Boxen:Das Leben geht anders

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Dass er gewonnen hatte, erkannten alle - nur nicht die Punktrichter. Der Kampf gegen Favorit Oscar De La Hoya und das eklatante Fehlurteil machten Felix Sturm (rechts) dennoch berühmt. (Foto: Brendan Mcdermid/dpa)

Felix Sturm, als Boxer von Punktrichtern betrogen und von Fans gefeiert, muss wegen Steuervergehen und Körperverletzung ins Gefängnis. Das Gericht hat klargestellt: Sturm wusste, was er tat.

Von Benedikt Warmbrunn

Das Boxen, heißt es, sei wie das Leben. Schlag auf Schlag, mancher gezielt, mancher zu tief, mancher verzweifelt. Eine Runde folgt der anderen, der Gong, der ertönt, ist doch noch nicht der Schluss. Letztlich, so hat das die US-amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates in ihrem Essay "On Boxing" geschrieben, sind da nur noch der Boxer und sein Gegner, beide gleich stark, "es ist unmöglich zu sehen, dass dein Gegner du selbst bist".

Wenn das Boxen das Leben ist, wie passt dann diese romantische Vorstellung nun zusammen im Boxen und Leben des Felix Sturm? Fünfmal hat er einen Weltmeistertitel gewonnen, eine Zeit lang galt er als der beste Techniker im Mittelgewicht; in den vergangenen Jahren war er einer der bekanntesten deutschen Preisboxer. Inzwischen ist er 41 Jahre alt, seit vier Jahren ist er nicht mehr zu einem Duell in den Ring gestiegen. Und seit Donnerstag ist er ein verurteilter Steuerhinterzieher und Doping-Betrüger. Es ist eine Geschichte, die passt zum Klischee einer Sportart, die allein zu schwanken scheint zwischen Größenwahn und Kleinkriminalität - zu einer Sportart obendrein, die sich zumindest in Deutschland seit Jahren im freien Fall in die Bedeutungslosigkeit befindet. Aber dann ist es eben doch nur die Geschichte des Menschen Adnan Catic, der bekannt wurde als der Boxer Felix Sturm.

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Wie aus dem Weltmeister ein Verurteilter werden konnte, das könnte allein Sturm erzählen; er hat aber beschlossen zu schweigen. Nur er könnte erzählen, ob das Boxen den Menschen Adnan Catic verändert hat, ob er durch diese Sportart und ihr Umfeld der geworden ist, dem nun die Haft droht. Und nur Sturm könnte erzählen, ob sein Leben dadurch geprägt wurde, dass sein größter Kampf einer war, in dem er betrogen wurde.

Las Vegas, Juni 2004. Óscar De La Hoya, damals der populärste Boxer außerhalb des Schwergewichts, The Golden Boy, strebte einen großen Zahltag an, gegen Bernard Hopkins, er stieg dafür ins Mittelgewicht auf. Für seinen ersten Kampf in der neuen Gewichtsklasse suchte er sich einen jungen Deutschen aus, der zwar bereits Weltmeister war, den die Kommentatoren auf HBO dennoch zwölf Runden lang Störm aussprachen. Mit jedem Schlag, mit jeder Runde aber sprachen sie ehrfürchtiger über den damals 25-Jährigen. Suchte der sechs Jahre ältere De La Hoya den Nahkampf, scheuchte ihn Sturm mit Haken weg. Hielt sich De La Hoya auf Distanz, schleuderte Sturm ihm einen Jab nach dem anderen ins Gesicht.

2016 positiv auf eine anabole Substanz getestet

Mit seiner Doppeldeckung überstand der unbekannte Weltmeister den Kampf unbeschadet, noch ehe der letzte Gong ertönt war, jubelte er. Auf HBO waren sie sich einig, dass Störm gewonnen hatte. Punktrichter in Las Vegas aber urteilen manchmal nach eigenen Kriterien, sie sind Teil einer riesigen Maschinerie, und natürlich wussten sie, dass ein Kampf zwischen Sturm und Hopkins kein Geschäft sein würde. Sie werteten einstimmig für De La Hoya.

Wenn das Boxen das Leben ist, dann hat Sturm in dieser Nacht in Las Vegas, in der er so stark und doch so ohnmächtig war, gelernt, dass nicht immer der Beste gewinnt. Dann hat er an diesem Abend gelernt, dass Betrug nicht immer geahndet wird. Aber so einfach ist das nicht. Manchmal ist Boxen eben doch nur Boxen, und das Leben ist das Leben.

Am Donnerstag hat das Kölner Landgericht Sturm wegen Steuerhinterziehung, versuchter Steuerhinterziehung, einem Verstoß gegen das Anti-Doping-Gesetz und Körperverletzung zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Das Gericht sprach Sturm schuldig, in den Jahren 2008 bis 2010 sowie im Jahr 2013 dem Finanzamt insgesamt eine Million Euro vorenthalten zu haben. Außerdem berücksichtigte es, dass Sturm nach seinem letzten Kampf, im Februar 2016, positiv auf die anabole Substanz Hydroxy-Stanozolol getestet worden war. Damals hatte Sturm gegen Fedor Tschudinow seinen fünften WM-Titel gewonnen. Aufgrund des Doping-Betrugs wertete das Gericht den Kampf als eine Körperverletzung.

