Strafstöße und der VAR:Gedrosselte Emotionen jetzt auch beim Elfmeter

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Von den letzten fünf Elfmetern, die gegen die Schweizer Nationalmannschaft verhängt wurden, hat Yann Sommer (Borussia Mönchengladbach, links) wie viele gehalten? Fünf. Anscheinend immer vorschriftsgemäß. (Foto: Vadim Ghirda/dpa)

Der Videoschiedsrichter soll künftig eingreifen, wenn der Torwart beim Strafstoß nicht lange genug stehen bleibt. Das schränkt ein wichtiges Mittel einer flüssigen Spielleitung weiter ein.

Kommentar von Karoline Kipper

Eine ungeschriebene Regel des Fußballs besagt: Der Elfmeterschütze kann nur verlieren. Denn jeder erwartet, dass er trifft. Der Torhüter kann im Umkehrschluss nur gewinnen, weil niemand von ihm erwarten kann, dass er eine Plastikkugel hält, die ein durchtrainierter Mensch aus kurzer Entfernung auf ihn abfeuert. Fehler machen kann der Schlussmann trotzdem. Kapitel 14 der offiziellen DFB-"Fußballregeln 2022/2023" - "Strafstoß" - besagt zum Beispiel, dass sich der Torwart "mindestens mit einem Teil eines Fußes auf oder über der Torlinie befinden" muss, wenn der Schütze schießt.

Um Verfehlungen dagegen konsequenter zu ahnden, hat der DFB nun beschlossen, dass künftig auch die Videoschiedsrichter den Torhütern auf die Füße schauen sollen. International ist die strenge Auslegung von Regel 14 längst Usus - zum Unmut etwa Hoffenheims Schlussmann Oliver Baumann, der einen Toleranz-Spielraum fordert.

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Von Sebastian Leisgang

Ein Paradebeispiel regelwidriger Fußaktivitäten lieferte die Partie VfL Wolfsburg gegen Schalke 04 in dieser Saison. Simon Terodde trat zum Elfmeter gegen Koen Casteels an, der erahnte die richtige Ecke, die Wolfsburger Fans feierten ausgelassen. Zu Unrecht, denn Casteels' Stollen berührten zum Zeitpunkt von Teroddes Schuss nicht mehr die weiße Torlinienkreide. Die Adleraugen von Schiedsrichter Felix Zwayer erspähten diese Regelwidrigkeit, der Strafstoß wurde wiederholt. Wortwörtlich. Terodde schoss in dieselbe Ecke, Casteels war wieder da, und wieder zu weit vorne. Doch diesmal kam kein Pfiff von Zwayer.

Auch nach parierten Elfmetern dürfte es bald nur noch gedrosselte Emotionen geben

Der Grund für die Anpassungen mitten in der Saison: Man wolle "unterschiedliche Auslegungen aufgrund eines Ermessensspielraums vermeiden", heißt es in einer Mitteilung des DFB. Dabei ist der Ermessensspielraum des Schiedsrichters kein Fehler im System. Der Unparteiische soll im Gegenteil ja darüber entscheiden, ob sich jemand einen unfairen Vorteil verschafft hat oder ob es ein normaler Vorgang ist, wenn ein durchschnittlich 28 Zentimeter langer Männerfuß mal nicht auf der zehn bis zwölf Zentimeter dicken Linie ruht. Psychospielchen in testosterongeladener Pausenhof-Manier oder zertretene Elfmeter-Punkte werden in der DFB-Mitteilung übrigens mit keinem Wort erwähnt.

Die Unzufriedenheit über den VAR kommt unter anderem daher, dass er Gerechtigkeit durch Faktentreue vorgaukelt, die es im Fußball nicht geben kann. Stattdessen verbietet er Emotionen, wenn er nach einem Treffer die Frage stellt: War es wirklich ein Tor? Oder muss erst mittels satellitengesteuerter Kreuzpeilung vermessen werden, wann sich der Tormann zum letzten Mal die Fußnägel geschnitten hat? Fußballfans haben längst verstanden, wie frustrierend verfrühter Jubel und zurückgehaltene Freude sind. Gedrosselte Emotionen drohen nun also auch nach parierten Elfmetern eher die Regel statt Ausnahme zu werden.

Wozu pedantische Regeltreue bei einem Elfmeter führen kann, lässt sich anhand einer Partie bei den Olympischen Spielen 2004 nacherzählen. Beim 2:3 zwischen Serbien und Tunesien ließ der Schiedsrichter einen Tunesier ganze fünf Mal zum Strafstoß antreten, weil angeblich jedes Mal ein Spieler zu früh in den Strafraum gelaufen war. Dabei war es ihm vollkommen egal, ob die Tunesier sich nicht eher gegenseitig behinderten. Ein Kuriosum aus der Fußballhistorie, das nur so lange unterhaltsam ist, wie es ein singuläres Ereignis bleibt.

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