Formel 1 in Brasilien:Rosberg schimpft: "Wie viele Unfälle denn noch?"

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Chaotisches Rennen in Brasilien: Lewis Hamilton (vorne) und Nico Rosberg passieren Trümmerteile. (Foto: Leo Correa/AP)

Im Regen- und Unfallchaos von Brasilien siegt Lewis Hamilton vor Nico Rosberg. Der Deutsche muss seine WM-Feier verschieben - und ist verärgert über die Rennleitung.

Von René Hofmann, São Paulo/München

Auf dem Autódromo José Carlos Pace hat es schon viele denkwürdige Formel-1-Rennen gegeben. 2007 staubte der Finne Kimi Räikkönen den bisher letzten Titel für Ferrari ab - weil sich die McLaren-Männer Fernando Alonso und Lewis Hamilton zu leidenschaftlich beharkten. Ein Jahr später feierte Felipe Massa 30 Sekunden lang den WM-Titel - bis Lewis Hamilton sich in seinem McLaren in der letzten Kurve der letzten Runde noch den entscheidenden fünften Platz sicherte.

2012 holte Sebastian Vettel im Red Bull seinen dritten Titel - nach einer imposanten Aufholjagd, nachdem er kurz nach dem Start von Bruno Senna umgedreht worden war und das gesamte Feld an sich hatte vorbeirauschen lassen müssen. Das vorletzte Rennen der Saison 2016 reihte sich in diese illustre Reihe ein. Das Rennen wurde zweimal unterbrochen, es war geprägt von fünf Safety-Car-Phasen, und lange war unklar, ob der Chaostag überhaupt ein gutes Ende finden würde. Erst nach mehr als drei Stunden, als der Abend schon heraufdämmerte, stand der Sieger fest: Es war Lewis Hamilton. Der Brite gewann erstmals in São Paulo und verkürzte den Rückstand auf seinen Mercedes-Kollegen Nico Rosberg, der Zweiter wurde, auf zwölf Punkte.

Die Entscheidung, wer von den beiden als Champion gekrönt wird, fällt somit am 27. November beim Saisonfinale in Abu Dhabi. Dritter wurde Red-Bull-Mann Max Verstappen vor Sergio Perez (Force India) und Ferrari-Fahrer Sebastian Vettel. "Ich hätte hier lieber gewonnen. Aber die Bedingungen waren sehr schwer, deswegen kann ich mit dem zweiten Platz leben", sagte Rosberg, 31. "Ich bin weiter auf der Jagd", formulierte der gleich alte Hamilton eine Kampfansage.

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Erster Unfall vor dem Start

Nico Rosberg 19 Punkte vor Lewis Hamilton - das war die Ausgangsposition. Hamilton hatte sich in der Qualifikation die Pole-Position gesichert - vor Rosberg. Das Duell, das die gesamte Saison geprägt hatte, stand auch in Brasilien im Mittelpunkt des Interesses. "Ich will gewinnen. Und so werde ich es auch angehen", versprach Rosberg. "Ich bin fit und fokussiert", versicherte Hamilton. Je näher die Startzeit rückte, desto mehr Blicke aber schweiften von den beiden weg und zum Himmel. Das Wetter ist im aufziehenden Frühling in São Paulo oft unberechenbar. So sehr wie dieses Mal wurde das Programm des Grand Prix vom Regen aber selten durcheinandergeschwemmt.

Den ersten Unfall gab es bereits, bevor es überhaupt los ging. Auf dem Weg in die Startaufstellung schleuderte das Auto des Teams Haas mit dem Franzosen Romain Grosjean am Steuer gegen eine Wand. Für den 30-Jährigen war daraufhin Schluss. Damit die Streckenposten in Ruhe für Ordnung sorgen konnten, wurde der Auftakt um zehn Minuten verschoben.