Auf den Fotos aus dem Gerichtssaal ist nicht zu erkennen, wie sehr Sturm das Urteil überrascht haben könnte, seine Gesichtszüge verbarg er hinter einer Maske. Seine Steuervergehen hatte er teilweise eingeräumt, am letzten Verhandlungstag am Montag aber hatte er gesagt: "Bezüglich des Dopings kann ich aber mit bestem Wissen und Gewissen sagen, dass ich das nicht gemacht habe." Bei der Urteilsverkündung lobte Richter Marc Hoffmann, dass Sturm teilgeständig gewesen sei; "gute Arbeit" habe er geleistet. Hoffmann sagte allerdings auch: "Wir haben uns gefragt, ob das für eine Bewährungsstrafe reicht und kamen zu der klaren Antwort: Nein."

Das Gericht skizzierte von Sturm das Bild eines Mannes, der in seinen Steuervergehen, aber auch bei seinem Verstoß gegen das Anti-Doping-Gesetz wusste, was er machte. So kooperierte Sturm seit 2006 mit einer Schweizer Medien- und Beratungsfirma, von seinem damaligen Promoter Klaus-Peter Kohl forderte er, dass seine Kampfbörsen an diese Agentur gezahlt werden sollten. Kohl lehnte ab, Sturm verließ dessen Promotion und managte sich selbst. Laut seiner Verträge sollte das Geld an die Agentur fließen - es ging aber schließlich doch auf seinem Konto ein. Auf diese Weise habe Sturm vor dem Finanzamt falsche Angaben machen können.

Für das Profiboxen, vielleicht auch für den Profisport größere Auswirkungen haben könnte das Urteil in Bezug auf den Doping-Betrug. "Bewusst" und "planmäßig" soll Sturm vor dem Rückkampf gegen Tschudinow von Dezember 2015 bis Januar 2016 in Österreich eine Stanozolol-Kur gemacht haben. Dadurch, erklärte Hoffmann, habe er sich im Ring eine "erhöhte Schlag- und Schnellkraft" erhofft. Beim Boxen, sagte der Richter, gebe es zwar "immer Körperverletzung", doch durch das Doping habe Sturm die Abmachung, die er mit Tschudinow getroffen habe, ignoriert. "Also haben wir keine Einwilligung von Tschudinow mehr, es liegt eine Körperverletzung vor."

Das Teilgeständnis genügte nicht: der ehemalige Box-Weltmeister Felix Sturm am Donnerstag vor dem Landgericht Köln. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Hoffmann tadelte generell das Profiboxen, bei dem er "große Schwierigkeiten mit dem Thema Doping" feststellte. Die Nationale Anti-Doping Agentur lobte das Urteil: "Es ist ein wichtiger Meilenstein für das Anti-Doping-Gesetz und kann richtungsweisend auch für zukünftige Strafverfahren sein." Noch ist das Urteil nichts rechtskräftig, die acht Monate, die Sturm von April bis Dezember 2019 in Untersuchungshaft verbrachte, werden angerechnet; ein offener Vollzug ist möglich.

Noch zu Jahresbeginn hatte Sturm signalisiert, dass er wieder boxen wolle, am liebsten gegen Arthur Abraham, seinen alten Rivalen. Zum Ende der Nullerjahre waren die beiden die besten deutschen Mittelgewichtsboxer gewesen, zu einem Duell war es nie gekommen - auch, weil beide zu hohe Summen gefordert hatten. Sturm, so berichten das Vertraute, habe sich zuletzt gewissenhaft in Form gebracht, er wollte mit diesem Duell seinen Ruf retten, und auch seine Finanzen.

Der 40 Jahre alte Abraham hat zwar seit zwei Jahren nicht mehr gekämpft, für einen großen Zahltag wäre er aber wohl zurückgekehrt. Doch aus dem Sauerland-Team, für das Abraham immer geboxt hat, waren schon vor Wochen Zweifel zu vernehmen, ob dieser Kampf finanziell überhaupt zu stemmen wäre. Beide Boxer hätten wohl eine Millionensumme gefordert für einen Kampf, auf den sie sich in ihren besten Jahren nicht hatten einigen können, und der nun allenfalls noch den sportlichen Reiz eines Kirmeskampfes gehabt hätte.

Dass es zu dem Kampf kommen wird, ist nun noch unwahrscheinlicher geworden - auch wenn Thomas Pütz, der Chef des Bundes Deutscher Berufsboxer, ihn am Freitag "nicht ausschließen" wollte. Pütz ist jedoch ein alter Wegbegleiter von Sturm, als Sicherheitschef begleitete er ihn schon 2004 gegen De La Hoya in den Ring. Und Pütz folgt weiter treu Sturms Erzählung, dass er nicht wissentlich gedopt habe.

Dabei dürfte es für Sturm erst einmal darum gehen, nachzuweisen, dass er sich selbst nicht der schwerste Gegner ist.

© SZ vom 02.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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