FC Ingolstadt:"Ausbilden und verkaufen, das ist Qualitäts­arbeit"

Lesezeit: 8 min

Trainer Jeff Saibene über Aufstiegsambitionen, seine Zusammenarbeit mit Sportdirektor Henke - und über verwirrende Spitznamen.

Interview von Johannes Kirchmeier und Philipp Schneider

SZ: Herr Saibene, in dieser Woche hat das luxemburgische Institut für Statistik eine besorgniserregende Studie veröffentlicht: Das Zufriedenheitslevel Ihrer Landsleute liegt neuerdings unter dem der Uruguayer. Überrascht Sie das?

Jeff Saibene: Ich war länger nicht mehr da. Ich bin mit 15 nach Belgien, mit 20 in die Schweiz. Ich besitze einen Schweizer Pass.

Die Fachleute sind irritiert, zumal die Wirtschaft in Luxemburg seit 1981 fortlaufend gewachsen ist. Sie erklären sich die Zufriedenheit der fünfmal ärmeren Uruguayer damit, dass die Qualität der Beziehungen zu den Mitbürgern wichtiger ist als Einkommenszuwächse.

Vielleicht muss man mal wieder die Erfahrung machen, wie es ist, wenn es einem nicht gut geht. Dann weiß man die Dinge um sich herum wieder mehr zu schätzen.

Was verbinden Sie noch mit Luxemburg?

Es gibt dort viele Grenzgänger, die nur zur Arbeit kommen. Das Land hat 500 000 Einwohner, früher waren es mal 100 000 Grenzgänger, die aus Frankreich, Belgien oder Deutschland über die Grenze kamen, und sofort um einiges mehr verdient haben. Es gibt dort einen hohen Lebensstandard. Luxemburg ist aber kein Fußballland. Die Nationalmannschaft entwickelt sich zwar extrem gut. Aber das Zuschauerinteresse an der luxemburgischen Meisterschaft ist doch sehr gering.

Also mussten sie so schnell wie möglich raus, mit 15 nach Belgien!

Heutzutage gehen sehr viele Luxemburger Fußballer in jungen Jahren ins Ausland. In meiner Jugend war das sehr, sehr selten und sehr, sehr schwer. Inzwischen gibt es 30, 40 Junge, die im Ausland spielen. Die haben eine super Entwicklung genommen. Beim KSC spielt Dirk Carlson, auch so ein junger Luxemburger, der den Sprung geschafft hat ins Profigeschäft.

Wir wollten mit Ihnen über Luxemburg reden, Sie kommen aber immer wieder auf den luxemburgischen Fußball zurück.

(lacht) Ja, weil Fußball mein Leben ist.

Wie Sie wollen: Der Fußballtrainer Saibene ist mit Ingolstadt seit elf Spielen unbesiegt. Man kann sich gar nicht erinnern, dass der FCI vorher mal elf Spiele am Stück nicht verloren hat.

Das konnte man so nicht erwarten. Wir haben im Sommer 21 Spieler abgegeben. Dazu kamen 16 neue plus viele junge Spieler, die wir in die erste Mannschaft hochgezogen haben. Wir hatten einen komplett neuen Mix: Dazu kam ja noch ein neues Trainerteam und eine neue sportliche Leitung (Michael Henke als Direktor Sport und Florian Zehe als Technischer Direktor, d. Red.). Klar hatten wir als Absteiger den Anspruch, oben mit dabei zu sein. Aber selbstverständlich ist unsere Entwicklung nicht.

Ist das auch dem erstligaverwöhnten Ingolstädter Publikum bewusst?

Die Bundesliga war ja für den FCI eher die Ausnahme. Die Fans nehmen die dritte Liga sehr gut an und auch die Mannschaft: Die vielen jungen Spieler kommen gut an.

Wie wichtig ist Ihnen das historische Fundament eines Klubs?

