Bronze für Hammerwerferin Heidler:Wie bei Monty Python

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Was für ein Drama im Hammerwerfen: Betty Heidler schleudert ihren Hammer auf Medaillen-Distanz - doch die Kampfrichter verschlafen die richtige Messung. Erst eine Nachprüfung per Hand ergibt schließlich das richtige Ergebnis: Heidler wird Dritte. Im Stabhochsprung gewinnen Björn Otto und Raphael Holzdeppe überraschend Silber und Bronze.

Thomas Hahn, London

Auf den Fernsehschirmen erschien noch einmal dieser fünfte Versuch von Betty Heidler, der irgendwie verschwunden war in der Verwirrung des Kampfgerichts bei den Olympischen Spielen in London. Es war ein weiter Versuch gewesen, rund um die 77-Meter-Marke, er hätte der deutschen Meisterin eine Medaille gebracht. Aber die Weite dazu fehlte in der Ergebnisliste. Die Russin Tatjana Lysenko feierte ihren Sieg mit 77,28 Metern, die Polin Anita Wlodarczyk Platz zwei mit 77,60 Meter. Und Betty Heidler? Wartete. Lächelte. Lachte sogar.

Silber und Bronze: Die deutschen Stabhochspringer Björn Otto und Raphael Holzdeppe. (Foto: dapd)

War offensichtlich guter Hoffnung, dass die Nachmessungen des Kampfgerichts diesen Abend für sie zu einem guten Ende führen würden. Es war eine Nervenprobe, die sie mit Humor zu nahm. Spät erst, viel zu spät erschien das richtige Ergebnis in der Ergebnisliste. 77,13 Meter. Bronze. Also doch. Sie sagte: "Gott sei Dank ist das gut gegangen."

Ein kurioser Freitagabend ist das gewesen aus Sicht des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) im Olympiastadion von London. Aber auch ein selten erfolgreicher, der den Aufschwung der deutschen Leichtathleten anschaulich bestätigte. Denn während Betty Heidler auf den Gegenwert für ihre Leistung wartete, sicherten sich auf der anderen Seite des Stadions die Stabhochspringer Björn Otto und Raphael Holzdeppe Silber und Bronze in einem hochwertigen Wettkampf, den letztlich der französische Europameister Renaud Lavillenie mit 5,97 Metern gewann.

Heidler. Otto. Holzdeppe. Ganz unterschiedliche Geschichten brachten diese drei DLV-Kräfte ein und am Ende ihrer Vorstellung vor 80.000 Zuschauern im Olympiastadion standen sie mal wieder für Unwägbarkeit und Vielfalt ihres Sports. Wobei die Stabhochspringer sich wenigstens nicht von irgendwelchen Schiedsgerichtsentscheidungen gestört fühlen mussten. Zu Dritt waren sie ins Finale der besten Zwölf eingezogen, der Wahl-Münchner Malte Mohr blieb früh zurück und landete mit 5,50 Metern auf Platz neun. Ein ungleiches DLV-Duo nahm also den Kampf mit Lavillenie auf.

Raphael Holzdeppe, 22, vom LAZ Zweibrücken ist ein Frühberufener. Er gilt schon seit Jahren als eines der größten Talente der deutschen Leichtathletik. 2008 stellte er mit 5,80 einen Junioren-Weltrekord auf, bekam auch schon einen Olympiastart und wurde 2009 U23-Europameister. In den vergangenen Jahren bremsten ihn Verletzungen, erst in diesem Jahr scheint er so richtig durchzustarten, schon bei der EM zuletzt in Helsinki gewann er Bronze. In London übersprang er 5,85 Meter erst im dritten Versuch, 5,91 im ersten. So hoch war er noch nie gesprungen.

Björn Otto dagegen, 34, vom LAV Bayer Uerdingen/Dormagen ist ein Spätberufener. Lange galt er als Unglücksrabe, der an politischen Entscheidungen scheiterte und in der Qualifikation für die Großereignisse immer wieder knapp an der nationalen Konkurrenz. Erst in diesem Jahr scheint er richtig durchzustarten, schon bei der Hallen-WM in Istanbul im März war er Zweiter. Ebenso bei der EM in Helsinki. In London nahm er 5,85 im zweiten Versuch, 5,91 im ersten. Und nach zwei vergeblichen Versuchen über 5,97 ließ er die Latte auf 6,02 legen. Die Latte fiel, aber das konnte er verwinden bei dieser schönen Wende, die seine Sportler-Karriere doch noch genommen hat.

