FC Bayern:Sekündlich besser

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„Man vergisst oft, dass sie noch so jung ist“: Sydney Lohmann (links) überzeugt mit ihrer Dynamik. (Foto: Eibner/imago)

Sydney Lohmann ist zur derzeit effektivsten Offensivkraft geworden, die maßgeblich zum Erfolg beiträgt. Ihre Entwicklung kommt zur richtigen Zeit.

Von Anna Dreher

Lineth Beerensteyn hatte kurz angetäuscht, aber den Querpass von Klara Bühl im Strafraum dann doch lieber unberührt durchgelassen. Sie war zu gut bewacht. Und in ihrem Rücken, das wusste sie, lauerte schon eine andere. Sydney Lohmann war das Angriffstempo von Bühl und Beerensteyn mitgegangen. Und weil alles so schnell ging und Lohmann clever ihre Position gewechselt hatte, stand sie ganz frei vor dem Tor. Sie legte sich den Ball kurz zurecht, und zog auf Höhe des Elfmeterpunktes ab. Lohmann konnte in dieser Konstellation eigentlich gar nicht anders, als den Ball unhaltbar ins Netz zu lenken. Aber sie verzog, der Ball flog weit am Ziel vorbei. Statt zu jubeln vergrub sie ihr Gesicht fassungslos in den Händen.

Diese Szene hat sich am Sonntag in der 38. Minute des Spiels zwischen dem FC Bayern München und dem 1. FFC Turbine Potsdam abgespielt. Es ist also eine Szene, die für diese Saison steht. Dabei passt sie so gar nicht in die Bilderserie, die Lohmann seit dem Auftakt am 6. September kreiert hat.

Die 20 Jahre alte Oberbayerin aus dem Landkreis Landsberg am Lech ist von einer talentierten Spielerin zur derzeit besten Offensivkraft des FC Bayern geworden. Sechs Treffer in sieben Partien, damit ist die Nationalspielerin hinter Frankfurts Laura Freigang (9) vor der anstehenden Länderspielphase die zweiterfolgreichste Torjägerin der Bundesliga. "Ich fühle mich gut und es läuft, da habe ich gerade sicherlich das Momentum auf meiner Seite", sagt Lohmann am Telefon. "Tore schießen ist ja auch immer viel Kopfsache."

Die Szene aus der 38. Minute ließe anderes vermuten, aber sie war am Sonntag ja nicht Lohmanns einziger Auftritt im Strafraum. In der zwölften Minute per Kopf und durch einen Abstauber in 58. Minute traf sie das Ziel problemlos. Gemeinsam mit Beerensteyn, die den Ball präzise von der Strafraumgrenze in den Torwinkel schlenzte (45.+2), sorgte sie beim 3:0 gegen Potsdam dafür, dass der FC Bayern die Tabellenführung vor Doublesieger und Dauerrivale VfL Wolfsburg behauptet hat. Und das ist umso erstaunlicher, wenn ihre Bilanz mit jener der vergangenen Saison verglichen wird. Da kam Lohmann noch auf: null Tore.

"Mein Ziel war es, daran zu arbeiten. Das habe ich gemacht", sagt Lohmann sehr sachlich. Für den FC Bayern ist ihre Entwicklung ungemein wichtig und kommt vor allem zur richtigen Zeit - mal abgesehen davon, dass viele Tore von vielen Spielerinnen natürlich nie schaden. In der vergangenen Saison war Jovana Damjanovic mit elf Treffern in 21 Partien die erfolgreichste Torjägerin. Gegen Olympique Lyon erlitt sie im August in der Champions League einen Kreuzbandriss. Es wird noch lange dauern, bis die Serbin wieder auf ihrem hohen Niveau von einst wirbeln kann. Ihre Rolle müssen nun andere einnehmen. Im Sturm setzt Trainer Jens Scheuer auf Bühl und Lea Schüller, aber Lohmann - die sich flexibel einsetzbar auf der Sechs, Acht und Zehn wohl fühlt - kann ihre Position im Mittelfeld neben Kapitänin Lina Magull und Zugang Sarah Zadrazil auch dank ihrer Dynamik offensiver auslegen.

Lohmann kam 2016 vom SC Fürstenfeldbruck zum FC Bayern, spielte für die B-Juniorinnen, die zweite, aber auch schon für die erste Mannschaft. Ihr fester Aufstieg ins Bundesligateam wäre womöglich schon früher gekommen, hätte sie sich 2017 nicht im Mai und im August einen Bänderriss sowie im November einen Muskelbündelriss zugezogen. Eine Zeit, die sie mit langer Reha aber zu nutzen wusste und viel an ihrer Physis arbeitete. "Vielleicht", sagt Lohmann, "hat mich genau das noch stärker gemacht im Übergang zu den Frauen." Unter Scheuers Vorgänger Thomas Wörle avancierte Lohmann in der Saison 2018/2019 zur Stammspielerin. Im Mittelfeld zeigte sie verlässlich gute Leistungen, deren Relevanz sich schon angesichts der bevorstehenden Weggänge von Melanie Leupolz (Chelsea LFC) und Sara Däbritz (Paris Saint-Germain) abzeichnete.

Inzwischen, sagt Scheuer, renne sie zudem nicht mehr vor allem mit unglaublichem Einsatz, sondern gestalte mehr - und das mit selbstbewusstem Auftreten. "Man vergisst oft, dass sie noch so jung ist. Wenn sie weiter so macht, wird sie die nächste deutsche Topspielerin. Und ich spüre in jeder Sekunde, dass sie sich weiterentwickeln will", sagt er. "Sydney verkörpert, was es braucht, um eine erfolgreiche Spielerin zu sein. Sie stellt den Fußball über alles." Lohmann wurde in den Mannschaftsrat gewählt. Mit Spielerinnen wie Magull, Damnjanovic, Carina Wenninger - die seit 13 Jahren im Klub ist - und dem erfahrenen Zugang Marina Hegering, 30, gehört sie inzwischen zur fixen Achse in einem stimmig zusammengestellten Kader.

Lohmann formuliert ihren Anspruch klar, sie will in eine Führungsrolle rücken und mehr Verantwortung tragen. Und sie scheint auf einem guten Weg zu sein, weiter in eine solche Position zu wachsen. Scheuer erinnert sich an ein Trainingsspiel im Frühjahr. Das jüngere Team um Lohmann bekam einen Elfmeter zugesprochen. Aber keine preschte nach vorne. Scheuer sprach auch mit Lohmann über ihre Zurückhaltung. Viele Wochen später musste wieder vom Punkt geschossen werden. Dieses Mal, Anfang Oktober, in der Bundesliga gegen die SGS Essen. Es stand 1:0 in der 90. Minute. "Wir haben die Elfmeterschützin nicht festgelegt, ich dachte, Lina schießt", sagt Scheuer, der nie hinschaut in solchen Momenten. Dann: Tor! "Wer hat geschossen?", fragte er. Es war Sydney Lohmann, ganz ruhig und platziert.

© SZ vom 21.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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