Stehender Start oder doch losfahren hinter dem Safety Car? Das war die meistgestellte Frage in der Startaufstellung. Erst unmittelbar, bevor die Lichter an der Startampel angeschaltet wurden, entschied sich die Rennleitung für die sichere Variante, den Start hinter dem Safety Car. Sieben Runden lang kreiste dies. Als es das Rennen endlich freigab, zog Hamilton souverän davon und Rosberg mit Abstand hinterher. Dahinter überraschte der junge Verstappen (Red Bull) den routinierten Räikkönen (Ferrari) in der ersten Kurve mit einem Überholmanöver. Die Nummer war gewagt, sie ging aber gut.

Lewis Hamilton klagte über Wasser, das in sein Visier lief; Sebastian Vettel drehte sich bei voller Fahrt, weil er kurz von der Ideallinie abkam; nicht wenige Hinterbänkler pokerten mit einem frühen Wechsel auf die Allwetterreifen - es war einiges geboten. Sieben Runden lang ging alles gut. Dann rutschte einer der Pokerfreunde - Marcus Ericsson - aus und schlug mit seinem Sauber so heftig an, dass erneut das Safety Car gerufen wurde. So lange das im mal mehr und mal weniger heftigen Regen kreiste, lief alles unspektakulär. Kaum war es aber von der Strecke gebogen, ereignete sich ein spektakulärer Unfall: Räikkönens Ferrari verlor auf der schnellen Start-und-Zielgeraden die Traktion und bog im rechten Winkel in die Mauer ab. Nur mit viel Glück konnten die Folgenden ausweichen.

Zum ersten Mal wurde das Rennen unterbrochen. Nach 20 Runden reihten sich die verbliebenen Autos in der Boxengasse auf. 35 Minuten später ging es weiter. Aber auch nicht lange. Acht Runden später gab es die zweite Rot-Phase. Der Regen war nach Meinung der meisten Fahrer zu stark, um schnelle Runden zu drehen. Das Publikum sah es mehrheitlich anders. Es buhte, was Rennleiter Charlie Whiting aber nicht beeindruckte. Nachdem der Franzose Jules Bianchi 2014 von der regennassen Strecke in Suzuka unter einen Bergekran schleuderte und später an den Folgen des Unfalls starb, gilt besonders unter kritischen Bedingungen: Die Sicherheit hat Vorfahrt.

Auch beim dritten Start an diesem Nachmittag wurde deshalb das Safety Car vorausgeschickt. Als es in der 32. Runde das Rennen freigab, verlor Nico Rosberg den zweiten Platz an Max Verstappen, der erneut beherzt attackierte, außen herum in einer Linkskurve. Verstappens Vorteil: Er musste nicht taktieren. Rosberg indes musste bei jeder Aktion den WM-Stand im Kopf behalten. Eine wichtige Marke für ihn: Runde 54. So viele Umläufe mussten mindestens absolviert werden, damit die volle Punktzahl vergeben wurde.

Rosberg schimpft über Funk

Sechs Runden vor dieser Marke gingen erneut die gelben Warnlampe entlang der Strecke an. Williams-Fahrer Felipe Massa war zu Beginn der Start-und-Zielgeraden in die Streckenbegrenzung geschleudert. Für den 35-Jährigen war es ein besonders bitterer Abschied. Der Brasilianer wird seine Formel-1-Karriere in zwei Wochen in Abu Dhabi beenden. Mit Tränen in den Augen und einer brasilianischen Flagge auf dem Rücken absolvierte er sein Abschieds-Defilee in die Boxengasse.

Das Wetter besserte sich auch in dieser Phase nicht. "Wie viele Unfälle wollen sie denn noch sehen", schimpfte Nico Rosberg, der von einem taktischen Fehler von Red Bull profitierte: Das Team montierte Verstappen in der Safety-Car-Phase Allwetterreifen, musste diese wenig später aber wieder gegen Regenreifen tauschen, weil das Wasser, das auf der Strecke stand, einfach nicht weniger wurde.

Mit dem Hin-und-Zurück-Wechseln der Pneus vergab Verstappen die Chance auf den zweiten Platz. Den dritten sicherte er sich mit einem Husarenritt im Schlussspurt, bei dem er mit großem Risiko unter anderem an dem schimpfenden Sebastian Vettel vorbeizog.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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