Die Hammerwerferin Betty Heidler dagegen, 28, von der LG Eintracht Frankfurt, ist eine Stammkraft im Nationalteam. So lange ist sie schon unangefochten, dass man gar nicht mehr weiß, wann sie es nicht war. Weltmeisterin war sie 2007, zweimal WM-Zweite 2009 und 2011, Europameisterin 2010, seit dem vergangenen Jahr hält sie die Weltrekord mit 79,42 Metern. Und olympische Erlebnisse hatte sie natürlich auch schon, zwei an der Zahl vor ihrer Ankunft in London.

2004 in Athen, war sie eine Novizin, die als Viertplatzierte einen der wenigen Lichtblicke in einem DLV-Team setzte, das damals für den Niedergang des olympischen Kernsports in Deutschland stand. Vier Jahre später in Peking wurde sie Neunte. Als Weltmeisterin. Die Erwratungen waren hoch gewesen. Das Ergebnis war eine Enttäuschung für sie.

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Und nun also London. Ein ganz anderes, fast surreales Olympia-Erlebnis für Betty Heidler. Die Olympiasaison hatte ihr schon wieder eine Niederlage gebracht, auf die sie gut hätte verzichten können. Bei der EM, die erstmals so knapp vor den Spielen stattfand, scheiterte sie schon in der Qualifikation. Aber sie sagte, sie habe das Negativerlebnis abgehakt, den technischen Fehler gefunden und bearbeitet. Sie war zuversichtlich für London und nach der Qualifikation, die sie sicher überstand, sagte sie: "Ring ist super, der Ring ist echt gut. Das ist das einzige, was zählt. Das Stadion finde ich ganz toll, das passt alles."

Frustrierte Betty Heidler: Sie musste lange warten, ehe sie doch Bronze holte. (Foto: dpa)

Aber in den Wettkampf startete sie mit einer durchwachsenen Serie. Als Achte rettete sie sich in den Endkampf der besten Acht. Ihr vierter Versuch brachte auch keine Verbesserung. Ungültig. Aber der fünfte ging weit hinaus. Mit großen Augen schaute Betty Heidler ihrem Gerät hinterher. Rund um die 77-Meter-Marke bohrte sich der Hammer in den Rasen. Zufrieden verließ Betty Heidler den Ring. Aber die Messung ließ auf sich warten.

Sie kam nicht. Zalina Marghiewa aus der Republik Moldau trat in den Ring. Wenig später erschien hinter Betty Heidlers Namen die Weite 72,34 Meter. Die gehörte aber zu Marghiewas Wurf. Betty Heidler diskutierte mit den Kampfrichtern. Sie schüttelte den Kopf.

Erinnerungen wurden wach an die Siebenkämpferin Lilli Schwarzkopf, die kurzfristig um ihre Silbermedaille bangte, weil eine Kampfrichterin sie beim abschließenden 800-Meter-Lauf mit einer anderen Siebenkämpferin verwechselte, die beim Start verbotenerweise auf eine Bahnlinie getreten war. Bei Lilli Schwarzkopf korrigierte das Schiedsgericht die falsche Entscheidung, die Deutsche bekam ihre Silber-Medaille. Aber bei Betty Heidler? Die Gespräche ergaben zunächst, dass Betty Heidler einen zweiten fünften Versuch bekam.

Offensichtlich hatten die Kampfrichter den weiten Wurf nicht gemessen. Das hat man sich kaum vorstellen können, dass ein Wurf, der durchs halbe Stadion fliegt und für vor aller Augen tief im Feld landete, bei Olympischen Spielen dem Kampfgericht. Aber das war der Stand. Betty Heidler warf. Ungültig. Ihre Konzentration war offensichtlich kaputt. Sie hatte noch einen sechsten Versuch. 72,77 Meter, zu kurz. Dann begann das Warten mit dem glücklichen Ende, das allerdings wiederum die Chinesin Zhang Wenxiu tief traf. Die war zwischendurch davon ausgegangen, mit 76,34 Metern Bronze gewonnen zu haben.

© SZ vom 11. August 2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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