Allyson Felix:Die Leichtfüßige hinterlässt tiefe Spuren

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One Last Dance: Allyson Felix gewinnt noch einmal mit der 4x400-Meter-Staffel Bronze. (Foto: Brian Snyder/Reuters)

30 Medaillen bei Olympia und Weltmeisterschaften: Allyson Felix tritt bei der WM in Eugene als erfolgreichste Leichtathletin der Geschichte ab. In Erinnerung bleibt auch ihr Einsatz für Frauenrechte - nach mehreren traumatischen Erlebnissen.

Von Johannes Knuth, Eugene

Da war er also: einer dieser seltenen Momente, in denen man schon schwer abgebrüht sein muss, wenn es einem nicht das eine oder andere Nackenhaar aufstellte.

Als Allyson Felix den Staffelstab übernahm, im Finale der 4x400-Meter-Mixed-Staffel, saßen nicht mehr viele im Hayward Field, und der Schrei der knapp 15 000 dürfte die schicken, hölzernen Dachträger des Stadions schon ein bisschen zum Schwingen gebracht haben. Es passte, dass der lauteste Jubel an diesem ersten WM-Tag in Eugene auf die 36-Jährige herabprasselte - trotz des Schönheitsfehlers, dass erst Felix und dann Schlussläuferin Kennedy Simon ihre komfortablen Führungen noch vergaben.

Platz drei für die US-Staffel also, hinter der Dominikanischen Republik und den Niederlanden, das riss nicht mehr viele von den Sitzen. Für eine Weile spürte man, wie die Last der Enttäuschung auch auf Felix' Lächeln drückte, aber das war spätestens vorbei, als sich Tochter Camryn vor die Kameras (und vor Felix) drängelte, als wolle sie sagen: Jetzt gehört Mama aber mir, nach dem letzten Rennen ihrer Karriere.

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So fügte sich also der letzte Stein in das Mosaik einer Karriere, die sich über 20 Jahre spannte, über fünf Sommerspiele, zehn Freiluft-Weltmeisterschaften, veredelt von 30 Medaillen (davon 20 goldenen) bei den beiden größten sportiven Leistungsmessen. Kein Leichtathlet hat das je geschafft, geschlechterübergreifend. "Es war eine unglaubliche Reise", hatte Felix vor ihrem letzten Auftritt gesagt, und es war jetzt nur die Frage, was eigentlich so unglaublich war: die nackten Erfolge - oder dass diese in den letzten drei Jahren dieser Reise von etwas noch Größerem in den Schatten gerückt wurden. "Wenn ich auf diese Zeit zurückschaue", sagte Felix, "kann ich nicht glauben, dass ich sie überstanden habe."

Jahrelang hatte sie ihren Medaillenabholdienst verrichtet, unscheinbar, mit einem sanften Lächeln, hinter dem sie ihren scharfen Ehrgeiz versteckte ("Ich hasse es wirklich zu verlieren", sagte sie einmal). Selbst als sie 2012 in London zur dreimaligen Olympiasiegerin aufstieg, über 200 Meter und mit den Staffeln, wirkte sie erleichtert, nie ekstatisch, das passte nicht zu ihr. Felix hat Grundschulpädagogik studiert, Kindergottesdienste geleitet; dem amerikanischen Verband fiel es nicht schwer, diese Athletin anzupreisen, die wie eine Einserschülerin stets das schaffte, was sie von sich zu erwarten schien.

Still und leise zur dreimaligen Olympiasiegerin aufgestiegen: Felix wirft sich bei Olympia 2012 als Erste über 200 Meter ins Ziel - eine von allein sieben Goldmedaillen bei Sommerspielen für die 36-Jährige. (Foto: Matt Dunham/AP)

Ihr federnder, kurzer Fußaufsatz brachte sie überall schnell voran, erst über 200, zuletzt auch über die zehrenden 400 Meter. So grazil läuft man auch mal schnell den Zweifeln davon, die an der US-Leichtathletik auch zu Felix' Hochzeiten pappten (ihr Trainer Bob Kersee betreute früher die Fabelrekordhalterin Florence Griffith-Joyner, tief in der Anabolika-Ära.)

Dann, vor drei Jahren, erlebte Felix ein wirkliches Tief.

