ERC Ingolstadt:Wohl zu viel Zeitung gelesen

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Der Eindruck täuscht: Ingolstadts Darin Olver und David Elsner (blaue Trikots, v.l.) bedrängen am Sonntag zwar das Tor von Nürnbergs Niklas Treutle. So richtig erfolgreich sind sie dabei aber nicht. (Foto: Stefan Bösl/imago)

Der ERC gewinnt erst 10:4, dann verliert er 1:5. Trainer Shedden grübelt, was das über sein Team verrät.

Von Christian Bernhard

Für Profi-Spieler hat der Saisonanfang eigentlich nur Gutes: Sie sind froh, dass sie endlich wieder spielen können und nicht länger Schweißperlen vergießen müssen in Vorbereitungspartien. Bei den Trainern dagegen mischen sich unter die Vorfreude auch ein paar Zweifel. Sie fragen sich, wie stark die eigene Mannschaft im Vergleich zu den anderen wohl ist? Doug Shedden hat nun so wie seine restlichen 13 Trainerkollegen in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) zwei Ligaspiele seines Teams erlebt. Der Trainer des ERC Ingolstadt dürfte allerdings ähnlich schlau sein wie vor dem Auftakt-Wochenende. Denn für einen Erkenntnis-Gewinn waren die Auftritte seiner Mannschaft zu unterschiedlich. Einem spektakulären 10:4-Sieg am Freitag in Schwenningen ließ der ERC am Sonntag eine ernüchternde 1:5-Derby-Heimpleite gegen die Nürnberg Ice Tigers folgen. Wie fügen sich diese Resultate zu einem schlüssigen Bild?

Dass beide Auftritte irgendwie zusammenhängen, wurde auf beiden Seiten thematisiert. Nürnbergs Trainer Kurt Kleinendorst, der den ERC in der Saison 2015/16 trainiert hatte, stellte bereits vor dem Derby klar, dass er lieber gegen die Oberbayern spiele, nachdem sie 10:4 gewonnen und nicht 4:10 verloren haben. Ice-Tigers-Verteidiger Tim Bender sah es sogar als "psychologischen Vorteil für uns" an. Er hatte das Gefühl, dass sich die Ingolstädter zu Beginn ein bisschen zurückgelehnt hatten. Shedden teilte diese Einschätzung. Sein Team habe womöglich zu viel Zeitung gelesen und vielleicht gedacht, dass es einfach werden würde, weil es ja zehn Tore am Freitag geschossen hatte. "Dabei haben wir vergessen, wie wir diese Tore erzielt haben: durch das zu Ende fahren von Checks, viel Bewegung und Zug zum Tor." All das habe seine Mannschaft im Derby im ersten Drittel "nicht gemacht". Shedden war davon insbesondere deshalb überrascht, dachte er doch, er verfüge in dieser Saison über ein "sehr reifes" Team.

Am Freitag hatte Shedden noch geschwärmt, dass alle vier Sturmreihen "fantastisch" gespielt hätten. Nach rund 15 Minuten führte der ERC in Schwenningen bereits mit 5:0, am Ende hatten sich neun verschiedenen Ingolstädter in die Torschützenliste eingetragen. Keiner DEL-Mannschaft war zuvor zum Saison-Auftakt eine zweistellige Toranzahl gelungen. Schwenningens Trainer Paul Thompson murmelte, Ingolstadt habe seine Spieler "wie kleine Jungs aussehen lassen".

Am Sonntag schlüpfte der ERC zu Beginn in die Schwenningen-Rolle: Nicht einmal zwölf Minuten waren gespielt, da lag er bereits mit 0:3 zurück. Die Ingolstädter taten sich gegen die Ice Tigers schwer, ihre größte Stärke auszuspielen: ihr Tempo. Sie setzten sich zwar immer wieder im Drittel der Franken fest, trafen dort aber auf intensiv und klug verteidigende Franken, die die Ingolstädter immer wieder in Zweikämpfe verwickelten und diese aggressiv führten. "Wir sind von unserem Spiel abgekommen", sagte ERC-Verteidiger Colton Jobke. Wenn die Shedden-Mannschaft zu Abschlüssen kam, war Nürnbergs Torhüter Niklas Treutle zur Stelle: 39 Paraden standen am Ende in seinem sonntäglichen Arbeitsnachweis. Nur Matt Bailey konnte ihn überwinden (21.). "Hoffentlich lernen wir aus dem Spiel", erklärte Shedden.

Zwei Tage nach dem Offensiv-Feuerwerk war der Blick auf die ERC-Defensive gerichtet, die schon im letzten Testspiel gegen Linz vier Gegentreffer kassiert hatte und am ersten DEL-Wochenende neunmal die Scheibe aus dem eigenen Netz holen musste. Shedden wies darauf hin, dass Eishockey eine Mannschafts-Sportart sei, jeder sei Teil der Defensive. Dass es im Sommer lediglich einen personellen Wechsel in der Abwehr gegeben hat - Benedikt Kohl ging, Garret Pruden kam - spricht für den ganzheitlichen Erklärungs-Ansatz des Trainers, der bereits vor dem DEL-Auftakt gewarnt hatte, das sein Team vor dem eigenen Tor besser aufräumen und Überzahl-Konter der Gegner vermeiden müsse. Die Anfälligkeit für schnelle Konter führte Nürnberg dem ERC am Sonntag speziell ab dem Mitteldrittel mehrfach vor Augen.

Ingolstadts Verteidiger Fabio Wagner sprach die Probleme klar an: "Wir verlieren die Scheibe zu leicht, laufen in Konter und sind hinten in Unterzahl", sagte er der Augsburger Allgemeinen. "Die Rückwärtsbewegung muss besser werden." Shedden jedenfalls weiß, worauf er den Fokus vor dem Freitags-Heimspiel gegen Krefeld und der Partie in Wolfsburg zwei Tage später zu setzen hat. Und er hätte wohl nichts dagegen, wenn das kommende Wochenende des ERC ein wenig, sagen wir, gewöhnlicher ausfallen würde als das vergangene mit 11:9 Toren.

© SZ vom 17.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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