FC Bayern München:Klinsmanns Händchen dreht das Spiel

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Bayern liegt gegen Wolfsburg zur Pause 1:2 zurück. Dann greift Klinsmann zu einer riskanten Maßnahme - und hat Erfolg: Seine Bayern siegen noch 4:2.

Thomas Hummel

Jürgen Klinsmann ist schon hin und wieder vorgeworfen worden, er möge zwar viel theoretisches Wissen aus aller Welt angesammelt haben, doch vom Klein-Klein des Traineralltags habe er wenig Ahnung. Diese Kritiker müssen zumindest nach diesem neunten Spieltag zugestehen, dass der Bayern-Trainer mit einem ungewöhnlichen Wechsel in der Halbzeit gegen den VfL Wolfsburg den Sieg ermöglicht hat.

Schnell den Ball holen und weiter geht's: Lukas Podolski und der FCB drehten einen 0:2-Rückstand. (Foto: Foto: dpa)

Nach sehr schwachen 45 Minuten und einem noch schmeichelhaften 1:2-Rückstand brachte er Tim Borowski für das linke Mittelfeld und beorderte Zé Roberto auf die Position des Linksverteidigers, weil dort nach der Verletzung von Philipp Lahm (Fußwurzelknochen-Anbruch) ein Vakuum entstand und vor allem der Spielaufbau aus der Abwehr heraus im Argen lag. Über diese linke Seite fielen dann noch drei Tore, die Bayern siegten 4:2 und setzen damit ihren Aufstieg in der Tabelle der Fußball-Bundesliga fort.

Danach hatte es zumindest während der ersten Halbzeit nicht ausgesehen. Wolfsburgs Trainer Felix Magath hatte von Beginn an mit Edin Dzeko und Grafite zwei Stürmer plus dem Mittelfeld-Offensivgeist Misimovic auf den Platz geschickt, eine für Wolfsburger Verhältnisse ungewohnt angriffslustige Formation. Er wollte wohl die offensichtlichen Defizite der vergangenen Wochen in der Münchner Abwehr nutzen, die nach Lahms Ausfall dazu ihren beständigsten Mitarbeiter verloren hatte.

Als erster Schwachpunkt in der Bayern-Defensive entpuppte sich vor allem Lucio. Nach 15 Minuten spielte er schon zum wiederholten Mal den Ball in die Füße eines Spielers mit grüner Kleidung, Grafite nutzte das diesmal zu einem schönen Pass auf den völlig frei stehenden Jonathan Santana, doch der Argentinier scheiterte am gut reagierenden Michael Rensing im Bayern-Tor.

Nach fast einer halben Stunden verballerte Santana dann eine noch größere Chance, die Gäste schienen nun endgültig sicher zu sein, dass diese Bayern anfällig sind. Bis dahin hatten sie sich ruhig in der eigenen Hälfte aufgestellt und den Münchnern zugesehen - als wollten sie sagen: Na, zeigt mal, was ihr könnt. Da aber kaum etwas kam, beschlossen die Wolfsburger nun selbst aktiv zu werden.

Kurz nach Santanas zweiter Gelegenheit lief Dzeko in den Strafraum, Martin Demichelis grätschte hinterher und Dzeko fiel. Schiedsrichter Jochen Drees zögerte ein paar Augenblicke, deutete dann aber auf den Elfmeterpunkt. Und Grafite verwandelte sicher zum 1:0 (31.). Wieder nur zwei Minuten später beobachteten Ribery und Lell, wie Makoto Hasebe den Ball in die Mitte flankte, Lucio sprang hoch als hätte ihm jemand 20 Kilo an jeden Fuß gehängt, und Dzeko köpfte leicht zum 2:0 ein.

Bayerns Abwehr agierte in diesen Minuten so unsicher, wie das selbst einem offensiv denkenden Trainer wie Jürgen Klinsmann nicht gefallen konnte. Lucio war gegen Grafite wiederholt überfordert, Demichelis ließ sich anstecken, Lell und Oddo auf außen verstolperten regelmäßig Bälle im Spielaufbau. Vorstand Karl-Heinz Rummenigge sagte in der Halbzeit: Schon am Dienstag gegen Florenz (3:0) habe man in der Abwehr Probleme gehabt, "die gleichen haben wir heute auch".

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Was sollte den Bayern in ihren fatalen Situation helfen? Es musste eine Einzelaktion sein. Und wer, außer dem französischen Freigeist Franck Ribery, hätte die Hoffnung zum FC Bayern zurückbringen können. Er dribbelte also quer zum Strafraum, dribbelte weiter und dribbelte weiter und zielte auf die kurze Ecke. Naja, es war fast ein Verzweiflungsakt, 60 Stundenkilometer schnell wie ein Werbepartner feststellte. Doch der Ball trudelte ins Netz, weil Wolfsburgs Torwart Diego Benaglio so langsam nach unten kam wie die berühmte Bahnschranke (41.).

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Das Tor gab den Münchner neuen Mut, sogar ein bis dahin fast unsichtbarer hatte plötzlich eine erste bemerkenswerte Aktion. In der letzten Sekunde der ersten Halbzeit donnerte Lukas Podolski den Ball aus zehn Metern über den Querbalken. Durch den Ausfall von Toni durfte Podolski ja wieder einmal von Beginn für Bayern stürmen, doch bis zu eben dieser 45. Minute geschah das nur auf den Spielberichtsbogen, auf den Rasen war vom 23-Jährigen fast nichts zu sehen gewesen. Bis zu seiner Auswechslung nach 75 Minuten hatte er nur zwei Torschüsse.

Van Bommel gelingt der Ausgleich

Doch dann brachte Klinsmann Borowski für Oddo und zog Zé Roberto zurück. Einer der ersten Angriffe über links endete bei Klose, Benaglio klärte, doch den Abpraller köpfte Mark van Bommel genau unter die Latte zum 2:2 (54.).

Die Wolfsburger schienen konsterniert, so schön hatten sie alles unter Kontrolle gehabt, sie mussten scheinbar nur auf Münchner Fehler warten und sich hinten gemütlich einrichten. Doch Klinsmann hatte in der Kabine wohl auch seinen Ehrgeiz und seinen Elan endlich auf seine Mannschaft übertragen. Diese ging wesentlich härter in die Zweikämpfe und erhöhte merklich das Tempo. Der nächste Angriff über links, die nächste Flanke von Zé Roberto, und Borowski knallte den Ball in die Maschen, 3:2 (63.). Binnen 22 Minuten hatten die Bayern das Spiel gedreht.

Ohne aber dabei ihre Unsicherheit in der Defensive beheben zu können. Demichelis hatte schon vor dem 3:2 auf der Linie retten müssen (60.), dann donnerte Marcel Schäfer den Ball an die Latte (72.). Wolfsburg war auf der Suche nach der verlorenen Dominanz der ersten Hälfte, doch die linke Münchner Seite war einfach nicht mehr zu stoppen. Flanke Zé Roberto, Kopfball Klose, Schweinsteiger vollendete zum 4:2 (80.). Die Szene des Spiels sollte aber noch folgen. Klose legte kurz darauf quer auf Andreas Ottl, der nur noch das leere Tor vor sich hatte. Doch Ottl schob den Ball nicht wie angenommen ins Tor, sondern er vollbrachte etwas viel schwierigeres: Er traf den Pfosten. Doch das interessierte zu diesem Zeitpunkt niemanden mehr.

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