Formel-1-Diskussion um Sicherheitskuppeln:Deckel drauf

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Der schwere Unfall von Spa zwischen Alonso und Grosjean hat eine Sicherheitsdebatte in der Formel 1 ausgelöst, die an diesem Wochenende in Monza weitergeführt wird. Zum besseren Schutz der Fahrer könnten die Cockpits bald geschlossen werden, das würde das Gesicht dieses Sports verändern. Doch will das die Branche überhaupt?

Michael Neudecker

Nasen hier, Nasen dort, so war das, als die Saison losging. Formel 1 ist ein Sport für Menschen, die Maschinen mögen, die das Dröhnen von Motoren nicht belästigt, sondern begeistert; für die Rennautos keine Rennautos sind, sondern Kunstwerke. Die Frage, wie ein Kunstwerk wirkt, ist eine Frage der Optik, und deshalb war das Nasen-Thema so dominant in der Formel 1 vor dieser Saison: Die Autos bekamen wegen einer Regeländerung neue Fronten, und die meisten fanden, die neuen Nasen seien, nun ja, scheußlich.

Welches Teil gehört zu welchem Fahrzeug? Der Unfall von Spa, in den unter anderem Hamilton, Alonso und Kobayashi verwickelt waren. (Foto: dpa)

Inzwischen aber sind die Nasen in der Anonymität des Alltags untergetaucht, niemand spricht mehr über die Nasen, und deshalb, findet Michael Schumacher, sind die Nasen nun ein gutes Beispiel in der Sicherheitsdiskussion, die in der Formel 1 gerade geführt wird. Michael Schumacher sitzt in Monza auf einem Barhocker im Motorhome von Mercedes, er sagt: Mit den Hauben werde es wie mit den Nasen sein.

In Monza trifft sich an diesem Wochenende die Formel 1 nach dem Unfall von Spa wieder, es ist das letzte Rennen in Europa diese Saison, der Zirkus reist danach weiter nach Asien. Sportler schauen ungern nach hinten und immer nach vorne, sie haken ab, so bewältigen sie das, was nicht geklappt hat, gerade in der Formel 1 ist das so: Formel-1-Fahrer sind im dauerhaften Abhak-Modus. Aber das, was vergangene Woche in Spa passiert ist, kann man nicht einfach abhaken, Fernando Alonso wäre beinahe vom Wagen von Romain Grosjean erschlagen worden, Grosjean wurde für ein Rennen gesperrt, als erster Formel-1-Fahrer seit 18 Jahren.

Natürlich ist das auch in Monza ein Thema, es geht seit Spa mal wieder um die Frage, ob und wie man den Kopf der Fahrer besser schützen könnte. Es habe sich viel getan in der Sicherheit, sagt Schumacher, "der einzige Bereich, der nach wie vor offen ist, ist der Bereich, wo der Kopf rausschaut". Was er davon halte, das Cockpit mit einer Haube zu schließen? "Ich denke, das muss die Zukunft sein", sagt Schumacher.

In der Tat hat die Formel 1 wie kaum eine andere Sportart immerzu die Sicherheitsstandards erhöht, auch deshalb ist in Spa niemandem etwas passiert, wenn man von ein paar Rückenbeschwerden bei Alonso einmal absieht. Grosjeans Auto wurde in einer Massenkarambolage ausgehebelt, es flog durch die Luft und landete auf Alonsos Ferrari, die Strecke sah aus wie ein Schrottplatz, aber die Fahrer stiegen einfach aus.

"Im Fernsehen sieht das spektakulär aus", sagt Force-India-Fahrer Nico Hülkenberg, "aber wenn man im Cockpit sitzt, geht das so schnell", er zuckt mit den Schultern, "da knallt's mal kurz, und dann denkt man: Mist, jetzt ist mein Rennen vorbei." Nico Hülkenberg ist 25 Jahre alt, er kennt die Formel 1 nur als Sport mit Monocock aus Karbon, in der Formel 1 der Generation Hülkenberg gibt es so gut wie keine Risikozonen mehr - außer eben dieser einen rund um den Kopf. In der Historie dieses Sports gibt es leider Beispiele, die zeigen, dass das ein Problem ist.

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Alles begann mit fünf Jahren im Kart-Wagen - Michael Schumachers Karriere war einzigartig. Bis zu einem schweren Sportunfall in seiner Freizeit. Eine Rückschau zum 50. Geburtstag.

