Im wirklich richtigen Leben aber könnte die Affäre folgenreich enden, spätestens zum Jahresende, wenn die Untersuchungen des Falls abgeschlossen sind. Drei Kommissionen sind am Werk, aber nur von einer werden handfeste Ergebnisse erwartet: von einem unabhängigen Gremium der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) mit dem meinungsstarken IOC-Mitglied Dick Pound an der Spitze, dem Jura-Professor Richard McLaren (beide Kanada) und dem Münchner Günter Younger, dem Leiter des Dezernats für Cyberkriminalität im Landeskriminalamt Bayern. Die Verpflichtung des Hauptkommissars ist ein Coup.
Mit seinem Arbeitsschwerpunkt im LKA wird angedeutet, in welche Richtung die Ermittlungen gehen können. Ist Younger ein zweiter Jeff Novitzky? Der Ermittler für die US-Lebensmittel- und Drogenbehörde, ein früherer FBI-Mann, löste die Dopingfälle Lance Armstrong, Marion Jones und Barry Bonds.
ARD-Autor Seppelt sagt, das Wada-Trio erhalte von den Stepanows sämtliche Beweismittel, "viel mehr als in der ARD-Doku gezeigt werden konnte". Es profitiert zudem von den erweiterten Ermittlungsmöglichkeiten des neuen Wada-Codes, der seit diesem Jahr gilt. Seppelt: "Pound führt nach meinem Eindruck die größte Untersuchung durch, die es im Sport seit langer Zeit gegeben hat."
Auch die IAAF, deren Administration in der ARD-Sendung nicht gut wegkam, ermittelt: durch seine Ethikkommission, die der Weltverband unabhängig nennt. Das Vertrauen in derlei Verbandsgremien hält sich in Grenzen. Elementar für die IAAF muss vielmehr die Erkenntnis sein, dass Opfer der russischen Dopingaffäre auch die Leichtathletik selbst ist. Längst schon erheblich ramponiert durch die Dopingseuche, wurde ihr noch ein zusätzliches Stück Glaubwürdigkeit genommen.
Als Erstes könnte es das Gehen treffen
Das mindert ihren Stellenwert weiter und liefert dem Internationalen Olympischen Komitee eine Steilvorlage, das seiner bisherigen Königsdisziplin bis zu fünf Disziplinen aus dem Olympiaprogramm streichen möchte, um Platz zu schaffen für neue Sportarten. Streichkandidat Nummer eins jetzt: das Gehen.
Kann die IAAF dem Russen-Desaster entkommen? Kaum mit wohlfeilen Wortmeldungen zum Antidopingkampf von wahlkämpfenden Kandidaten fürs bald vakante Präsidentenamt. Es wird, wenn das Wada-Trio klare Regelverstöße belegt sieht, auf Sperren für Athleten, Trainer und Funktionäre hinauslaufen. Angebracht wäre eine drakonischere Maßnahme. Julia Stepanowa kennt eine: "Der gesamte (russische) Verband sollte für zwei Jahre von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen werden". IAAF-Regel 44 ließe das zu, angewandt wurde sie noch nie.