Tour-Überraschung Emanuel Buchmann:Selbst der Kannibale lobt

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Seltener Emotionsausbruch: Emanuel Buchmann beim Zeitfahren am vergangenen Freitag in Pau, in dem er kaum Zeit auf die Besten verlor. (Foto: David Stockman/dpa)
  • Nach den Pyrenäen liegt Emanuel Buchmann aus Ravensburg im Tour-Klassement auf Rang sechs mit 2:14 Minuten Rückstand auf das Gelbe Trikot.
  • Lange hat die Radsportwelt den 26-Jährigen nicht beachtet. Nun rückt er langsam in den erweiterten Fokus.
  • Was kann er bei der Tour de France erreichen? Der Belgier Eddy Merckx traut ihm das Podium zu.

Von Johannes Knuth, Nîmes

Er bleibt tatsächlich immer gleich. Egal, welches Thema man an den Radprofi Emanuel Buchmann heranträgt. Tagesform, Morgenroutine, Hobbies, die dopingverseuchte Historie seines Sports. Sein Habitus ist unverrückbar: Zwei große, braune Augen, die sich keine Sekunde vom Fragesteller lösen; ruhige Melodie in der Stimme; zwei, drei Sätze für fast jede Antwort. Nur am Samstag wirkte Buchmann ein wenig anders, blasser, aber gut: Da war er auch gerade den 2115 Meter hohen Tourmalet hinaufgehechelt - ein Unterfangen, das in etwa so angenehm ist, als drücke einem jemand eine Dreiviertelstunde lang immer wieder den Kopf unter Wasser. Buchmann schnappte bei der anschließenden Fragerunde dann auch sehr oft nach Luft, aber statt drei Sätze für jede Antwort begnügte er sich halt ab und zu mit einem.

So radelt der 26 Jahre alte Ravensburger durch die 106. Tour de France, die um ihn herum gerade hin und her schwankt wie ein Kreuzfahrtschiff im Atlantiksturm. Das Gelbe Trikot ist am Ruhetag in Nîmes (wo am Dienstag eine Flachetappe ansteht) zwar noch immer im Besitz von Julian Alaphilippe, ein Experte für die explosiven Eintagesrennen. Aber am Sonntag in Foix, da wehte es den Franzosen nach zwei schweren Tagen in den Pyrenäen erstmals aus der Gruppe der Favoriten. Später redete er nicht wie einer, der glaubt, seine rund eineinhalb Minuten Guthaben auf die ersten Verfolger durch die dritte Woche zu retten. Das Gesamtklassement ist wohl doch eher was für die, die ihm auflauern: Geraint Thomas, der Vorjahressieger, der Niederländer Steven Kruijswijk, Thibaut Pinot, die andere französische Hoffnung, die formidabel durch die Pyrenäen fuhr, Thomas' Teamkollege Egan Bernal. Und Buchmann, der in den Pyrenäen zweimal Vierter wurde, und den nur noch 40 schlanke Sekunden vom zweiten Platz trennen.

Die Konkurrenz ist schon seit Längerem wachsam - wegen "Büschmann"

Dass er damit endgültig in die Weltspitze geklettert ist, das bestätigen sie in seinem Team Bora-Hansgrohe mit großer Genugtuung, das schon. Spannender ist die Frage, wie weit es Buchmann in dieser Form noch tragen kann. Unter die besten Zehn, die er nach wie vor als Ziel ausruft? Sogar aufs Podium? Was denkt er wirklich, hinter dieser unverrückbaren Fassade?

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Die Konkurrenz ist jedenfalls schon seit Längerem wachsam. "Büschmann", sagte Pinot in Nîmes, sei den großen Favoriten noch immer ganz schön nah. Die Tour-Instanz L'Équipe, die Buchmann bislang oft ignoriert hatte, wenn sie in ihren Rezensionen das Klassement besprach, befand am Montag: "Selbst wenn man seine Fertigkeiten als Kletterer kennt, hätte man nicht erwartet, dass man ihn im Kampf mit den Besten wiederfindet". Buchmanns Teamkollege Gregor Mühlberger hatte schon am Tourmalet gesagt: "Man hat die vergangenen Monate schon gesehen, dass er einen gewaltigen Schritt gemacht hat." Nur sei Buchmann halt nicht "der Macker, der das raushängen lässt. Das macht ihn umso unberechenbarer", findet Mühlberger, denn: "Er ist immer gleich, auch wenn es mal nicht so läuft, oder wenn er stark ist." Zumindest sobald er den Kokon seines vertrauten Umfelds verlässt.