1977 starb der Waliser Tom Pryce in Südafrika, weil er nach einer Verkettung unglücklicher Umstände in voller Fahrt einen Feuerlöscher gegen den Kopf bekam, aber so weit muss man gar nicht zurückblicken. 2009 kam der Brite Henry Surtees in der Formel 2 ums Leben, weil sich beim Unfall eines anderen Autos ein Rad gelöst hatte, das Rad sprang auf die Fahrbahn zurück, genau in dem Moment, als Surtees vorbeifuhr. Es traf ihn am Kopf, er war erst fünf Monate vorher 18 Jahre alt geworden.

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Fernando Alonso ist nach dem schlimmsten Startunfall der Saison sichtlich geschockt, Lewis Hamilton muss Spott wegen einer Twitter-Panne über sich ergehen lassen, ein fieser sechster Gang verdirbt Michael Schumacher das Jubiläum. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes in der Kolumne Zehn Zylinder.

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Nico Hülkenberg sagt: Eine Restgefahr werde es im Motorsport immer geben, "und wenn wir unterschreiben, dann unterschreiben wir das ja mit". Die Frage ist nur, wie groß diese Restgefahr sein muss.

"Der Unfall in Spa zeigt", sagt Michael Schumacher, "wenn jemand zur falschen Zeit am falschen Ort ist, könnte das tödliche Folgen haben." Der Weltverband Fia hat das schon vor längerer Zeit erkannt, und als der Ferrari-Fahrer Felipe Massa vor eineinhalb Jahren von einer Metallfeder trotz Helm schwerer am Kopf verletzt wurde, begann die Fia mit Tests, wie das Cockpit besser geschützt werden könnte. Die Wissenschaftler des Fia Instituts schossen einen Reifen mit 225 km/h auf eine Scheibe und auf eine komplette Haube aus transparentem Polykarbonat, wie sie bei Düsenjets verwendet wird. Die Scheibe brach, die Haube aber überstand die Tests ohne erkennbare Beschädigung. Ist die Cockpit-Haube also die Lösung?

Diskutiert wird auch eine Art Überrollbügel, der zumindest größere Gegenstände vom Kopf des Fahrers fernhalten würde, die Haube aber ist die wahrscheinlichere Lösung. Ob sie aber tatsächlich umgesetzt wird, und wenn ja, wann, ist schwer zu sagen, wenngleich Norbert Haug, der Motorsportchef bei Mercedes, sagt, er glaube, die Haube könnte womöglich schon 2014 eingeführt werden. Haug achtet darauf, möglichst oft den Konjunktiv zu verwenden, denn es gibt keinen Zeitpunkt, den sich die Fia in dieser Sache gesetzt hat. Es ist nicht einmal klar, ob die Fia seit diesen Tests vor einem Jahr das Thema weiterhin konsequent verfolgt hat. Und: Ob die Formel 1 die Hauben überhaupt will.

Eine Haube über dem Cockpit werde "in Zukunft unvermeidbar sein", sagt Sebastian Vettel, "aber ich bin kein großer Fan davon". Vettel findet, so eine Haube sei nicht schön, "das passt nicht zur Formel 1". Niemand weiß, wie genau ein Formel-1-Auto mit Haube aussehen würde, es gibt zwar eine Studie eines polnischen Designers, aber die ist kaum mehr eine Spielerei.

Cockpit-Hauben würden das Gesicht dieses Sports grundlegend verändern, nur das ist klar, und wie immer bei grundlegenden Veränderungen gibt es mindestens so viele Befürworter wie Gegner. Im Fahrerlager finden manche, der Schutz des Cockpits sei unerlässlich, andere verweisen auf Unsicherheiten, etwa, ob im Brandfall der Pilot schnell genug aussteigen könne. Und schließlich ist da eben die Sache mit der Ästhetik. Sind Hauben nicht auch scheußlich?

"Das Optische sollte eine untergeordnete Rolle spielen", sagt Schumacher. Haug sagt, die Ästhetik stehe bei der Entwicklung neuer Ideen erst an zweiter Stelle, er grinst kurz. "Wenn sie an erster Stelle wäre, hätten wir auch die neuen Nasen nicht."

© SZ vom 08.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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