Formel 1 in Suzuka:Wenn Resultate unwichtig werden

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Jules Bianchi: Mit schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus (Foto: Valdrin Xhemaj/dpa)

Formel-1-Fahrer Jules Bianchi kämpft um sein Leben. Eine Reihe merkwürdiger Umstände begleiten seinen Unfall im Rennen von Suzuka - und werfen Fragen nach den Sicherheitsmaßnahmen auf.

Von Elmar Brümmer, Suzuka

Die Zuschauer an der Rennstrecke und vor den Fernsehern ahnten nichts Schlimmes, als der Große Preis von Japan, der schon unter widrigen Bedingungen gestartet worden war, nach 46 von 53 Runden abgebrochen wurde. Der Regen, der schon einen Start hinter dem Safety Car erfordert hatte, war stärker geworden, zudem begann es zu dämmern. All dies war prophezeit worden, doch der Automobilweltverband Fia, der Grand-Prix-Promoter Bernie Ecclestone und der Rennstreckenbetreiber Honda konnten sich nicht auf eine Vorverlegung einigen. Es wurde also eher zu spät gestartet. Ob aber die Geschehnisse, die den Zuschauern erst nach und nach bekannt wurden und die die Formel 1 um das Leben eines Rennfahrers bangen ließen, verhindert worden wären, bleibt pure Spekulation.

Es war jedenfalls eine bizarre Szene, als sich Lewis Hamilton und Nico Rosberg nach dem achten Doppelerfolg von Mercedes in der Boxengasse aus ihren Silberpfeilen erhoben und abklatschten, dahinter Sebastian Vettel und Daniel Ricciardo in den Red-Bull-Rennwagen. Das Safety Car und die roten Flaggen hatten sie in die temporäre Parkposition gezwungen. Schon nach der zweiten Runde war der 15. WM-Lauf abgebrochen, nach 20 Minuten Regenpause und acht neutralisierten Umläufen aber doch wieder gestartet worden. Das erfolgreiche Trio wirkte sichtlich geschafft von dem anstrengenden Rennen: Die Sichtverhältnisse waren schwierig gewesen, die Feuchtstellen auf der Piste tückisch. Aber es folgte noch etwas viel Schlimmeres.

Grand Prix von Japan
:Formel-1-Fahrer sorgen sich um Jules Bianchi

Der Sieg von Lewis Hamilton beim Regenrennen von Suzuka gerät schnell zur Nebensache. Alle sind schockiert über den schweren Unfall von Jules Bianchi, der im Krankenhaus um sein Leben kämpft.

Noch auf dem Weg zur Siegerehrung wurden die Piloten von ihren Teamchefs zur Seite genommen und über den schweren Unfall des Marussia-Piloten Jules Bianchi informiert, der sich in der 43. Runde zugetragen hatte. Der Franzose wurde drei Stunden nach dem Rennen im Krankenhaus der Mie-Präfektur wegen seiner schweren Kopfverletzungen operiert und sollte anschließend auf die Intensivstation verlegt werden. Philippe Bianchi bestätigte dem französischen Sender France 3, dass der Zustand seines Sohnes sehr ernst sei; er habe eine Gehirnblutung erlitten.

Später wurde gemeldet, Bianchi habe den Eingriff offenbar gut überstanden, er müsse nicht mehr künstlich beatmet werden. Im Fahrerlager dürften diese Meldungen für etwas Erleichterung gesorgt haben, viele fürchteten ja schon den ersten tödlichen Renn-Unfall der Formel 1 seit 20 Jahren.

Aus den tragischen Ereignissen von Imola hat der Top-Motorsport nur insofern gelernt, als dass Fahrzeuge und Rennstrecken immer sicherer gemacht worden sind. Die Informationspolitik aber ist undurchsichtig geblieben, so dass zunächst weder der Unfall noch dessen Tragweite bekannt wurden. Nur von dem in der Runde zuvor havarierten Sauber-Rennwagen Adrian Sutils gab es Bilder, der Fahrer war ausgestiegen, der Rettungskran angerückt.

Die Streckenposten schwenkten doppelte gelbe Flaggen, um auf die gefährliche Situation an der tückischen Stelle hinzuweisen. Plötzlich aber rückte bei wieder stärkerem Regen erneut das Safety Car aus und wurde dabei noch vom Arzt-Einsatzwagen überholt, der schnurstracks zu Sutils Unfallstelle eilte. TV-Bilder und Funksprüche wurden nicht übertragen, Zuschauer von Streckenposten mit weißen Tüchern von Schnappschüssen abgehalten.

Offenbar war auch der Marussia des 25 Jahre alten Bianchi bei der Nässe von der Piste abgekommen und durch die Auslaufzone genau zwischen die großen Räder des Traktors gerutscht; das bestätigte zumindest Adrian Sutil. Die unscharfen Fotos, die wenig später auftauchten, ließen schwere Verletzungen erahnen. Bianchi war, als die Streckenposten die Rennleitung alarmierten, bereits bewusstlos.

Die allgemeine Konfusion ging einher mit einer Reihe rätselhafter Entscheidungen. Streitthema blieb, dass die Veranstalter trotz der Regenfront (es war noch nicht der befürchtete Taifun) und der früh einbrechenden Dämmerung eine Vorverlegung des Grand Prix ablehnten, oder dass nicht gleich nach Sutils Unfall das Rennen abgebrochen oder neutralisiert wurde. Aber die größte Merkwürdigkeit ist, dass Bianchi im Krankenwagen und mit Polizei-Eskorte in das nächstgelegene Hospital gebracht wurde und nicht mit dem im Fahrerlager wartenden Hubschrauber.

Einigen Meldungen zufolge soll der Helikopter nicht angemessen ausgestattet gewesen sein, nach anderen Erklärungen sollen Wind und Regen dessen Abheben verhindert haben. Dann aber hätte das Rennen sofort abgebrochen werden müssen, weil der Helikoptertransport zu den Grundregeln der Sicherheit gehört. Alles erscheint widersprüchlich, zumal der Hubschrauber nach Bianchis Abtransport doch abhob. Nicht nur die ersten Drei - Sebastian Vettel kam unverhofft aufs Podium, weil die letzte Runde vor dem Ausrücken des Safety Cars gewertet wurde, in der er noch vor Ricciardo lag - verhielten sich den Umständen entsprechend angemessen. Die am häufigsten benutzte Formulierung im Fahrerlager war die, dass Ergebnisse an einem solchen Tag keine Rolle spielen.

Nico Rosberg hatte Tränen in den Augen, Lewis Hamilton stotterte völlig ungewohnt und wollte nicht an seine auf zehn Zähler Vorsprung ausgebaute WM-Führung oder sein entscheidendes Überholmanöver gegen Rosberg in der 30. Runde denken; Vettel sprach von der "Ungewissheit, die einen so quält". Es wurde eine bange Nacht in Japan. "Was Jules passiert ist, ist ein Unfall, von dem man hofft, dass er in der Formel 1 niemals geschieht", sagte McLaren-Pilot Jenson Button.

© SZ vom 06.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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