Formel 1:Ferrari und Vettel haben das Verlieren gelernt

Lesezeit: 3 min

Fahrt in den Sonnenuntergang: Vettel in Abu Dhabi. (Foto: Rudy Carezzevoli/Getty)

Der Scuderia droht das schlechteste Ergebnis seit 40 Jahren. Sebastian Vettel wirkt in Abu Dhabi froh, den Rennstall verlassen zu können.

Von Elmar Brümmer

Home Office, das ist ein neuer Trend auch in der Formel 1. Nachdem im vergangenen Jahr Toto Wolff vom Branchenprimus Mercedes einmal beim Rennen zu Hause blieb, hat es Mattia Binotto, Teamchef von Ferrari, kürzlich in der Türkei auch mal ausprobiert. Hat prima geklappt: Platz drei für Sebastian Vettel, Platz vier für Charles Leclerc - das bislang beste Saisonergebnis für die Scuderia. Beim zweiten Versuch in Bahrain bewährte sich seine Abstinenz aber nicht: Es blieben nur ein elfter und ein 13. Rang.

Dass Binotto jetzt vor dem Saisonfinale in Abu Dhabi abgereist ist, geschah allerdings auf Anraten seines Arztes. Der 51-Jährige leidet seit dem Rennen in Bahrain unter einer Herpes-Erkrankung, die zuhause besser behandelt werden könne als in der Wüste. Zuvor hatte die Kommunikationsabteilung von Ferrari mehrfach dementieren müssen, dass Binotto angesichts des deprimierenden Saisonverlaufs zurückgetreten sei.

Angeheizt worden waren die Spekulationen durch eine tatsächliche Demission. Der Schweizer Louis Camilleri, CEO von Ferrari, hatte am 10. Dezember sein Amt an der Spitze des Sportwagenherstellers mit sofortiger Wirkung und aus "persönlichen Gründen" niedergelegt. Die Gründe verriet schließlich Sportdirektor Laurent Mekies, um weiterem Krisengerede vorzubeugen. Camilleri, 65, habe unter einer einer Covid-19-Erkrankung gelitten, die ihm "wohl schwer zugesetzt" habe. Deshalb sei der Rücktritt für ihn durchaus nachvollziehbar, wenn er auch überraschend kam: "Niemand hat Bescheid gewusst."

Für Ferrari bedeutet der zweite Führungswechsel in kurzer Zeit, nachdem Vorgänger Sergio Marchionne im Sommer 2018 an Krebs gestorben war, zusätzliche Unsicherheit in ohnehin schwierigen Zeiten. Camilleri wie Marchionne waren ausdrückliche Unterstützer des Formel-1-Teams. Zunächst wird der Vorstandsvorsitzende John Elkann die Geschäfte kommissarisch führen. Der Sprössling aus der Fiat-Besitzerfamilie Agnelli gilt als ebenfalls dem Motorsport zugetan. Im Gespräch für Camilleris Nachfolge ist der aus Rom stammende Apple-Finanzchef Luca Maestri.

Formel-1-Frontmann Mekies erzählt auch, dass er mindestens zehn Mal am Tag mit seinem Chef Mattia Binotto telefoniere, dessen Genesung zuhause in der Emilia Romagna bestens verlaufe. Für die roten Rennwagen lässt sich das nur eingeschränkt behaupten. Charles Leclerc kam in der Qualifikation zum letzten Großen Preis des Jahres in Abu Dhabi auf den neunten Platz, Sebastian Vettel schaffte es bei seiner Abschiedsvorstellung lediglich auf den 13. Rang. Die Scuderia droht nach dem 17. WM-Lauf in der Gesamtabrechnung der diesjährigen Konstrukteurs-Wertung auf dem sechsten Platz zu versauern. Das wäre das schlechteste Ergebnis seit 40 Jahren. Die Gründe sind hinlänglich bekannt: die mangelnde Motorleistung, die schlechten Fahrzeug-Eigenschaften, die schwierige Reifen-Behandlung, die häufiger patzende Mannschaft.

Sebastian Vettel, der zum neuen Aston-Martin-Werksteam wechselt, das unter dem Namen Racing Point die besten Chancen auf Rang drei in der Endabrechnung hat, dürfte froh sein, dass er Ferrari hinter sich lassen kann. Rivale Leclerc beweist nach zwei nicht immer einfachen Jahren an der Seite des Heppenheimers Stil, seinen Helm ziert beim Rennen die Botschaft "Danke, Seb." Er habe viel lernen können von dem vierfachen Weltmeister, sagt Leclerc. Vor allem konnte er das Gelernte offenbar auch rasend schnell umsetzen, denn schon am Ende des letzten Rennjahres hatte der 23-Jährige den zehn Jahre älteren Vettel zur Nummer zwei degradiert.

Vor sechs Jahren war der Deutsche nach Maranello gekommen, um sich seinen Traum zu erfüllen: Weltmeister werden mit Ferrari, und es damit seinem Vorbild Michael Schumacher nachzutun. Doch in den bislang 117 gemeinsamen Rennen reichte es nur zu 14 Siegen, 55 Podestplätzen und 1400 WM-Punkten. 2017 und 2018 erreichte der jüngste Champion der Formel-1-Geschichte jeweils den Titel als Vizeweltmeister, in diesem Jahr wird es nur zu Gesamtrang 13 reichen.

Das war nicht nur von der Statistik her zu wenig, vor allem schaffte es Vettel nicht, die Position eines echten Mannschaftskapitäns zu besetzen. Das hat nicht nur mit ihm zu tun, sondern auch den fortwährenden Machtkämpfen in Maranello. So ist das Ende der Ära, die im Mai mit einem überraschenden Telefonanruf Binottos besiegelt wurde, der statt der erhofften Vertragsverlängerung die Kündigung überbrachte, für Vettel auch eine Befreiung. Über sein erkaltetes Verhältnis zum Team sagt er: "Leider gab es nicht so viele emotionale Momente wie erhofft." Zu seinem Dienstwagen SF 1000 sagt er: "Das Auto und ich werden keine Freunde mehr."

"Das Auto und ich werden keine Freunde mehr": Vettel in der Ferrari-Garage. (Foto: Reuters)

"Es war eine Achterbahnfahrt mit vielen Aufs und Abs. Aber ich habe aus den Momenten auf und neben der Strecke gelernt", sagt Vettel. Auch das Verlieren. Deshalb fällt seine Bilanz schonungslos aus. "Ich bin selbst mein schärfster Richter. Wir wollten zusammen Weltmeister werden, und sind es nicht geworden. Deshalb sind wir gescheitert. Das ist eine ehrliche Selbstreflexion. Ich suche keine Ausreden."

Ein letztes Mal hat er am Freitag in Abu Dhabi Entwicklungsarbeit für den Ferrari von 2021 geleistet, sein Rennwagen war für Unterbodentests umgebaut worden. Binottos Adjudant Laurent Mekies war voll des Lobes: "Sebastian hat sich enorm reingehängt. Das beweist seinen Teamgeist. Es ist eine gute Gelegenheit, ihm zu danken."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: