FC Bayern:Einer aus 100

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Vor den entscheidenden Wochen muss der Klub erkennen, dass er über eine wuchtige erste Elf verfügt - Korrekturen wie beim 3:2 gegen Paderborn nehmen dem Team aber viel von seiner Geschlossenheit.

Von Benedikt Warmbrunn, München

Der Zustand der Defensive einer Manuel-Neuer-Mannschaft bemisst sich auch immer daran, wie oft Manuel Neuer seinen Strafraum verlassen und mit welchen Körperteilen er dann die gegnerischen Attacken abwehren muss. Am Freitagabend gegen 21 Uhr war der Zustand so gesehen stabil. Neuer war zwar schon einige Male aus seinem angestammten Revier herausgerannt, einmal hatte er den Ball dabei mit dem Bauch abgewehrt, aber passiert war nichts. Und nun, nach einer knappen halben Stunde, Neuer stand gemütlich an der Mittellinie, da genügten ein paar wegwerfende Handbewegungen, und schon war die Attacke gestoppt. Steffen Baumgart zog seine Mütze, er verbeugte sich.

Der Torwart des FC Bayern und der Trainer des SC Paderborn hatten sich zuvor eine hitzige Diskussion geliefert, wobei für die Hitze hauptsächlich Baumgart zuständig gewesen war, geflucht und geschimpft hatte er, Neuer reagierte mit kleinen Winkehänden, was für seine gewöhnlich abgekühlten Verhältnisse fast schon ein Gefühlsausbruch war.

"Das war alles wirklich in Ordnung", sagte Baumgart am späten Freitagabend über sein Wortgefecht mit Neuer, "das ging nicht in die Unfairness." Auf diesen einen Ausflug von Neuer blickte also sogar sein Gegenspieler versöhnlich zurück, und doch waren es gerade die Reiseunternehmungen des Torwarts, die den Verantwortlichen des FC Bayern viel Aufschlussreiches über den Zustand der Defensive ihrer Mannschaft geliefert haben. Und das lag nicht allein daran, dass Neuer einmal zu oft aus seinem Tor herausgestürmt kam und dabei den Ball genau genommen mit keinem Körperteil berührt hatte.

Ungewohnte Rolle: Nachdem Manuel Neuer beim Rauslaufen gegen Dennis Srbeny zu spät kommt, kann er selbigen nicht mehr am Torschuss zum 1:1 hindern. (Foto: imago images/ULMER Pressebildage)

Das beschwerliche 3:2 gegen Paderborn, den Tabellenletzten, hat dem FC Bayern zwar gereicht, um die Tabellenführung in der Bundesliga zu verteidigen. Es hat - direkt vor dem Hinspiel im Achtelfinale der Champions League an diesem Dienstag beim FC Chelsea - aber auch schonungslos offengelegt, wie viele taktische Varianten vor den entscheidenden Wochen der Saison im Münchner Kader stecken. Es sind nicht sehr viele.

Mit dem Rückblick auf das Spiel gegen Paderborn sowie den möglichen Erkenntnissen daraus haben sich die Bayern am Freitagabend nicht lange aufgehalten, sie wussten natürlich, dass dabei nur wenig Schmeichelhaftes zu berichten gewesen wäre. "Wir haben unseren Teil erfüllt, um mehr ging es nicht", sagte Thomas Müller, und wenn es tatsächlich nur darum gegangen sein sollte, drei Punkte zu sichern, dann hätte Müller mit diesem sachverwaltergleichen Ansatz auch recht gehabt. Aber es war eben nicht nur um drei Punkte gegangen. Sondern auch: um mehr.

Der FC Bayern hat Ende Februar 2020 eine erste Elf, die sich mit ihrem wuchtigen, geschlossenen Auftreten auch in Europa vor keiner Mannschaft verstecken muss; stellvertretend dafür standen gegen Paderborn die Torschützen Serge Gnabry und Robert Lewandowski - Gnabry hatte auch die beiden Treffer des Mittelstürmers vorbereitet. Doch sobald diese erste Elf ein oder mehrere Elftel verliert, verliert sie auch ihre Wucht und ihre Geschlossenheit; stellvertretend dafür stand gegen Paderborn ein Ausflug von Neuer in der 44. Minute.

Trainer Hansi Flick musste gegen Paderborn auf die gelbgesperrten Jérôme Boateng und Benjamin Pavard verzichten, er baute daher seine Viererkette in der Abwehr in eine Dreierkette um; neben David Alaba und Lucas Hernández stellte er Joshua Kimmich, eigentlich sein Lieblingsspieler auf der Position vor der Abwehr. Unterstützt wurden die drei von Alphonso Davies und Álvaro Odriozola, die mal Flügelstürmer waren, mal Außenverteidiger. Diese Defensive ließ sich oft von langen Bällen der Gäste überrumpeln, aber dann war immer Neuer dazwischen, mit der Faust, zur Not mit dem Bauch, auch in der 44. Minute eilte er aus seinem Strafraum heraus. Die ganze Abwehr hatte auf Abseits gespielt, aber zu spät festgestellt, dass Dennis Srbeny nicht im Abseits stand. Dann kam Neuer zu spät. Srbeny tunnelte ihn. Alaba rutschte übereifrig vorbei. Srbeny traf zum zwischenzeitlichen 1:1.

Er habe, sagte Neuer später, "ein bisschen Respekt davor gehabt, ihn umzuhauen, weil das eine rote Karte nach sich gezogen hätte". Von 100 Ausflügen würden 99 klappen, "das gehört zu meinem Spiel, das passiert einfach mal". Das war die Sicht auf diese eine unglückliche Szene.

Die Sicht auf das Ganze hatte dagegen Flick, er sagte über die Dreierkette: "Das war der personellen Situation geschuldet. Das hat keine Auswirkungen." Es sei also nicht so, dass er sich überlege, "dass wir so auch gegen Chelsea spielen". In den Partien zuvor habe sein 4-3-3-System schließlich "gut funktioniert". Gegen Paderborn dagegen habe "einiges über die Flügel nicht funktioniert". Erst nachdem er zusätzlich zu Gnabry dessen etatmäßigen Flügelzangenpartner Kingsley Coman eingewechselt habe, sagte Flick, "war da mehr Schwung und auch mehr Gefährlichkeit".

Für das Spiel am Dienstag in London wird Flick also wieder auf das alte System umstellen, mit Viererkette, vielleicht mit Coman, mehr Varianten lässt dieser Kader nicht zu, viel mehr kann Flick also kaum machen, um seinen Teil zu erfüllen.

© SZ vom 24.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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