Tradition ist super. Allein schon wegen des enormen Zuschauerpotenzials. Ich rede mit meinen Freunden noch immer viel über Nottingham Forest. Zu meiner Zeit waren die eine Top-Mannschaft, genau wie Ipswich Town. Sind inzwischen zweite und dritte Liga. Aber die Tradition lebt! Ich habe beides kennengelernt: Ingolstadt ist ein junger Verein, 2004 gegründet. Hier gibt es andere positive Dinge.

Ein Beispiel?

Erst heute Morgen habe ich zu Rumpi (Assistenztrainer Carsten Rump, den Saibene in Bielefeld kennengelernt hat, d. Red.) gesagt: Schau mal, wie super: Wenn es in Bielefeld so Minusgrade hatte, mussten wir 40 Kilometer fahren. Zum nächsten bespielbaren Kunstrasenplatz, wo der Tönnies, der Präsident von Schalke, ein kleines Stadion errichtet hatte.

Die berühmte Tönnies-Arena auf dem Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück.

Genau. Hier in Ingolstadt hat ein Trainingsplatz eine Rasenheizung. Sowas ist schön. Tradition ist aber auch schön. Wenn man irgendwo im Ausland den Namen Bielefeld fallen lässt, dann heißt es sofort: Ah, die Arminia! Ist halt Kult.

Sie haben sich einen exzellenten Ruf in der zweiten Liga erarbeitet. Wie hat Sie Henke in die dritte gelockt?

Ich hatte sofort das Gefühl, dass ich hier längerfristig etwas aufbauen kann. Ich wäre nicht zu jedem Drittligisten gewechselt. Aber ein paar interessante gibt es: Kaiserslautern. Oder...

„Eine Rasenheizung ist schön, Tradition ist aber auch schön.“ – Jeff Saibene, hier mit U19-Spieler Jalen Hawkins, fühlt sich in beiden Welten wohl. (Foto: Stefan Bösl /imago)

1860?

Klar, auch 1860! Aber hier hat mich der spezielle Moment gereizt, dass es einen regelrechten Neuanfang geben würde.

Hat Sie auch die Arbeit mit vielen jungen Spielern gereizt?

Die Jungen müssen schon gut sein. Ich würde nie auf einen setzen, von dem ich denke, dass ihm noch etwas fehlt. Aber wenn gute Junge da sind, dann finde ich es spannend, die weiterzuentwickeln, auf ein gewisses Level zu bringen. Und auch zu verkaufen. Bevor ich nach Bielefeld kam, haben die acht Jahre lang für keinen Spieler Ablöse bekommen. Es haben auch sehr wenige Junge gespielt. Als ich dann da war, haben wir Roberto Massimo für 2,5 Millionen Euro an Stuttgart verkauft. Und Henri Weigelt, der hat nur sechs, sieben Mal bei mir gespielt, der ging nach Alkmaar für eine Million. Für mich ist das auch ein Reiz: Junge ausbilden und sie auch verkaufen. Das ist Qualitätsarbeit.

Am Samstag geht die dritte Liga mit dem Spitzenspiel beim Tabellenführer Duisburg weiter. Denken Sie schon oft über den Aufstieg nach?

Boah, es bleiben so viele Spiele. Aber wenn wir nach so vielen Spielen oben dabei sind, elfmal nicht verloren haben und die meisten Tore geschossen haben und mit die wenigsten bekommen haben: Das heißt, ja, wir haben eine gute Basis. Aber es geht so schnell im Fußball. Im September haben wir drei Spiele verloren und dann fängt man schon an mit dem Überlegen. Deshalb schön ruhig bleiben, aber auch mit viel Vertrauen das Ganze angehen!

Sie haben ja sicher mitbekommen, was in Würzburg passiert ist. Felix Magath ist eingestiegen als Chef von Flyeralarm Global Soccer. Investoren nehmen teils auch schon in der dritten Liga viel Geld in die Hand. Ist das für einen Traditionalisten wie Sie schlimm - oder auch spannend?

