EM:Deutsche Handballer schlagen in der Crunchtime zu

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Bärenjubel: Torwart Andreas Wolff und Julius Kühn. (Foto: Getty Images)
  • Mit dem 25:23-Sieg über Dänemark sorgt die deutsche Handball-Nationalmannschaft für eine der größten Überraschungen bei der EM.
  • Das junge DHB-Team steht im Halbfinale und darf berechtigterweise auch vom Titel träumen.
  • Hier geht es zu allen Ergebnissen der Handball-EM in Polen.

Von Joachim Mölter, Breslau

Eine halbe Stunde vor Spielbeginn hallte ein Hit der Kölner Gruppe "Höhner" durch die ehrwürdige Jahrhunderthalle Breslau: "Wenn nicht jetzt, wann dann?" Der Schlager hatte die deutschen Handballer 2007 auf ihrem Weg durch die Heim-WM bis zum Triumph in der Kölnarena begleitet; dass die örtlichen EM-Organisatoren dieses Lied nun einspielten, erwies sich als gutes Omen für die aktuelle Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB).

Denn die sicherte sich am Mittwochabend durch einen sensationell zu nennenden 25:23 (12:13)-Sieg über Dänemark die Halbfinal-Teilnahme. Zum ersten Mal seit der EM 2008 in Norwegen kämpft sie wieder um eine Medaille bei einem internationalen Turnier. "Jetzt wollen wir natürlich alles, das ist klar", sagte Linksaußen Rune Dahmke vom THW Kiel.

Es ist nicht einmal mehr vermessen von den DHB-Akteuren, dass sie nun vom Titel träumen. Denn am letzten Spieltag der EM-Hauptrunde sorgten nicht nur sie für eine Überraschung. Titelverteidiger Frankreich unterlag dem Außenseiter Norwegen 24:29 und verpasste die Runde der besten Vier genauso wie der EM-Gastgeber Polen, der seine Chancen durch eine fast demütigende 23:37-Niederlage gegen die Kroaten verspielte. Die Kroaten treffen nun im Halbfinale am Freitag (21.00 Uhr) in Krakau auf Spanien, die deutschen Handballer auf Norwegen (18.30). Wenn sie jetzt nicht das Finale erreichen, wann dann?

DHB-Spieler freuen sich wie kleine Kinder

Dass sie die Dänen bezwingen könnten, "das hat vor dem Spiel ja auch keiner so richtig geglaubt", sagte Steffen Fäth, der sechsfache Torschütze. Umso größer war nachher die Freude über den Coup: Die groß gewachsenen Männer hüpften vor Freude wie kleine Kinder im Kreis. "Was diese Mannschaft abliefert, ist phänomenal", sagte der erst am Montag für den verletzten Kapitän Steffen Weinhold zum Team gestoßene Kai Häfner. "Das war eine grandiose Leistung, einfach fantastisch", schwärmte selbst der immer coole Bundestrainer Dagur Sigurdsson.

Dieser Halbfinaleinzug ist ja weit, weit mehr als man erhoffen durfte von einer Mannschaft, bei der vier Stammspieler wegen diversen Blessuren von vornherein fehlten (Paul Drux, Patrick Wiencek, Uwe Gensheimer und Patrick Groetzki), zwei weitere nach dem 30:29 über Russland am Sonntag verletzt ausschieden (Weinhold und Christian Dissinger) sowie zwei weitere von einer Grippe geschwächt waren (Finn Lemke und Jannik Kohlbacher).

Eine Mannschaft, in der am Mittwoch neun Spieler standen, für die es das erste große Turnier ihrer Karriere war - und die sich einem Ensemble von erwiesenen Weltklassemännern gegenübersah, die in etlichen Halbfinals und Endspielen gestählt waren und die gesammelte Erfahrung von mehr als doppelt so vielen Länderspielen mitbrachten - 1488 gegenüber 687.

Für Bundestrainer Sigurdsson waren die Dänen die "Übermannschaft des Turniers" gewesen, der "Favorit Nummer eins auf den Titel", wie er in den Tagen vor dem Treffen sagte. Aber dann hatten diese Dänen am Dienstagabend überraschend ihren ersten Punkt bei dieser EM abgegeben, beim 28:28 gegen den skandinavischen Nachbarn Schweden.

Dieses Ergebnis erleichterte einiges für die DHB-Auswahl im abschließenden Hauptrundenspiel: Sie musste zwar immer noch gewinnen, um ins Halbfinale zu kommen, aber die Tordifferenz spielte keine Rolle mehr. Die Dänen wiederum durften nicht mehr verlieren, das erhöhte den Druck, der auf ihnen lastete. Denn die DHB-Akteure hatten ja gesehen, wie ihnen beizukommen ist: wenn man nur lange genug im Spiel bleibt und sich nicht aufgibt. Zwei Minuten vor Spielende gegen Schweden sahen die Dänen beim 28:25 noch wie der sichere Sieger aus, ehe ihnen die Kontrolle entglitt.

DHB-Team
:Deutsche Handballer erkämpfen das Halbfinale

Die Überraschung ist perfekt: Das DHB-Team ringt Dänemark mit 25:23 nieder und steht erstmals seit 2008 wieder in einem EM-Halbfinale. Dort wartet Norwegen.

Unbekannte schlagen Weltklasse-Handballer

Das war auch der Plan der deutschen Handballer gewesen, wie Kreisläufer Hendrik Pekeler erzählte: "Immer dran bleiben, um dann in der Crunchtime zuzuschlagen", also in der entscheidenden Schlussphase. In der Tat drehten die DHB-Profis die Partie in den letzten sieben Minuten, als sie aus einem 21:23 das 25:23 machten. Dabei nutzten Sigurdssons Spieler ihre Unberechenbarkeit, die aus dem jungen, international weitgehend unbekannten Kader resultiert:

Der für Dissinger nachnominierte Julius Kühn sowie der eher selten als Torschütze auffallende Martin Strobel sorgten für den Ausgleich, ehe Tobias Reichmann mit seinem insgesamt 33. Turniertreffer per Siebenmeter erhöhte und der für Weinhold in die Startformation aufgerückte Fabian Wiede mit seinem fünften Treffer den Endstand herstellte. Torhüter Andreas Wolff, der sich im Verlauf der Partie immer mehr gesteigert hatte, erstickte mit einer Parade die letzten Hoffnungen der Dänen und leitete die Freudentänze der deutschen Spieler ein.

"Wir haben eine sehr gute Abwehr gespielt", resümierte Rune Dahmke, "und gezeigt, dass wir gute Mittel haben." Je nachdem, wer bei den Dänen gerade auf dem Feld stand, variierte die deutsche Mannschaft ihre Abwehrformation, mal zog sie sich komplett an den Kreis zurück, dann wieder gingen zwei Mann zur Manndeckung für Dänemarks gefürchtete Rückraumspieler Mikkel Hansen und Michael Damgaard über. "Wir haben sie vor immer neue Aufgaben gestellt, das hat sie aus dem Konzept gebracht", sagte Dahmke. Und die DHB-Auswahl ins Halbfinale.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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