FC Bayern:Ein Schuss Demut - und zehn Schüsse ins Tor

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Gleich stürzt Robert Lewandowski (rechts): Der anschließende Platzverweis für Arsenal-Verteidiger Laurent Koscielny (rotes Trikot) sowie das Elfmetertor des Münchner Stürmers markierten den Wendepunkt der Partie in London. (Foto: imago)

Trotz Viertelfinal-Qualifikation: Der FC Bayern ermahnt sich selbst, weil die ersten Halbzeiten gegen Arsenal mau waren.

Von Claudio Catuogno, London

Mats Hummels telefonierte. Eine graue Mütze auf dem Kopf, das Handy am Ohr, so tigerte der Bayern-Verteidiger mehrmals um den Bayern-Bus herum, der mit laufendem Motor im Stadionuntergrund stand. Bis irgendwann ein schrilles Hupen erklang, Abfahrt hinaus in die Londoner Nacht. Hummels schlüpfte schnell noch durch die hintere Tür, und die letzte Nachricht des Abends war, dass ihm dabei weder das Handy aus der Hand fiel noch sonstige Missgeschicke passierten.

Mats Hummels lässt auf dem Weg zum Bus einen Kaffeebecher fallen - dieser Videoschnipsel war vor dem Champions-League-Achtelfinale gegen den FC Arsenal der große Lacher in den sozialen Netzwerken gewesen. Und bei aller Selbstironie, mit der Hummels an der Verbreitung des Filmchens selbst mitgewirkt hatte ("Läuft bei mir"): Das kleine Malheur taugte doch als Mahnung, dass es manchmal sehr schnell gehen kann, eine blöde Schusseligkeit nur, und dann wird aus einem dunklen Anzug und einem weißen Hemd ein pitschnasses Outfit mit hässlichen Flecken.

"Ich glaube, wir tun gut daran, uns nicht gleich zum Favoriten abstempeln zu lassen"

Wirklich ernsthafte Mahnungen hatte der FC Bayern natürlich nicht nötig gehabt vor dem Rückspiel in London; dass das 5:1 aus dem Hinspiel noch in Gefahr geraten könnte, glaubte niemand. Umso bemerkenswerter war nun aber, dass alle Beteiligten nach dem Abpfiff durchaus ein paar strenge Worte an sich selbst für angebracht hielten. Obwohl das Rückspiel am Dienstagabend ja mit genau demselben Resultat abgeschlossen worden war: mit einem weiteren 5:1.

Ein Ausrufezeichen? "Nee, keineswegs", sagte zum Beispiel Mats Hummels, ehe er sein Handy zückte: "Ich glaube, dass wir heute bis zum 1:1 nicht so ein gutes Spiel abgeliefert haben." Hummels' Selbstanklage lautete auf: "träge" und "pomadig - wir dachten, das geht schon locker". Ging es dann aber nicht, stattdessen ging Arsenal in Führung durch einen präzisen Gewaltschuss von Theo Walcott (20.).

Und wäre Hummels nicht immer wieder mit dem Fuß oder dem Kopf zur Stelle gewesen - die Elf von Arsène Wenger dürfte sich jetzt vielleicht für ihre Moral loben lassen. Hummels: "Das Große und Ganze passt natürlich, aber das Ergebnis entspricht heute nicht dem Spielverlauf."

Das fand auch der Trainer Carlo Ancelotti: "Das Ergebnis respektiert nicht, was auf dem Rasen passiert ist." Arjen Robben meinte, bei "5:1 und 5:1 muss ich eigentlich meinen Mund zumachen und nicht kritisch sein", aber: "Es war auch eine Lehrstunde, weil so eine erste Halbzeit darf man nicht spielen." Und als der Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge am späten Abend im Luxushotel "The Landmark" zum Mikrofon griff, sagte er: "Wenn man ehrlich ist, haben wir in der ersten Halbzeit auch ein bisschen gezittert, nach dem 1:0 speziell, wenn du da den Zweiten kriegst, wird's etwas enger."

Bloß nicht blenden lassen von all den schönen Schüssen in gegnerische Tore, acht gegen den HSV, drei gegen Schalke und Köln, wieder fünf gegen Arsenal, das ist gerade die Devise. Nach Robert Lewandowskis Foulelfmeter zum 1:1 (55.) trafen am Dienstag noch Robben (68.), der eingewechselte Douglas Costa (77.) sowie zweimal Arturo Vidal (80., 85.). Aber so sehenswert die Treffer auch waren: Was ihnen fehlte zu echten Kunstwerken, war seriöse Gegenwehr. "Ich glaube, wir tun gut daran, uns nicht gleich zum Favoriten der Champions League abstempeln zu lassen", sagte also Rummenigge - und empfahl, was er häufig empfiehlt: "einen Schuss Demut".

Tatsächlich ist das ja eine merkwürdige Saison für die Bayern. Im rumpeligen ersten Halbjahr haben sie sich doch sehr einreden müssen, dass sich irgendwann die Aura des Erfolgstrainers Ancelotti schon entfalten würde, selbst wenn auf dem Rasen eher wenig Konzept zu erkennen war. Und dann brauchte es nur dieses Emotions-5:1 im Hinspiel - und schon sind die Bayern so von sich berauscht, dass bereits Analogien zum Triple-Jahr 2013 aufkommen. Franck Ribéry jedenfalls hat kürzlich erzählt, die gegenwärtige Erfolgsserie erinnere ihn an damals. Kaum Verletzte, dazu ein Trainer, der offenbar die Elf seines Vertrauens gefunden hat (derzeit: mit Thiago, ohne Müller) - es erinnert gerade tatsächlich vieles an 2013 beim FC Bayern.

Mats Hummels spielte damals noch für den Finalgegner Borussia Dortmund, jetzt sagt er: "Wir sind in der richtigen Verfassung, um sehr weit zu kommen. Aber ein schlechter Tag kann das Aus bedeuten, und das müssen wir vermeiden."

Der Cappuccino-Freund Hummels hat sich übrigens umgezogen nach dem Malheur, auch das sieht man auf dem Filmchen, neuer Anzug, neues Hemd. Und Cappuccino gibt's ab jetzt nur noch mit einem Schuss Demut.

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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