-Jährige und sein 28-jähriger Partner auf einem guten Weg. Nach ihrem souveränen Erfolg am Dienstag tat es zwar erst mal eine innigliche Umarmung, denn noch sind ja zwei Schritte zur Titelverteidigung nötig. Aber sie ist möglich, das ist eine echte Nachricht. Krawietz und Mies - Kramies, wie sie genannt werden - stehen wieder im Halbfinale von Roland Garros. "Das fühlt sich ziemlich gut an", sagte Krawietz ziemlich erfreut.

Das Leben der beiden hatte sich mit dem Coup vor 16 Monaten nicht auf den Kopf gestellt, aber doch stark verändert. Auf einmal wurden sie anders wahrgenommen. "Wenn du auf die Tour kommst, musst du dir erst mal deinen Respekt verdienen. Du musst quasi umso mehr gewinnen, um wahrgenommen zu werden", erklärte Mies, "wir haben direkt den Respekt gespürt. Auch, dass die großen Einzelspieler das mitbekommen haben." Als wäre es abgesprochen gewesen, wurde Mies, während er da sprach, vom Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic bei der Video-Schalte unterbrochen, "sehr schön", rief der Serbe auf Deutsch aus dem Hintergrund.

Ein ähnlich großer Erfolg ist Kramies dann zwar bislang nicht mehr gelungen, aber sie holten einen Titel (in Antwerpen), debütierten und reüssierten im Davis Cup, sie nahmen am ATP-Finale der besten acht Doppel teil, sie setzten sich fest in der oberen Etage. Auch die Corona-Pause hat sie nicht auseinandergebracht. Selbstverständlich ist das nicht, sie leben ja eigenständige Leben. Krawietz hatte zwischenzeitlich, weil er etwas Sinnvolles beitragen wollte, im Supermarkt Lidl gejobbt. Sogar CNN hatte in den USA darüber berichtet.

Manches ist doch ungewohnt: Sie müssen nun im Hotel wohnen, statt wie 2019 in einer WG.

Die Art, wie Krawietz und Mies auf dem Weg ins Halbfinale zuvor schon Alexander Bublik/Michail Kukuschkin aus Kasachstan (6:2, 6:3) sowie Feliciano Coria/Diego Schwartzman (6:2, 6:0) aus Argentinien überrollten, war überzeugend. Sie wirkten am Netz oft wie eine Wand, Krawietz wischt mit seinem Ballgefühl viele Volleys unerreichbar ins gegnerische Feld, Mies ist Überkopf stark. In der dritten Runde hatten sie auch Glück, gegen die Franzosen Benjamin Bonzi/Antoine Hoang wehrten sie drei Matchbälle ab. Das wär's gewesen mit ihrem Traum 2.0. "Wir waren schon dreimal im Auto gesessen und auf dem Weg nach Hause", sagte Kevin Krawietz. Aber auch in dieser enge Phasen blieben sie ihrem Ansatz treu. "Das Wichtigste ist, auf den Platz zu gehen, nicht um nicht zu verlieren, sondern um zu gewinnen", sagte Mies. "Wir blieben positiv", erklärte Krawietz.

So wie die zwei sich geben, kommunikativ untereinander auf dem Platz, gut gelaunt bei den Fragerunden, fällt auf: Sie haben es geschafft, dass diese Rückkehr an den "magischen Ort", wie Mies die French Open nennt, nicht zu einer Stressreise, sondern zu einer Genussreise wurde. Denn Druck ist ja vorhanden, "alle Augen sind auf uns gerichtet, vor allem in Deutschland", wusste Krawietz zu berichten. Schon nach der Ankunft in Paris saugten sie alles auf, "wir sind erst mal schnurstracks durchgegangen zu unserer Umkleidekabine hinten, die wir letztes Jahr auch hatten", erzählte Mies. Sie hätten sich hingesetzt und sich an viele Details erinnert. "Wir sind mit sehr vielen Gefühlen hierhergekommen", gestand Krawietz.

Schon jetzt ist ihre Teilnahme als Erfolg zu werten, auch wenn sie diesmal ihre Freude nicht auf der Anlage mit ihrem Clan teilen können; nur Rudi Krawietz, Kevins Vater, ist dabei, die Corona-Sicherheitsmaßnahmen erlauben nicht mehr Begleitung. Sie müssen im Hotel wohnen statt in einer WG, auch das vermissen sie. Und zum Eiffelturm dürfen sie ebenfalls nicht raus, mit dem sie eigentlich noch eine Rechnung offen haben, abreißen wollten Kramies das Wahrzeichen von Paris, nach ihrem Triumph. Aber sie haben ohnehin anderes vor, sie sind nicht mit ihrem Werk fertig. Trotz der Dichte in der Doppelkonkurrenz haben sie sich in Stellung gebracht. Krawietz sagte, worauf es nun ankommt: "Ab jetzt ist es Kopfsache, die Schläge sind da."

© SZ vom 07.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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