Buchmann selbst kommt in diesen Tagen meist zum gleichen Leitthema zurück: Er ist niemand, der sich selbst überholt, weder bei dieser Tour noch überhaupt. Er trat erst mit 14 dem KJC Ravensburg bei, dem örtlichen Radverein. Er trainierte zunächst "relativ wenig und nicht wirklich nach Plan". Dafür genoss er das freie Fahren, ob allein, mit Freunden oder im Winter mit dem Mountainbike. "Das ist schon ein Stück Freiheit", sagt er, "ich mag es in der Natur zu sein." Er sah, wie früher viele Talente an ihm vorbeizogen, er sah aber auch, wie manche mit 20 keine Lust mehr auf den Sport hatten. "Ich habe mich nach und nach gesteigert, das war vielleicht ein Vorteil", glaubt Buchmann. So richtig erfolgreich war er erst bei den Junioren, 2015 schloss er sich Ralph Denk und dessen Raublinger Bora-Equipe an. Das war ein Umfeld, das durchaus Buchmanns Naturell bediente: ehrgeizig, aber im Zweifel debütiert ein Fahrer lieber ein Jahr später bei der ersten großen Rundfahrt. "Emanuel hat jeden Tag einen Schritt gemacht", sagt Denk, er meint da auch die generelle Entwicklung: "Da kriegt man natürlich Selbstbewusstsein." Tatsächlich zeigt sich Buchmann immer häufiger an der Spitze der Favoritengruppe. Schaut, wartet ab. Fällt zurück, mustert die Konkurrenz. Ist einer der letzten, der dem Tempo von Pinot nicht mehr folgen kann, als der am Sonntag im Schlussanstieg attackierte. Greift auch mal an, wie zuletzt am Tourmalet, lässt sich aber auch wieder ins Feld treiben, wenn er sich das Solo nicht zutraut.

"Ich kann nur sagen, dass sich das Publikum bei mir keine Sorgen machen muss"

Bloß nicht sich selbst überholen, das ist die beste Versicherung gegen die Erwartungen, die sich gerade jeden Tag noch höher auf seinen schmalen Schultern stapeln. Wenn Eddy Merckx, der einstige Tour-Kannibale, ihm in der ARD etwa das Podium zutraut. "Schon schön", findet Buchmann, "aber wir werden sehen." Nicht sich selbst überholen, das dämmt auch den Verdacht ein, den fast jeder Hochleister im Spitzensport mittlerweile auf sich lenkt. "Ich kann nur sagen, dass sich das Publikum bei mir keine Sorgen machen muss", sagt Buchmann.

Man hört in Nîmes auch, wie sehr sich im Team der Respekt vor der dritten Tour-Woche auftürmt: Sechs Gipfel über 2000 Meter ab Donnerstag in den Alpen, darunter der 2770 Meter hohe Iseran. Und am Samstag, als Endgegner vor der zeremoniellen Ausfahrt nach Paris, ein 33 (!) Kilometer langer Anstieg nach Val Thorens. Auch deshalb haben sie Buchmann bis kurz vor der Tour in der Höhe in Livigno trainieren lassen. Die Probleme, in die er zuletzt bei der Spanien-Rundfahrt rutschte, als er sich in der dritten Woche falsch ernährte und Gewicht zunahm, habe man auch eingedämmt. Aber der 26-Jährige wird meist alleine durch die Alpen kraxeln, seine Helfer sind im Gebirge nicht so stark wie die von Pinot oder Thomas. Enrico Poitschke, Boras Sportdirektor, hält da das Podium für eher "nicht realistisch", der Tour-Sieg wäre eine "Riesen-Überraschung". Die dritte Woche war Buchmann oft am schwächsten bei den großen Schleifen. Bislang zumindest.

Das gehört auch zu seinem Aufstieg: Jetzt, da ihn die Tour immer mehr kennenlernt, wird Emanuel Buchmann auch die Tour erstmals richtig kennenlernen.

© SZ vom 23.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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