Formel 1 in Austin:Lehren des Finanzregelbuchs

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Meinungsaustausch in Texas: McLaren-Teamchef Zak Brown (links) und Red-Bull-Teamchef Christian Horner bei einer Podiumsdiskussion vor dem Grand Prix in Austin. (Foto: Clive Mason/AFP)

Weil Red Bull die Kostenobergrenze gerissen hat, verlangt die Konkurrenz drakonische Strafen. Red-Bull-Teamchef Christian Horner gibt sich geläutert - doch es stehen Geldbußen, Punkteabzüge, Sperren oder Budgetstreichungen im Raum.

Von Elmar Brümmer, Austin

Für eine Weile ruhten die Gespräche. Die Formel 1 trauerte um Dietrich Mateschitz, den am Samstag gestorbenen Firmengründer des Rennstalls Red Bull. Vertagt waren auch die Diskussionen über die Überschreitung des vorgeschriebenen Budgets im Team des nun zweimaligen Red Bull-Weltmeisters Max Verstappen. "Die Frist für die Einigung wurde verlängert, und wir erwarten, dass die Gespräche Mitte der Woche wieder aufgenommen werden", hatte der Rennstall mitgeteilt. Nun, nach dem Großen Preis in Austin/Texas mit Trauerflor, drängt das Thema wieder in die Debatte.

In den vergangenen Wochen, nach dem Rennen in Suzuka Anfang Oktober, ist aus den Gerüchten, dass Red Bull die Kostenobergrenze im Vorjahr gesprengt hatte, Gewissheit geworden. Zwar waren es keine zehn Millionen Dollar, wie zunächst kolportiert: Laut Buchprüfern liegt der Verstoß unter der Fünf-Prozent-Toleranz. Was maximal immer noch 7,25 Millionen Dollar wären, und damit ein gewaltiger Vorteil. Entsprechend schäumte die Konkurrenz: "Steroide auf Rädern" hatte Mercedes-Teamchef Toto Wolff die Verfehlung genannt, McLaren-Teamchef Zak Brown in einem Brandbrief nachgelegt, er sprach von "Betrug" und sieht den Automobilweltverband Fia in der Pflicht, es gehe schließlich um die Integrität der Formel 1.

In Texas wurden die Budget-Überschreitung aus naheliegenden Gründen zunächst nur kurz öffentlich verhandelt, ehe Mateschitz' Tod die Veranstaltung überschattete. Ein Imageschaden durch Diskussionen und Anschuldigungen um das Budget Cap interessierte das Publikum in Austin jedoch offenbar nicht. Gleichwohl muss nun ein Reglement der Vernunft und Gleichberechtigung her, das künftig über den Erfolg der Serie mitbestimmt.

Zunächst hielten sich die Gerüchte um harte Strafen oder einen Kompromiss im Fall Red Bull die Waage, dann, nach mehrfach abgesagten Talkrunden, saß zunächst Burke Magnus auf dem Podium. Der Chef des Sportsenders ESPN verkündete eine Verlängerung des Fernsehvertrags für Nordamerika um drei Jahre. Angst, dass der große juristische Mehrkampf seinem Produkt schaden könne, hat er nicht. Im Gegenteil: "Das Erfolgsrezept sind immer ein harter Wettbewerb, und ein bisschen Drama, aus dem sich ein Kontroverse entwickelt."

Red-Bull-Teamchef Christian Horner gab sich bei einer Podiumsdiskussion ungewohnt defensiv

Gut anderthalb Stunden später nahm auf dem Podium dann Christian Horner Platz, der Teamchef von Red Bull. Er gab sich weniger aggressiv als üblich, so, als habe er Kreide gefressen. Obwohl sein Unternehmen als einziges überführt worden war, im vergangenen Jahr die Grenze überschritten zu haben, zeigte sich der Brite "sehr sicher", null technischen und sportlichen Vorteil aus der Budgetüberschreitung gezogen zu haben.