Das ist auch spannend. Ich finde Geldgeber sehr interessant, die sich raushalten aus dem Operativen, die delegieren, fähige Leute einstellen. Ich will jetzt keinen Namen nennen, aber es gibt auch Vereine, da ist ein riesiger Geldgeber und der entscheidet alles. Sein Verein hat über Jahre keinen Erfolg, er sagt aber trotzdem nicht: Okay, ich investiere mein Geld, aber gebe das dann in die Hände von einem guten Trainer, einem guten Sportchef, die das Ganze gut verwalten. Stattdessen schmeißt er einen Trainer raus, einen Sportchef raus, dann kommt wieder wer anders. Das war heute Morgen im Gespräch mit Rumpi auch ein Thema.

Als Trainer wollen Sie einen Geldgeber, der sich raushält, und Sie ihre Arbeit machen lässt.

Auf jeden Fall.

Aber was macht das Investorenwesen mit dem Fußball und der Fanseele?

Ich finde schade, dass Red Bull oft so kritisiert und hinterfragt wird. Die leisten in Leipzig und Salzburg sehr gute Arbeit. Klar ist es ein Konzern, der das Ganze aufgebaut hat. Da fehlt die Tradition zunächst. Aber auch bei Traditionsvereinen braucht es ja Sponsoren. Man kann auf verschiedenen Wegen Erfolg haben und gut sein.

Das Thema spielt ja auch hier eine Rolle. Die Leute sehen ganz dick Audi am Stadion und wissen: ein Riesenkonzern, ganz viel Geld. Aber dass Audi sich hier in Wahrheit nur verhältnismäßig klein engagiert, nehmen die wenigsten wahr.

Audi hat glaube ich viel Einfluss gehabt hier am Trainingsgelände...

... die ganze Stadt steht ja für Audi...

... aber das finde ich ja eigentlich cool. Da kann man ja auch stolz drauf sein! Das ist ja eine super Marke, super Autos. Wenn man hierhin kommt und Audi sieht: Boah, mir passt das (lacht). Ich fahre ja auch einen schönen.

Haben Sie in Ingolstadt schon einen neuen Spitznamen erhalten?

Nein, es kommen immer noch die alten.

"Jeff le Chef", "Graf von Luxemburg"?

Ja.

Das nervt, oder?

Nein, überhaupt nicht.

Also zum Graf von Luxemburg. Wenn man sich mit dem Text mal näher befasst...

... ich habe das Lied gar nicht gekannt, das ist ja so schlimm. Das kam anscheinend 1968 raus, in meinem Geburtsjahr. Aber ich hab da mal zu meinen Bielefelder Zeiten gesagt: "Rumpi, was singen die da überhaupt? Was ist das?" Das war im letzten Spiel gegen Dresden, an dem wir uns sportlich gerettet haben. Da war ein Riesenbanner - und da stand drauf: "Sind Sie der Graf von Luxemburg?" Und ich habe mir gedacht: Was ist denn das? Und dann habe ich das Lied auch mal im Radio gehört und mir gedacht, das ist ja Wahnsinn! Aber ich habe den Text noch nie genau angeschaut.

Es geht um eine Frau, die in der Eifel..

. (Saibene lacht heftig) ...

... Jedenfalls fragt die Frau den Erstbesten, ob er der Graf von Luxemburg sei.

Der sagt: Nö. Plötzlich kommt ein Reiter vorbei, auch ihn fragt sie. Und der sagt: Ne, ich bin auch nicht der Graf, aber ich kenne ihn. Er ist in Paris vor hundert Jahren gestorben.

Ah! Aber das war doch trotzdem was Besonderes, dass sie den Spitznamen in Bielefeld überhaupt erfunden haben.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie in Bielefeld Ihre Spieler anfangs nicht unterscheiden konnten?

Ja, das war schlimm! Da hat Rumpi gesagt: "Jeff, du hast dem schon Hallo gesagt." Da habe ich gesagt: "Das tut mir leid, die sehen alle gleich aus!"

Was war denn da los?

