FC St. Pauli:Ab jetzt nur noch nachhaltig

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Neue Ära: Die St.-Pauli-Profis wie Simon Makienok verkörpern künftig Umwelt- und Klimaschutz mit ihren Trikots. (Foto: Claus Bergmann/Imago)

Der Fußball-Zweitligist aus Hamburg produziert seine komplette Spielkleidung künftig in Eigenregie.

Von Thomas Hürner

Die utopische Schnapsidee kam von der 16-jährigen Ana per Einschreiben. Ana mit einem "n", wie sie sich in der Geschäftsstelle des FC St. Pauli noch bestens erinnern, immerhin hatte die junge Frau im Rahmen der Mitgliederversammlung 2016 ganz schön was losgetreten. Jedes Mitglied kann einen Antrag stellen. Und Ana, die Utopistin? War nicht zu Scherzen aufgelegt.

In ihrem Brief stand sinngemäß geschrieben: Na, liebe Klubverantwortlichen und Gremienmenschen, wie schaut's aus? Wollen wir als Verein nicht langsam mal komplett nachhaltig werden?

Die Mitglieder fanden: ja, unbedingt! Und auch die Herren und Frauen, die diese Idee in die Tat umsetzen sollten, waren durchaus angetan. Allerdings ist auch der rebellische Kiezklub im Endeffekt nur ein Rädchen im "unternehmerischen Industriezweig Profifußball", wie der Präsident Oke Göttlich zutreffend anmerkt. Und der Geschäftsleiter Vertrieb, der passenderweise Dirk von Geldern heißt, fügt hinzu: "Nachhaltig, betriebswirtschaftlich, ökonomisch und ökologisch. Das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen, ist riesig."

Der FC St. Pauli ist dieses Wagnis dennoch eingegangen. Den Anfang machte man noch im selben Jahr bei den milieuübergreifend beliebten Totenkopf-Pullis, deren Produktion peu à peu auf biologische Naturfasern umgestellt wurde. Zu Auswärtsspielen wurde nun vornehmlich mit der Bahn angereist, auch zwei Bienenvölker sind seither am Millerntor heimisch. Kleine Wegmarken, aber noch keine Revolution. Das neueste Vorhaben schon eher: Der Zweitligist wird seine komplette Spielkleidung in Eigenregie produzieren, was zwar für sich genommen auch nicht völlig neu ist, da auch Borussia Dortmund Anfang der 2000er-Jahre mal eine Hausmarke an den Start gebracht hatte.

Dem bisherigen Ausrüster haben sie gekündigt - ihm wird eine Nähe zur US-Waffenlobby nachgesagt

Von Trikots, Stutzen über Aufwärm- Shirts und Trainingsjacken wird jetzt beim FC St. Pauli aber alles nachhaltig hergestellt. Das bedeutet für den Verein, dass von Baumwollerzeugung auf dem Feld bis zum Verkauf ökologische und soziale Standards eingehalten werden sollen, alles von entsprechenden Stellen zertifiziert. Mit vielen Herstellern, die meisten davon in der Türkei, unterhält der Klub langjährige Geschäftsbeziehungen. Geliefert wird die Ware mit dem LKW oder mit der Bahn, aber nicht mit dem Flugzeug. "Wir können es nicht perfekt machen", sagt von Geldern, "wir wollen es aber so gut wie möglich machen." Auch die Zusammenarbeit mit dem bisherigen Ausrüster, einem US-Unternehmen, dem Verbindungen zum US-Militär und eine Nähe zur US-Waffenlobby nachgesagt werden, wurde aufgekündigt. Das dürfte nicht nur den linkesten Teil innerhalb der politisch ohnehin sehr linken Anhängerschaft gefreut haben.

Klingt erst einmal alles nach einem Schlaraffenland der Moral, und besonders viel lässt sich gegen das Anliegen der Paulianer auch nicht zu Felde führen. Zumal auch der Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) erst kürzlich gefordert hat, dass sich der Profifußball bitteschön "ein neues Image geben und in den nächsten Jahren klimaneutral" aufstellen solle. Laut einer Kurzstudie der Nachhaltigkeitsexperten des Bonner Unternehmens Co2OL verursachen allein der Transport und der Konsum der Fans an einem Bundesliga-Spieltag Emissionen, die erst durch die Aufforstung von etwa 60 000 Bäumen aufgewogen wird - eine Fläche von umgerechnet 48 Fußballfeldern. Neben dem FC St. Pauli haben sich auch die Erstligisten TSG Hoffenheim und VfL Wolfsburg Nachhaltigkeit als Ziel gesetzt.

Wer am Profibetrieb teilnimmt, muss sich auch der Logik des Marktes unterwerfen. Deshalb kulminiert beim ideologischen Kiezklub fast jede Debatte in der "Wahrhaftigkeitsfrage", wie es Präsident Göttlich nennt. Der FC St. Pauli sei ja einer "subkulturellen Szene entsprungen, die mit ein paar Dingen im Fußball nicht einverstanden ist". Und Konsum ist da eher verpönt. Es haben aber auch nur die wenigsten Fans etwas dagegen einzuwenden, wenn man in der Bundesliga den superkapitalistischen FC Bayern schlägt und sich daraufhin selbst "Weltpokalsiegerbesieger" taufen kann, wie damals im Jahr 2002.

Alles schwer miteinander zu vereinbaren, gerade in diesen Zeiten: Corona-Krise, Umsatzeinbrüche, als erster Profiklub hat St. Pauli bereits einen KfW-Kredit erhalten, den es irgendwann zurückzuzahlen gilt. Und auch sportlich steckt der Klub in einer kleinen Misere, erst ein Saisonsieg, Erstrunden-Aus im DFB-Pokal gegen Elversberg. Am vergangenen Freitag setzte es die nächste schmerzliche Niederlage, 0:1 zu Hause gegen Osnabrück, Abstiegsplatz 17 in der Tabelle.

Ganz risikofrei war die Entscheidung also nicht, sich von einem Ausrüster zu trennen, der jährlich siebenstellige Einnahmen garantiert. Letztlich sei es aber ganz einfach, erklärt der Vertriebschef von Geldern: Die Community entscheide über den Erfolg, auch bei den Verkäufen der eigenhändig produzierten Trikots. Müssen halt auch die Fundis unter den Anhängern ein bisschen mehr konsumieren, nicht nur die Realos. "Priorität und Hauptaufgabe" bleibe aber der Profifußball, sagt Präsident Göttlich und betont als Ziel: "Auch hier müssen wir versuchen, es wieder besser zu machen als die anderen."

© SZ vom 02.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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