Mehr noch, Horner fand die öffentlichen Anschuldigungen der Konkurrenz sogar "absolut schockierend". Die anderen würden die Fakten nicht kennen: "Aber wir stehen trotzdem öffentlich vor Gericht." Man könne sich kaum vorstellen, wie viel Schaden das verursachen würde, an der Marke, bei den Fahrern, bei der Belegschaft, sagte er: "Da werden Kinder von Mitarbeitern auf dem Spielplatz gehänselt. Das ist Missbrauch, das muss aufhören." Der neben ihm sitzende McLaren-Teamchef Zak Brown blieb gelassen, vielleicht war er auch nur erstaunt über Horners plötzlich großes Mitgefühl.

Horners Skript ging dann nicht weiter auf die Zahlen und die Interpretationen ein, wo genau Red Bull im Gegensatz zu allen Konkurrenten an den Regeln gescheitert ist, nicht mehr als 148,6 Millionen Dollar im Rennjahr auszugeben. Gerüchteweise soll es um die Aufwendungen fürs Kantinenessen gehen, für Freistellungen von Mitarbeitern und die Bewirtung für Gäste an der Rennstrecke. Nach Horners Lesart Auslegungssache, das Finanzregelbuch mit seinen 52 Seiten sei ja auch enorm kompliziert, und alle müssten noch lernen. Dem stimmten alle anderen auch zu, nur könne nicht gleich am Anfang eine Ausnahme gemacht werden - dann würde der Budgetkontrolle die Basis entzogen. Sie wollen, dass Red Bull empfindlich, besser noch drakonisch bestraft wird. Es gehe um die Glaubwürdigkeit von Recht und Ordnung, hieß es.

Beide Seiten sind sich einig: Die Debatten müssen transparent geführt werden

Der Strafenkatalog ist bei kleineren Verstößen, also unter der 7,25-Millionen-Grenze, verhandelbar. Deshalb war auch Mohammed bin Sulayem, der Regent des Automobilweltverbandes Fia, in Austin. Man traf sich oft mit den Sündern, prinzipiell stehen Geldstrafen, Punkteabzüge, Sperren, Budgetstreichungen für die Zukunft zur Auswahl. Vielleicht werden dem Team 25 Prozent der Windkanalstunden gestrichen, ein zunächst krass klingender Wettbewerbsnachteil.

Die Finanzregeln besagen, dass solche Deals hinter verschlossenen Türen bleiben können, wenn die Beschuldigten das wünschen. Doch mittlerweile ist der von den Rivalen aufgebaute Druck so groß, dass die durchaus übliche Hinterzimmerpolitik erst recht einen großen Imageschaden für die Formel 1 auslösen würde. Das dürfte auch der Grund sein, warum die Konkurrenten so früh die Verfehlung von Red Bull durchgestochen hatten.

Man müsse sich darüber keine Sorgen machen, sprach der joviale Horner. Sollte es zu dem sogenannten Breach Agreement kommen, werde er genau die Position seines Rennstalls erklären: "Wir wollen keine Privatabsprachen, sondern Transparenz." Die Vereinbarung bedeutet, dass ein Angeklagter die Strafe ohne Wenn und Aber annimmt, damit sei der Fall dann erledigt. Zum Märtyrer taugt Horner damit aber trotzdem nicht so richtig. Mit der gewünscht schnellen Lösung, schob er den Druck wieder auf die Seite der Funktionäre. Denn ohne Einigung käme der Fall vor ein Finanzberufungsgericht. "Das kann sich sechs oder neun Monate ziehen", rechnete der Teamchef vor.

Die Drohung dürfte wirken. Den Weltmeister aus dem Dezember 2021 erst im Sommer 2023 offiziell zu bestätigen, das wäre tatsächlich der größtmögliche Schaden. Nicht für Red Bull, sondern tatsächlich für die Formel 1 insgesamt.

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