Sollte diese Formel-1-Saison in den fünften Titelgewinn von Sebastian Vettel münden, seinen ersten mit der Scuderia Ferrari, dann dürfte der ehemalige Weltmeister Damon Hill etwas für sich reklamieren. Er hätte als einer der Ersten geahnt und auch ausgesprochen, dass die vier Jahre währende Vorherrschaft von Mercedes in diesem Jahr enden würde. Wenn auch mit reichlich Pathos. "Wir haben die Silberpfeile so lange dominieren sehen. Aber Weltreiche entstehen und fallen", sagte Hill Mitte April.
Drei Rennen waren gefahren, keines hatte Mercedes gewonnen. Zum damaligen Zeitpunkt war das eine mutige These von Hill. Und das ist sie noch immer. Auch nach Vettels locker-leichten Vergnügungsfahrt in Montreal, mit der er sich, angetrieben von einem neuen, stärkeren Motor, zurück an die Spitze der Gesamtwertung erhob. Vettel hat nur einen Punkt Vorsprung. Und Mercedes will in zwei Wochen beim Großen Preis von Frankreich in Le Castellet seinerseits ein Motor-Upgrade bringen, das schon für Kanada vorgesehen war. Erst danach sind alle Beteiligten schlauer.
Danken muss man Hill für die in jedem Fall stimmige Analogie, die er wählte. Denn wenn Weltreiche untergehen, dann gibt es meist eine Vielzahl von Deutungsmodellen. So streitet die Altertumswissenschaft noch immer über die Gründe, weswegen das Weströmische Reich nach der Absetzung von Kaiser Romulus Augustulus im Jahr 476 zusammenbrechen musste. Lag es an dem permanenten Druck der äußeren Angreifer, von Germanen, Hunnen und Persern? Oder war die römische Gesellschaft von einer ungeahnten Dekadenz ergriffen worden, sozusagen zu satt, um das riesige Reich am Leben zu erhalten?
Nicht nur ein zu spät gelieferter Motor bremst Hamilton 2018
Der Aufstieg von Mercedes an die Spitze der Formel 1 begann 2014 mit der Einführung des technisch komplexen Hybrid-Motors. Mit ihm wurde Lewis Hamilton dreimal Weltmeister, Nico Rosberg einmal. Sollte Ferrari den technischen Rückstand nun erstmals nicht nur aufgeholt haben, sondern dauerhaft vorbeigezogen sein an Mercedes, dann wären die Ursachen ähnlich rätselhaft wie im Falle von Roms Fall. Es liegt ja nicht nur an einem wegen Qualitätsmängeln zu spät ausgelieferten Motor, dass Hamilton in diesem Jahr ausgebremst wird.
Beim Saisonauftakt in Melbourne kostet ihn eine fehlerhaft programmierte Renn-Software den Sieg. In Bahrain vereitelten ein Getriebewechsel und die damit verbundene Rückversetzung vor dem Start ein besseres Ergebnis als Rang drei. Bei den Wintertests in Barcelona hatte Mercedes darauf verzichtet, die weichste Reifenmischung zu testen - jetzt hat der W09 mit diesen Pneus die größten Probleme, insbesondere bei heißen Temperaturen. Und in Kanada hatte Hamilton auch noch Probleme, seinen Motor zu kühlen. Es sind kleine Schludrigkeiten, die sich eingeschlichen haben in die Abläufe beim Serien-Konstrukteursweltmeister. "Wir fallen überall zurück", hat Mercedes-Boss Toto Wolff erkannt. Die Frage ist nur: wie weit?