Fortuna Düsseldorf:Selbst für Sadisten zu hart

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Einen Moment lang nicht eng genug markiert - und schon gelingt dem Dortmunder Erling Haaland das Siegtor gegen Düsseldorf. (Foto: Leon Kuegeler/Reuters)

Die abstiegsgefährdeten Rheinländer machen gegen Dortmund so gut wie alles richtig, bleiben aber unbelohnt.

Von Milan Pavlovic, Düsseldorf

In Kürze dürfte eine Studie erscheinen, die Lehrern lange gesuchte Argumente an die Hand geben und Schüler nachdenklich stimmen könnte. Ihr Titel lautet: Warum Mathematik weniger grausam ist als Bundesliga-Fußball. Fallbeispiel ist die Saison von Fortuna Düsseldorf, und die Kernthese lautet: Wenn Schüler das Richtige machen, aber aufgrund eines doofen Flüchtigkeits- oder Wiederholungsfehlers zum falschen Ergebnis kommen, werden ihnen trotzdem ein paar Punkte gutgeschrieben, meistens genug für eine ausreichende Note. Im Fußball hingegen bleibt nur das, was am Ende unter dem Strich steht - wie es dazu kam, ist letztlich nachrangig. Und dann ist prompt die Versetzung gefährdet.

Bei der Fortuna heißt das konkret: Das Team hat im Lauf der Saison 24 Punkte nach Führungen vergeben. Mit 24 Punkten mehr wäre Düsseldorf nicht bloß gerettet, der Klub wäre mit größter Wahrscheinlichkeit schon für den Europacup qualifiziert. Es wäre die passende Krönung für das stolze Jubiläum des Vereins (125-jähriges Bestehen) gewesen, das am Samstag gegen den BVB, in der staubigen und zuletzt offenbar von Tauben rege frequentierten Arena, mit einem blütenweißen Jersey gefeiert wurde. Die Erinnerung an besonders doof (das 3:3 gegen Hertha BSC nach 3:0-Führung) oder besonders spät (1:1 gegen Frankfurt, zuletzt 2:2 in Köln) eingebüßte Zähler schien angesichts des schmucken Outfits kurzzeitig zu verblassen. Aber die Wunden wurden durch Erling Haalands spätes Gegentor wieder aufgerissen.

Doppelt gemein ist, dass das 0:1 gegen Dortmund in der Gleichung der verschluderten Punkte gar nicht auftaucht. Es fühlte sich nur so an wie ein verlorener Sieg, weil so viel mehr möglich gewesen war für die Gastgeber. Denn Trainer und Team hatten im Duell mit dem Ligazweiten taktisch praktisch alles richtig gemacht.

In der Startelf suchte man vergeblich nach dem erfolgreichsten (Rouwen Hennings) und dem schnellsten Stürmer (Steven Skrzybski). Aber das gehörte zum Plan von Coach Uwe Rösler, der seinem Team zunächst den Aufenthalt in der gegnerischen Hälfte untersagt zu haben schien. Es sah fast so aus, als hätten die Düsseldorfer eine Heidenangst vor Mats Hummels, der nach seiner Gelbsperre zurück war. Und was soll man sagen: Sie hatten völlig Recht. Die einzige Chance des ersten Durchgangs (17. Minute) entstand nach einer Fortuna-Ecke und einer Kopfballabwehr von Hummels, die zur perfekten Vorlage wurde. Über Hazard und Sancho kam der Ball in hohem Tempo zu Achraf Hakimi, der zentral und ganz allein auf Torwart Kastenmeier zueilte. Doch auf dem Weg wurde der 21-jährige Marokkaner nicht nur langsamer, sondern er driftete nach links - und sein Schuss prallte am linken Bein des Torwarts ab.

Danach verlegte sich Röslers Elf bis zur Pause noch strenger auf die Defensive. Alle Lücken, die die Dortmunder Flügelwiesel Sancho, Hakimi und Guerreiro aufreißen wollten, rannten die Fortunen zu; am Ende war Düsseldorf neun Kilometer mehr gelaufen als der BVB. Auch hier schien Röslers Konzept aufzugehen: Je schlapper die Gäste wurden, desto frecher und frischer und gefährlicher wirkte der Außenseiter. Der Trainer setzte mit der Einwechslung von Hennings und Skrzybski das letzte Zeichen, bei formidabel inszenierten Kontern fehlten dann zweimal nur wenige Zentimeter zum 1:0. Zunächst traf Skrzybski mit dem rechten Innenrist den linken Innenpfosten (82.); schließlich setzte Hennings in der 90. Minute den flinken Kollegen noch einmal in Szene, der sich gegen zwei Dortmunder durchsetzte und am Strafraum mit dem rechten Außenrist abschloss - an den rechten Außenpfosten.

Es war also schon ein trauriger Nachmittag für Düsseldorf, bevor der Dortmunder Manuel Akanji in der 95. Minute zur Willy-Sagnol-Gedächtnisflanke ausholte, Haaland sich in die Höhe schraubte und per Kopf traf - eine Wendung, die selbst Sadisten zu hart gewesen sein dürfte.

Bleibt die Frage, welche Schäden von diesem Spiel zurückbleiben. Rösler suchte nach kurzer Sprachlosigkeit nach Perspektiven: "Die Mannschaft ist es gewohnt, Rückschläge wegzustecken. Wie ich sie kenne, wird sie gegen Leipzig zurückkehren." Vermutlich ist es derzeit tatsächlich besser, in Leipzig zu spielen, wo der Tabellendritte zuletzt einige Punkte liegen ließ und nach der Corona-Pause noch kein Spiel gewonnen hat. Auch Skrzybski schaute optimistisch nach vorne: "Die Leistung stimmt uns positiv. Wir wollen jetzt nicht rumheulen, sondern weiter Gas geben und es aus eigener Kraft schaffen." Die beiden abschließenden Aufgaben (gegen Augsburg, bei Union Berlin) bieten sich da an.

Rösler tröstete die Trauernden kurz, als er sagte: "Heute geht es darum, Mitgefühl mit den Jungs zu haben." Um rasch offensiv zu werden: "In der Kabine ist der Wille, es den Skeptikern und Zweiflern zu beweisen." Jetzt muss sich Rösler bloß noch ein Jubiläumstrikot schnappen und mit auf den Platz kommen.

© SZ vom 15.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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