Sieben Kurven in der Formel 1:Grosjean kann schon wieder grinsen

Dem Haas-Piloten geht es nach seinem schweren Unfall "einigermaßen okay". Das Sicherheitskonzept greift, wobei ein paar Fragen noch zu klären sind. Eindrücke vom Rennen in Bahrain.

Von Elmar Brümmer

Romain Grosjean

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(Foto: AFP)

Ein breites Grinsen. Ein Witz darüber, dass er erstmal nicht dazu kommen werde, all die Text-Nachrichten auf seinem Mobiltelefon zu beantworten. Aber das kann sich jeder denken, der die Bilder von Romain Grosjean aus dem Militärkrankenhaus in Bahrain sieht: Die Hände hängen in Schlaufen, alle Finger sind dick bandagiert. Es gibt kein besseres, nicht mal ein sachlicheres Wort als "Wunder" dafür, dass der französische Rennfahrer im drittletzten Rennen seiner Formel-1-Karriere den Horror-Crash überlebt hat. Das weiß der 34-Jährige auch selbst. Wer 27 Sekunden in einem flammenden Inferno sitzt und mit Verbrennungen an den Handrücken davonkommt und spätabends schon wieder Witze über Instagram machen kann, der ist mehr als nur "einigermaßen okay", wie Grosjean seinen Zustand selbst beschreibt. Er muss sich in Wirklichkeit fühlen wie neu geboren: "Ohne den Halo wäre ich nicht mehr hier. Es ist eine der besten Entwicklungen der Formel 1." Halo, das ist der Bügel über dem Cockpit, übersetzt bedeutet das Wort: Heiligenschein. Teamchef Günther Steiner, der seinen Piloten noch nachts besuchte, befindet: "Heute war ein Schutzengel mit uns." Am Montag gab sein Rennstall bekannt, dass Grosjean am Dienstag das Krankenhaus verlassen soll. Beim nächsten Rennen in Bahrain starten wird er aber nicht. Es sei das Beste für ihn, "mindestens ein Rennen" auszusetzen, sagte Teamchef Steiner nach einem Besuch im Krankenhaus.

Der Halo

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(Foto: imago images / Motorsport Images)

Keiner in der Formel 1 wollte ihn haben. Fast keiner. Doch der Automobilweltverband FIA war unerbittlich. Vor zehn Jahren hatten die Forschungen für ein besser geschütztes Cockpit der offenen Rennwagen begonnen. Der Brasilianer Felipe Massa war von einer Feder am Kopf getroffen worden, der Formel-2-Pilot Henry Surtees von einem Rad erschlagen. Vor sechs Jahren dann raste der Franzose Jules Bianchi in Japan unter einen Bergungskran und erlag später seinen schweren Kopfverletzungen. Anfang 2018 kam dann der Metallbügel, und der Aufruhr war groß, nicht nur bei Bernie Ecclestone. Auch vernünftige Fahrer und Teamchefs sprachen vom Verlust der DNA, sie zeigen sich seit Sonntag reumütig und bekehrt. Auch die Befürchtung, dass sich ein Fahrer bei einem Feuerunfall nicht mehr aus dem Cockpit befreien könne, bewahrheitete sich nicht - da Grosjean bei Bewusstsein und nicht schwerer verletzt war. Der Lebensretter Halo (im Bild an einem Renault im März 2019) besteht aus Titan und muss bei Tests dem Gewicht von zwei afrikanischen Elefanten, also rund zwölf Tonnen, bei einem Aufprall von 225 km/h standhalten. Wie sich am Wrack des Haas-Rennwagens zeigt, tat er das auch.

Die Gefahr

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(Foto: AP)

In der Zwangpause nach dem Horror-Crash von Bahrain mussten sich die Formel-1-Piloten sammeln, jeder für sich allein. Der kollektive Beifall, als Videowände die Bilder von dem im Rettungswagen sitzenden Grosjean zeigten, wich der Nachdenklichkeit. Der Mexikaner Sergio Perez faltete die Hände und hob sie gen Himmel. Lewis Hamilton stand an der Boxeneinfahrt und blickte konzentriert in die Wüstennacht. Die Gefahr, die immer da ist, war in dem Feuerball plastisch geworden. Die Sorge, die jeder ausschalten muss, der sich in einen Rennwagen setzt, war plötzlich bedrohlich nah. "Auch das macht diesen Sport aus", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Dem Österreicher war das, was er einen "Riesen-Schock" nannte, anzusehen. Als ehemaliger Rennfahrer kann er sich leicht in die Seele der Chauffeure hineinfühlen: "Sie brauchen viel Mut, um nach so einem Unfall und solchen Bildern wieder in ein Auto zu steigen, das über 350 km/h schnell ist. Sie sind Gladiatoren. Dieser Unfall ist eine Erinnerung, dass hier die besten Fahrer der Welt, die mutigsten Piloten überhaupt, nicht einfach nur dem Sonnenuntergang entgegenfahren." Wäre Grosjean schwerer verletzt worden, hätte Mercedes seine Autos zurückgezogen. Ein nachdenklicher Sebastian Vettel riet, die Bilder des Feuerunfalls nicht mehr zu oft zu zeigen: "Ich weiß, viele Leute stehen auf so etwas. Aber hier geht es um Menschen."