Ich kam an und kannte zwei Spieler: Fabian Klos und Flo Dick. Von allen anderen hatte ich keine Ahnung. Das ging alles so schnell. Bielefeld hat mich am Dienstag kontaktiert: Wir wollen, dass Sie am Montag anfangen. Ich hatte noch Vertrag in Thun. Wir haben sonntags noch gespielt, dann bin ich nach Bielefeld geflogen und war am Sonntagabend im Hotel. Um halb drei abends habe ich meine Frau angerufen und gesagt: "Ich habe so Panik." Viele haben mir abgeraten und gesagt, dass der Verein finanziell tot sei. Es stand in der Zeitung, die Mannschaft sei untrainierbar, sie war Drittletzter, ich war der dritte Trainer. Ich habe zu meiner Frau gesagt: "Was mache ich mit denen im Training? Ich kenne keinen!" Das war wirklich nicht so einfach. Im Nachhinein war es ein Glücksfall, dass ich es gemacht habe. Ich habe viele gute Leute kennengelernt, Rumpi zum Beispiel. Aber ich bin jetzt vom Thema weg.

Die Frage war, ob die Spieler wirklich alle gleich aussahen.

Wenn man 25, 30 Leute zum ersten Mal sieht, dann weiß man ja gar nicht, ob man denjenigen, der vor einem steht, schon begrüßt hat. An den ersten Trainingstagen hat Rumpi viel gemacht, weil ich die Jungs erst kennenlernen musste.

Da hätte ein Panini-Album geholfen.

Möglich. Das Gute an der Sache war: Ich hatte null Vorurteile. Ich hatte zehn Tage Zeit, und dann haben auf einmal Spieler gespielt, die waren aussortiert und durften nicht mehr ins Trainingslager. Aber ich wollte die wieder dazu nehmen und dann fängt man wirklich bei Null an.

Das war jetzt hier beim FCI anders, oder?

Da waren auch viele Neue dabei. Das braucht am Anfang schon Zeit. Und dann nennen sich die Spieler vor allem nie mit dem Namen! Krauße, Robin, ist Kraußi. Marcel Gaus ist Gausi. Noch vor zwei Wochen habe ich zu Rumpi gesagt: Wie heißt der Spieler eigentlich mit Vornamen? Buntic ist Bunti. Aber wissen Sie, wie Buntic heißt mit Vornamen?

Fabijan.

(lacht) Ja. Kutschke ist Kutsche. Wie heißt der mit Vornamen? Ja, Stefan. Heinloth heißt Heini.

Aber es ist ja doch ein Muster zu erkennen. Immer der Nachname, oder ein Teil davon, und ein "i" am Ende.

Meistens, ja, ja. Die Namen zu lernen, das ist das eine. Das andere ist: Man muss jeden Charakter kennenlernen, wissen, wie man ihn nehmen muss. Ich gehe auf jeden Spieler ohne Vorurteile zu. In jedem Job mit Verantwortung geht es nur um Führung. Wie man das Ganze managt, dass sich alle Jungs wohlfühlen, dass man konsequent in den Entscheidungen ist und respektvoll miteinander umgeht. Es gibt viele Trainer, die immer wieder mit einem anderen Führungsstil scheitern.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Michael Henke? Er hat einen exzellenten Ruf, vor allem als langjähriger Co-Trainer, aber macht sich immer so ein bisschen rar.

Also Henki...

Da ist das "i" wieder!

Vom Typ her sind wir sehr ähnlich. Aber wir sind oft so (reibt die Fäuste aneinander), was den Sport anbelangt, sehr kritisch. Er hinterfragt vieles und ich stehe dann auf der anderen Seite. Aber würde er genauso ticken wie ich, wäre es nicht förderlich. Henki ist ein Gegenpol, der sagt: "Was soll das?" Und ich sag dann: "Hey, Henki, alles gut jetzt!" Positive Diskussion.

Das heißt, Sie sind dann schon mal zufrieden, wenn es läuft. Und er findet noch was zu mäkeln?

Vielleicht hat er dann das Gefühl, dass es zu gut läuft und wir aufpassen müssen. Er ist ja äußerst erfahren. Dann hinterfragt er die Sachen und wir haben auch mal Meinungsverschiedenheiten. Entsprechend gehen wir uns hin und wieder gehörig auf den Zeiger (lacht). Aber das ist alles für die Sache. Das braucht es, um Erfolg zu haben.

© SZ vom 23.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: