Europameisterschaft 2012:EM-Gastgeber im Rückstand

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Uefa-Chef Platini setzt Ukraine Frist für Stadionbau: Die Fußball-EM bedeutet für die Ukraine nicht nur ein Großereignis, sie ist auch eine hochpolitische Angelegenheit.

Thomas Urban

Michel Platini war mal französischer Nationalspieler, seine Spezialität waren Freistöße. Manche führte er direkt aus, andere indirekt, gefährlich waren beide Arten. Mittlerweile ist Platini Präsident des europäischen Fußballverbandes Uefa, und in dieser Funktion sprach er nun eine Art indirekter Drohung aus: Er stellte die Ukraine als Gastgeber für die nächste Europameisterschaft im Jahr 2012 infrage, falls es beim Bau von Stadien und Verkehrsanbindungen nicht vorangehe.

"Wir können keine Zeit mehr verlieren - die Ukraine hat zwei Monate Zeit, deutliche Fortschritte zu zeigen", sagte Platini nach einem Treffen mit Präsident Viktor Janukowitsch, der prompt sofortige Besserung gelobte. Die Kiewer Presse meldete aufgeregt, die Deutschen sollten für die Ukrainer einspringen, falls diese nicht zu Rande kämen. Die Uefa wollte die Deutschland-Variante allerdings nicht bestätigen.

Als die Ukraine und Polen vor fünf Jahren überraschend den Zuschlag für die EM 2012 bekamen, brummte die Wirtschaft in beiden Ländern. Der Boom brach allerdings mit der globalen Finanzkrise ab, die ukrainische Wirtschaft stürzte binnen eines Jahres um fünfzehn Prozent ab. Doch scheint die Talsohle mittlerweile durchschritten zu sein. Janukowitsch konnte nun Platini berichten, dass Kiew weitere 100 Millionen Euro für die Fertigstellung der Stadien und die Verbesserung der Infrastruktur bereitgestellt habe.

Zudem hat der Donezker Industriemagnat Rinat Achmet, der Finanzier Janukowitschs, die Oberaufsicht über den Sportkomplex von Lemberg übernommen, wo es die größten Probleme gibt. Der Milliardär war schon Bauherr des modernen Stadions in seiner Heimatstadt, wo ihm auch der international erfolgreiche Club Schachtjor gehört.

Die Fußball-EM bedeutet für die Ukraine nicht nur ein Großereignis, das die Massen begeistern und überdies den Organisatoren Millionengewinne bescheren soll. Sie ist auch eine hochpolitische Angelegenheit: Es geht um nichts Geringeres als die Stabilität des Staates. Fußball ist die wohl wichtigste Klammer, die den katholisch geprägten Westen um Lemberg, der einst zu Polen und Österreich gehörte, und die russischsprachigen Gebiete im Osten und Süden zusammenhält.

Noch vor anderthalb Jahrzehnten wehten bei Demonstrationen im Industrierevier Donbass oder in den Hafenstädten am Schwarzen Meer russische Fahnen oder gar Hammer und Sichel; man blickte nach Moskau, nicht nach Kiew. Doch mittlerweile ist namentlich bei der jungen Generation in den russischsprachigen Regionen ein ukrainisches Nationalgefühl entstanden - man freut sich sogar unverhohlen über Niederlagen der russischen Nationalelf.

Würde die Uefa Kiew die EM wegnehmen, so wäre dies nicht nur eine emotionale Katastrophe für Millionen. Experten befürchten für diesen Fall sogar innenpolitische Wirren in dem wichtigsten europäischen Transitland für Erdgas, vielleicht sogar den Sturz der Regierung. Eine politisch gelähmte Kiewer Führung könnte sich dann nicht gegen Repressionen aus Moskau wehren, wo man nach wie vor die Kontrolle über den Gastransit anstrebt. Als Folge davon könnten die Rohstoffpreise steigen.

Jedenfalls werden solche Szenarien in Berlin durchgespielt. Es herrscht Einigkeit darin, dass eine stabile Ukraine im deutschen Interesse liegt. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat die fußballbegeisterte Kanzlerin Angela Merkel den Deutschen Fußballbund ermuntert, Berater nach Kiew zu schicken.

© SZ vom 10.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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