Der Unfall

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(Foto: Tolga Bozoglu/AFP)

In der dritten Kurve des Rennens war das hintere Feld eng beieinander. Romain Grosjean versuchte, den drei Autos direkt vor sich rechts auszuweichen, übersah dabei aber den Alpha Tauri von Danill Kwjat. Rechtes Hinterrad und linkes Vorderrad berührten sich, so bekam der Haas-Ferrari den Rechtsdrall, der ihn mit über 200 km/h in einem Winkel von etwa 45 Grad in die Leitplanken trieb. Ein massiver Befestigungspfosten zerteilte das Chassis, die Räder flogen weg. Die Sicherheitszelle mit dem Fahrer wurde durch die mittlere der drei Stahlschienen gedrückt, die Sicherheitszelle kippte zur Seite. Die hohen Cockpitwände schützten dabei Grosjeans Kopf. Das Heck mit dem Tank war an der Sollbruchstelle abgetrennt. Doch es lag noch in der Nähe. Zu Beginn des Rennens waren 110 Kilogramm Benzin im Auto, diese gingen sofort in Flammen auf. Vermutlich war die Tankblase aufgeschlitzt worden, vielleicht haben auch die Batterien zu dem Feuerball beigetragen.

Die Analyse

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(Foto: Pool via REUTERS)

Die Automobilbehörde FIA betreibt ein eigenes Sicherheitsinstitut, die besten Unfallforscher machen dort mit. Finanziert wird die Institution, die FIA-Präsident Jean Todt sehr am Herzen liegt, oft auch durch Geldbußen, die gegen Rennställe verhängt wurden. Ein Heer an Experten arbeitet permanent an immer strengeren Vorschriften, schließlich werden die Fahrzeuge nicht nur schneller, sondern auch technisch anspruchsvoller. Romain Grosjeans Crash zeigt, wie sicher die Formel 1 geworden ist - was nicht heißt, dass nicht doch noch einige Fragen zu klären bleiben: Wieso konnte das Auto nach dem Aufprall überhaupt durch die Leitplanken hindurchschießen? Wieso standen an der Unfallstelle Leitplanken und nicht andere, abpuffernde Barrieren? Auf welche Weise hat sich das Feuer so schnell und heftig entzünden können?

Die Retter

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(Foto: AFP)

In der ersten Runde nach dem Start fuhr das Medical Car noch direkt hinter dem Feld her, deshalb konnten die professionellen Retter in Kurve drei sofort zur Stelle sein. Das Arztauto wurde vom Südafrikaner Alan van der Merwe im höchstmöglichen Tempo chauffiert, mit an Bord war der britische Formel-1-Rennarzt Ian Roberts. Sie nahmen Grosjean nach dem Sprung über die Leitplanken in Empfang, die Streckenposten direkt an der Unfallstelle sprühten dem aus den Flammen flüchtenden Unfallopfer mit Feuerlöschern den Weg frei. Innerhalb von 15 Sekunden war bereits die erste Löschkanone auf das brennende Wrack gerichtet worden. Van der Merwe zeigte sich hinterher glücklich und erstaunt, "dass Romain nach solch einem Crash so schnell rausgekommen ist." Mediziner Roberts fand die Erklärung in einer positiven Kettenreaktion: "Heute haben alle Sicherheits-Features, die wir in den letzten 30 Jahren eingeführt haben, ineinandergegriffen. Hätten wir nur eines davon nicht gehabt, hätte dieser Unfall anders ausgehen können."

Lewis Hamilton

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(Foto: Getty Images)

Die Leichtigkeit, mit der der Weltmeister seine 98. Pole-Position herausgefahren hatte, der Wunsch, den Rest der Saison einfach nur noch Spaß haben zu wollen, waren nach 15 Sekunden im Großen Preis von Bahrain verflogen. Dass der Brite seinen elften Saisonsieg, den fünften in Folge, unbedrängt einfahren konnte, war nur eine Randnotiz für die Statistik. Ein Beweis und der Lohn seiner Konzentration. Einmal mehr zeigte der Champion, dass er der echte Anführer der Formel 1 ist. Er twitterte aus der Boxengasse in die Ungewissheit nach dem Unfall hinein: "Ich bin so dankbar, dass Romain in Sicherheit ist. Wow ... Für alle, die vergessen, dass wir unser Leben für diesen Sport und für das, was wir gerne tun aufs Spiel setzen: Das Risiko, das wir eingehen, ist kein Witz." Später sprach er von einer "kraftvollen Mahnung" und forderte: "Wir dürfen nicht stehen bleiben, wo wir sind. Wir müssen versuchen, es immer weiter besser zu machen." Hamilton vertraut dabei auf den permanenten Vorwärtsdrang aller Beteiligten, auch in puncto Sicherheit: "Das macht diesen Sport so großartig."

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