In der 32. Schwangerschaftswoche diagnostizierten die Ärzte eine Präeklampsie, eine schwere Schwangerschaftsvergiftung. Das Leben ihrer Tochter war in Gefahr, ihr eigenes ebenso. Die kleine Camryn, kaum eineinhalb Kilo schwer, überstand einen Notkaiserschnitt, viele Wochen auf der Intensivstation. Kurz darauf wurde Felix in das nächste Trauma geschleudert. Nike, ihr Ausrüster, einer der einflussreichsten Sportartikelhersteller in der Leichtathletik, teilte ihr mit, dass man ihren Vertrag um 70 Prozent eindampfen werde: wegen der Schwangerschaft. Wenn man Felix heute richtig versteht, ließ sie das, was sie dann tat, nicht minder in Angst versinken als während der Schwangerschaft: Sie wehrte sich, öffentlich.

Felix' Beitrag in der "New York Times" löste Empörung aus

Felix war bei weitem nicht die erste Mutter-Athletin, die unter der unfairen Praxis litt; vor allem die weniger prominenten US-Athleten finanzieren sich zum großen Teil durch ihre Sponsoren. Nachdem Felix die Praxis in der New York Times angeprangert hatte, war der Aufschrei aber lauter als sonst. Was ist das für eine Industrie, die selbst derart erfolgreichen Sportlern heimlich solche Fesseln anlegt? Felix verließ Nike, kam bei Athleta unter, einer jungen Marke, und diesmal war die Welle, die Felix losgetreten hatte, so groß, dass Nike und andere Firmen ihre Verträge fortan mit Mutterschutzklauseln ausstatteten.

Advokatin für Gleichberechtigung: Felix bei einer Diskussionsrunde mit US-Vizepräsidentin Kamala Harris über Schwangerenrechte. (Foto: Manuel Balce Ceneta/AP)

Seitdem ringt Felix für Frauenrechte, mit demselben Ehrgeiz, den sie immer in ihren Sport fließen ließ. Sie sagte im US-Kongress über Ungleichheiten im amerikanischen Gesundheitssystem aus. (Schwarze Frauen sterben laut Statistiken rund dreimal eher aufgrund von Schwangerschaftskomplikationen als weiße.) Sie gründete ihre eigene Ausrüstermarke, die Schuhe speziell für Frauenfüße produziert. Sie gewann 2021 in Tokio noch mal Gold (mit der 4x400-Meter-Staffel) und Bronze (über 400 Meter). Sie warb mit Mitstreitern wie Christian Taylor beim US-Leichtathletikverband - erfolgreich - dafür, dass der Verband seit diesem Sommer bei Meetings eine Kinderbetreuung anbietet. ("Mit einer zehn Monate alten Tochter zu Meisterschaften zu reisen, hat mir die Augen geöffnet", sagte Felix.) Und sie wolle, hatte sie zuletzt gesagt - ausnahmsweise gewürzt mit etwas Pathos - vor allem Frauen ermutigen, die Stimme zu erheben, "selbst wenn diese bebt vor Angst".

Es sind tiefe Fußstapfen, die die Frau mit dem leichten Fußaufsatz hinterlässt. Das zeigte sich auch, als Felix' Mitstreiter, manche 15 Jahre jünger, bei der Presserunde des US-Teams in Eugene erzählen sollten, wie Felix sie in den Sport gebracht hatte. Nachdem sie berichtet hatten, wie sie Felix' Poster früher im Kinderzimmer hängen hatten und solche Sachen, ergriff Noah Lyles das Wort, der 200-Meter-Weltmeister von 2019. "Da hat sich eine Person gegen einen Konzern gestellt", sagte der 24-Jährige, mit Blick auf Felix' Kampf mit Nike. Wobei (der von Adidas gesponserte) Lyles das Wort "Konzern" aussprach, als handele es sich um ein klingonisches Schlachtschiff. "Ich glaube", fuhr Lyles fort, "viele ahnen nicht, wie groß Nikes Einfluss im US-Sport ist. Als schwarze Frau dagegen anzukämpfen, für seine Meinung einzustehen - ich finde, das sollten junge Menschen sich auf Jahre zum Vorbild nehmen."

Das war, zur Abrundung, vielleicht mehr wert als manche WM-Plakette.

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